" Die These der Tagung ist im Grunde, dass der Raum durch die Imagination überhaupt erst erzeugt wird. Und dass es im Grunde ... die Suche nach der Henne oder dem Ei ist, also was zuerst war, das kann man eigentlich gar nicht mehr rekonstruieren. Deshalb scheitert die Suche nach dem Authentischen ja auch permanent. "
Wer reist, entdeckt die Welt. So heißt es jedenfalls. Aber denkbar ist auch, dass man auf Reisen eher den Bildern im Kopf als der Wirklichkeit vor Ort folgt. Lässt sich darum auf Reisen tatsächlich objektive Erkenntnis gewinnen? Man kann daran zweifeln. "Man sieht nur, was man weiß", hat ein bekannter Reiseverlag sein Programm überschrieben, und man könnte ergänzen: Man sieht nur, was man zu wissen glaubt. Reiseerfahrungen, meint Alexandra Karentzos, Organisatorin der Tagung "Topographien des Reisens", basieren zu großen Teilen auf Texten, auf all den Büchern, die es mittlerweile über jeden Ort der Welt gibt. Und deren Lektüre, meint die Kunsthistorikerin Alma-Elisa Kittner, formt nicht nur das Erleben vor Ort - sie erzeugt überhaupt erst den Wunsch, sich auf Reisen zu begeben. Am Anfang allen Reisens, könnte man darum sagen, steht die Kunst.
" Bilder setzen die Menschen in Bewegung. Woher kommen diese Bilder, fragen wir uns? Die kommen zum Beispiel in dem Topos der Insel aus der Literatur, ... der bis heute ja Sehnsuchtsort für den Massentourismus geblieben ist und dann wiederum natürlich auch durch Künstler- und Künstlerinnenreisen, wie zum Beispiel Paul Gauguins Südseereise verstärkt und wieder neu ins Bild gesetzt worden ist, ... so dass die Menschen ... immer wieder diese Bilder, diese Sehnsuchtsorte, die sich im Kopf als Bilder verdichten, immer wieder aufsuchen, reproduzieren, zitieren. Natürlich verändern sich die sich dadurch auch ständig, aber diese Bilder hinterlassen dann auch wirklich Spuren bei diesen Orten und beeinflussen die Orte selber eben auch. "
Seit der Mensch reist, hat er seine Reisen beschrieben - und dabei immer auch ein wenig übertrieben, seine Erlebnisse um phantastische Elemente angereichert. Und selbst moderne, sich objektiv dünkende Forscher griffen auf ihren Expeditionen auf die wissenschaftlichen Überzeugungen ihrer Zeit zurück, passten ihre Forschungsergebnisse dem ideologischen Geist ihres Umfelds an. Als etwa der britische Afrikaforscher Sir Francis Galton Mitte des 19. Jahrhunderts die Körpermaße afrikanischer Menschen vermaß, deutete er sie im Licht der damals vorherrschenden Rassenlehre - und kam darüber, so die Kulturwissenschaftlerin Ute Holl, exakt zu jenen Ergebnissen, die dem europäischen Kolonialismus einen Teil seiner politischen Legitimation vermitteln sollten.
" Er kommt dann an und schaut sich die Gesichter der Afrikaner an mit einem Arsenal der Biometrie und der Physiognomie aus Europa, und er sagt, die Gesichter, die wir da haben, kenne ich, denn das sind typische Schurkengesichter, wie wir sie in London vermessen haben. Das heißt, es wird ein Wissen aus der Alten Welt mitgebracht inklusive der imaginären Archive und der Geräte, und das Ganze wird dann verfeinert und in ... ein konsistentes Menschenbild zusammengefasst, wie er es dann in diesem späteren Buch "Inquiries into Human Faculty" systematisch zusammenfasst und damit ein neues Menschenzüchtungsprogramm entwirft. "
Diese Züchtungsprogramme arbeiteten jenem Rassenwahn zu, der Europa im 20. Jahrhundert in die Katastrophe der beiden Weltkriege führte. Diese Erfahrung hinterließ in der schöngeistigen Reiseliteratur deutliche Spuren. Jahrelang etwa wurde das Italienbild der Deutschen von Goethes "Italienischer Reise" beeinflusst. "Wie man geht und steht", schrieb der Dichter etwa über seinen Besuch in Rom, "zeigt sich ein landschaftliches Bild aller Art und Weise, Paläste und Ruinen, Gärten und Wildnis, ... oft alles zusammen so nah, dass es auf ein Blatt gebracht werden könnte." Dieses Bild hatte nach den Vernichtungskriegen zwar weiterhin Gültigkeit, stand nun aber nicht mehr allein. Unter dem Eindruck der Vernichtung, so der Germanist Peter Gendolla, nahmen die Dichter des späten 20. Jahrhunderts entscheidende Veränderungen an ihm vor.
