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Mehr als Blumen

Ihre Bilder sind weit bekannt: als Reproduktion auf Kalenderblättern, Briefmarken oder Wohnzimmerteppichen. Es sind Blumen, Muscheln und Knochen, jene von den Landschaften und den Lehmziegelbauten New Mexicos. Nun gewährt das Whitney Museum in New York einen Einblick in ihr abstraktes Werk.

Von Sacha Verna | 22.09.2009
    "Ich glaube, die Abstraktionen werden den Besuchern die Disziplin und die Strenge, die kompositionelle Klarheit verdeutlichen, die auch ihrem realistischen Werk zugrunde liegt."

    ... sagt Barbara Haskell, die Chefkuratorin der Ausstellung.
    Tatsächlich war es eine Gruppe abstrakter Kohlezeichnungen, mit denen die damals neunundzwanzigjährige Künstlerin 1916 zum ersten Mal auf sich aufmerksam machte. Gezeigt wurden diese in der für die amerikanische Avantgarde so wichtigen Galerie 291 in New York, und zwar von Alfred Stieglitz, Georgia O'Keeffes späterem Ehemann. Doch die Interpretation, die diese Arbeiten erfuhren, war nicht nach Georgia O'Keeffes Geschmack. Dazu Barbara Haskell:

    "Als ihr Werk in den zwanziger Jahren als Ausdruck des weiblichen Orgasmus interpretiert wurde, wandte sie sich von der Abstraktion ab und konzentrierte sich mehr auf das, was sie "objektive” Arbeit nannte."

    Alfred Stieglitz veranstaltete bis zu seinem Tod 1946 jedes Jahr eine Einzelausstellung seiner Frau und trug damit wesentlich zu ihrem Erfolg bei. Allerdings wurde ihr Werk den Ruf der sexuellen Symbolik nicht mehr los. Im Gegenteil. Inzwischen gilt jede O'Keeffe'sche Blüte als Vagina, und für diese Lesart verantwortlich ist in nicht geringem Maß ebenfalls Alfred Stieglitz.

    "Seine Vorstellung, sie schöpfe aus ihrem Mutterleib, sie sei das Kind, das Kunst erschaffe, ihr Werk sei diese blinde Entfaltung von Gefühlen, dominierte die Presse. Außerdem beeinflussten seine Fotos von ihr, viele davon Aktfotos, die er 1921 ausstellte, die Art, wie Kritiker Georgia O'Keeffe sahen. Sie vermischten diese sexuell freizügige Person auf den Fotos mit der Kunst und schlossen daraus, diese Kunst sei der Ausdruck eines gleichermaßen freizügigen kreativen sexuellen Wesens."

    Eine Reihe dieser Fotografien sind in dieser Ausstellung zu sehen. Doch lässt "Georgia O'Keeffe: Abstraction” das Werk dieser Künstlerin nicht wirklich in neuem Licht erscheinen. Das liegt vor allem an der Größe der Schau, die mit über hundertsechzig Exponaten zu viel des Guten und leider häufiger des Schlechten umfasst.
    Die frühen Arbeiten, besonders die Zeichnungen und Aquarelle zeugen durchaus von einer gewissen Radikalität. Doch darauf folgt eine Menge Mittelmäßiges aus den dreißiger bis fünfziger Jahren und reiner Kitsch aus den sechziger und siebziger Jahren. "Sky Above Clouds III” zum Beispiel stammt aus dem Jahr 1963. Das riesige Bild erinnert entfernt an Monets Seerosen und weniger entfernt an den Bühnenhintergrund für eine Aufführung von "Frau Holle”. Niemand verdient es, aufgrund eines solchen Werkes neu beurteilt zu werden. Auch Georgia O'Keeffe nicht.