" In diesem Bogen ist halt wirklich der Erste und der Zweite Weltkrieg eine radikale Zensur, was politisch halt mit der Kooperation der beiden faschistischen Staaten und der Zerstörung dann dieser beiden Kulturen zusammenhängt. Und das hat ... vehemente Auswirkungen natürlich auf das Bild, das für den Massentourismus ja Italien dargestellt hat. "
So zerbrach der Zweite Weltkrieg auch jene klassischen Topoi, die für die klassische Reiseliteratur so typisch waren. Fortan bemühten sich die Dichter, ein nüchterneres Italienbild zu entwerfen, eines, das ihrer Auffassung nach wirklichkeitsnäher, realistischer war. Auf jeden Fall war es vulgärer, ätzender, um Schockeffekte bemüht. So ging Rolf Dieter Brinkmann während seines Rom-Aufenthalts zu Beginn der 1970er Jahre zu Goethes Italienbuch auf größte Distanz. Zitat: "´Auch ich in Arkadien`, hat Goethe geschrieben, als er nach Italien fuhr. Inzwischen ist dieses Arkadien ganz schön runtergekommen und zu einer Art Vorhölle geworden."
So hat sich die schöne Literatur zumindest zu Teilen von den Klischees verabschiedet. Ungewiss ist allerdings, ob sie damit den Geschmack der meisten Leser und der Reisenden trifft. Denn die haben offenbar gar nichts dagegen, sich auch weiterhin von fiktionalen Elementen inspirieren zu lassen. So zeigte der Kulturgeograf Stefan Zimmermann, wie die Reiseindustrie derzeit einen ganz neuen Sektor erschließt: Reisen zu Drehorten populärer Hollywood- oder TV-Filme. So war das Hotel, in dem der Film "Drei Hochzeiten und ein Todesfall" spielte, unmittelbar nach Erscheinen des Films auf Jahre ausgebucht. Und zu "Sex in the City" gibt es bestens besuchte Führungen in New York. Vorläufer dieser neuen Form des Tourismus waren die Drehorte zum Mitte der 1970er Jahre gedrehten "Star Wars"-Film im südlichen Tunesien. Dort, so Zimmermann, verknüpft sich der klassische Orientmythos mit der Faszination an Science Fiction.
Also gerade in Douze, wenn die entsprechenden Locations angefahren werden, wird es inszeniert also als Abenteuerreise, also man macht dann irgendwie eine Four-Wheel-Drive-Fahrt dann dahin, und anstatt dass die Jungs da die Straßen nehmen, die es ja gibt, fahren sie halt irgendwelche Dünen rauf und runter und verbreiten so ein bisschen also diese Orient-Abenteuergeschichte, also es wird jedes Mal noch irgendwie eine Reifenpanne vorgetäuscht, man muss den Wagen rausschaufeln, also eigentlich ne unsägliche Nummer. ...Das Ganze wird sogar so pervertiert, ... die machen so einen Sektempfang am Set, die Leute werden dann einmal im Kreis auf Pferden oder Kamelen rumgeführt, kommen dann an diesem Star-Wars-Set an und kriegen dann da ihren kalten Schampus. Also das ist schon "Orient at its best" eigentlich, und es wird dann noch mit den Sternenkriegern garniert. Also das ist wahrscheinlich die Zukunft des Ganzen. #
Die unbefangene, authentische Erfahrung des Reisenden, so der Tenor vieler Beiträge auf dem Symposium, hat es nie gegeben. Ob es sich tatsächlich so verhält, daran kann man zweifeln. Denn auf Reisen kann man ja durchaus eigene Entdeckungen machen, Dinge erfahren, die man in den Büchern nicht gelesen hat. Wäre das nicht der Fall, sähe man tatsächlich nur, was man schon weiß, dann könnte man in der Tat zu Hause bleiben. Aber Reisen besteht eben aus mehr als nur aus Bücherlesen.
Wer reist, entdeckt die Welt. So heißt es jedenfalls. Aber denkbar ist auch, dass man auf Reisen eher den Bildern im Kopf als der Wirklichkeit vor Ort folgt. Lässt sich darum auf Reisen tatsächlich objektive Erkenntnis gewinnen? Man kann daran zweifeln. "Man sieht nur, was man weiß", hat ein bekannter Reiseverlag sein Programm überschrieben, und man könnte ergänzen: Man sieht nur, was man zu wissen glaubt. Reiseerfahrungen, meint Alexandra Karentzos, Organisatorin der Tagung "Topographien des Reisens", basieren zu großen Teilen auf Texten, auf all den Büchern, die es mittlerweile über jeden Ort der Welt gibt. Und deren Lektüre, meint die Kunsthistorikerin Alma-Elisa Kittner, formt nicht nur das Erleben vor Ort - sie erzeugt überhaupt erst den Wunsch, sich auf Reisen zu begeben. Am Anfang allen Reisens, könnte man darum sagen, steht die Kunst.
" Bilder setzen die Menschen in Bewegung. Woher kommen diese Bilder, fragen wir uns? Die kommen zum Beispiel in dem Topos der Insel aus der Literatur, ... der bis heute ja Sehnsuchtsort für den Massentourismus geblieben ist und dann wiederum natürlich auch durch Künstler- und Künstlerinnenreisen, wie zum Beispiel Paul Gauguins Südseereise verstärkt und wieder neu ins Bild gesetzt worden ist, ... so dass die Menschen ... immer wieder diese Bilder, diese Sehnsuchtsorte, die sich im Kopf als Bilder verdichten, immer wieder aufsuchen, reproduzieren, zitieren. Natürlich verändern sich die sich dadurch auch ständig, aber diese Bilder hinterlassen dann auch wirklich Spuren bei diesen Orten und beeinflussen die Orte selber eben auch. "
Seit der Mensch reist, hat er seine Reisen beschrieben - und dabei immer auch ein wenig übertrieben, seine Erlebnisse um phantastische Elemente angereichert. Und selbst moderne, sich objektiv dünkende Forscher griffen auf ihren Expeditionen auf die wissenschaftlichen Überzeugungen ihrer Zeit zurück, passten ihre Forschungsergebnisse dem ideologischen Geist ihres Umfelds an. Als etwa der britische Afrikaforscher Sir Francis Galton Mitte des 19. Jahrhunderts die Körpermaße afrikanischer Menschen vermaß, deutete er sie im Licht der damals vorherrschenden Rassenlehre - und kam darüber, so die Kulturwissenschaftlerin Ute Holl, exakt zu jenen Ergebnissen, die dem europäischen Kolonialismus einen Teil seiner politischen Legitimation vermitteln sollten.
" Er kommt dann an und schaut sich die Gesichter der Afrikaner an mit einem Arsenal der Biometrie und der Physiognomie aus Europa, und er sagt, die Gesichter, die wir da haben, kenne ich, denn das sind typische Schurkengesichter, wie wir sie in London vermessen haben. Das heißt, es wird ein Wissen aus der Alten Welt mitgebracht inklusive der imaginären Archive und der Geräte, und das Ganze wird dann verfeinert und in ... ein konsistentes Menschenbild zusammengefasst, wie er es dann in diesem späteren Buch "Inquiries into Human Faculty" systematisch zusammenfasst und damit ein neues Menschenzüchtungsprogramm entwirft. "
Diese Züchtungsprogramme arbeiteten jenem Rassenwahn zu, der Europa im 20. Jahrhundert in die Katastrophe der beiden Weltkriege führte. Diese Erfahrung hinterließ in der schöngeistigen Reiseliteratur deutliche Spuren. Jahrelang etwa wurde das Italienbild der Deutschen von Goethes "Italienischer Reise" beeinflusst. "Wie man geht und steht", schrieb der Dichter etwa über seinen Besuch in Rom, "zeigt sich ein landschaftliches Bild aller Art und Weise, Paläste und Ruinen, Gärten und Wildnis, ... oft alles zusammen so nah, dass es auf ein Blatt gebracht werden könnte." Dieses Bild hatte nach den Vernichtungskriegen zwar weiterhin Gültigkeit, stand nun aber nicht mehr allein. Unter dem Eindruck der Vernichtung, so der Germanist Peter Gendolla, nahmen die Dichter des späten 20. Jahrhunderts entscheidende Veränderungen an ihm vor.
" In diesem Bogen ist halt wirklich der Erste und der Zweite Weltkrieg eine radikale Zensur, was politisch halt mit der Kooperation der beiden faschistischen Staaten und der Zerstörung dann dieser beiden Kulturen zusammenhängt. Und das hat ... vehemente Auswirkungen natürlich auf das Bild, das für den Massentourismus ja Italien dargestellt hat. "
So zerbrach der Zweite Weltkrieg auch jene klassischen Topoi, die für die klassische Reiseliteratur so typisch waren. Fortan bemühten sich die Dichter, ein nüchterneres Italienbild zu entwerfen, eines, das ihrer Auffassung nach wirklichkeitsnäher, realistischer war. Auf jeden Fall war es vulgärer, ätzender, um Schockeffekte bemüht. So ging Rolf Dieter Brinkmann während seines Rom-Aufenthalts zu Beginn der 1970er Jahre zu Goethes Italienbuch auf größte Distanz. Zitat: "´Auch ich in Arkadien`, hat Goethe geschrieben, als er nach Italien fuhr. Inzwischen ist dieses Arkadien ganz schön runtergekommen und zu einer Art Vorhölle geworden."
So hat sich die schöne Literatur zumindest zu Teilen von den Klischees verabschiedet. Ungewiss ist allerdings, ob sie damit den Geschmack der meisten Leser und der Reisenden trifft. Denn die haben offenbar gar nichts dagegen, sich auch weiterhin von fiktionalen Elementen inspirieren zu lassen. So zeigte der Kulturgeograf Stefan Zimmermann, wie die Reiseindustrie derzeit einen ganz neuen Sektor erschließt: Reisen zu Drehorten populärer Hollywood- oder TV-Filme. So war das Hotel, in dem der Film "Drei Hochzeiten und ein Todesfall" spielte, unmittelbar nach Erscheinen des Films auf Jahre ausgebucht. Und zu "Sex in the City" gibt es bestens besuchte Führungen in New York. Vorläufer dieser neuen Form des Tourismus waren die Drehorte zum Mitte der 1970er Jahre gedrehten "Star Wars"-Film im südlichen Tunesien. Dort, so Zimmermann, verknüpft sich der klassische Orientmythos mit der Faszination an Science Fiction.
Also gerade in Douze, wenn die entsprechenden Locations angefahren werden, wird es inszeniert also als Abenteuerreise, also man macht dann irgendwie eine Four-Wheel-Drive-Fahrt dann dahin, und anstatt dass die Jungs da die Straßen nehmen, die es ja gibt, fahren sie halt irgendwelche Dünen rauf und runter und verbreiten so ein bisschen also diese Orient-Abenteuergeschichte, also es wird jedes Mal noch irgendwie eine Reifenpanne vorgetäuscht, man muss den Wagen rausschaufeln, also eigentlich ne unsägliche Nummer. ...Das Ganze wird sogar so pervertiert, ... die machen so einen Sektempfang am Set, die Leute werden dann einmal im Kreis auf Pferden oder Kamelen rumgeführt, kommen dann an diesem Star-Wars-Set an und kriegen dann da ihren kalten Schampus. Also das ist schon "Orient at its best" eigentlich, und es wird dann noch mit den Sternenkriegern garniert. Also das ist wahrscheinlich die Zukunft des Ganzen. #
Die unbefangene, authentische Erfahrung des Reisenden, so der Tenor vieler Beiträge auf dem Symposium, hat es nie gegeben. Ob es sich tatsächlich so verhält, daran kann man zweifeln. Denn auf Reisen kann man ja durchaus eigene Entdeckungen machen, Dinge erfahren, die man in den Büchern nicht gelesen hat. Wäre das nicht der Fall, sähe man tatsächlich nur, was man schon weiß, dann könnte man in der Tat zu Hause bleiben. Aber Reisen besteht eben aus mehr als nur aus Bücherlesen.