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Mehr als ein Ehedrama

In Strindbergs Drama "Totentanz", das eine Ehehölle mit tödlichem Ausgang beschwört, zählt der Weg in die Katastrophe, die kleine Geste, die alles zeigt. Das dunkle Stück war deshalb auch immer eine Partitur für besonders hervorragende Schauspieler. Jetzt hat sich Peter Zadek die Geschichte von Edgar und Alice am Wiener Akademietheater vorgenommen, mit hochkarätiger Besetzung - eine Kombination, die Spannendes erwarten ließ.

Von Karin Fischer |
    Am Ende des ersten Teils, wenn Edgar und Alice erschöpft, aber nicht kraftlos, nebeneinander sitzen, sehen sie aus wie ein Paar von Beckett, das aus einer Vergangenheit, in der Vernichtung herrschte, luzide in die Zukunft blickt. Sie haben beschlossen, ein bisschen aufzuräumen nach den Verwüstungen der letzten zwei Bühnenstunden. Sie wissen: der Hass wird nicht aufhören, aber auch noch nicht das waghalsige Spiel um Leben und Tod, das sie begonnen haben, und so können sie ein einziges Mal wie vertraut beisammen sein und "Ja" sagen zur Silberhochzeit. Dieses Bild strahlt etwas aus, das man Behutsamkeit nennen möchte. Eine derartige Behutsamkeit lässt Peter Zadek seinen Figuren angedeihen, dass er aus dem Totentanz keine fiese Schlachterei, nicht mal eine Ehehölle macht, sondern das wärmste und menschlichste Bild eines Dramas über dem Abgrund gibt, das man seit langem gesehen hat. Der begnadete Peter Voss verleiht seinem verbitterten Artilleriehauptmann Edgar einen so unglaublichen Nuancen-Reichtum, dass dieser zu einer Figur von Nietzscheanischen Dimensionen wird. Voss kann alles zwischen der bärbeißigen Ehrlichkeit des gewesenen Kraftmenschen und dem hochmütigen Tyrannentum eines gedemütigten Ausgestoßenen. Strindberg hat in Edgars "Vampirismus" - er muss vernichten, was seine Freunde lieben - die eigene schizophrene Verfassung gezeichnet. Voss zeigt ihn uns als ganzen Menschen, ebenso hart wie grausam, ebenso leidend wie selbstmitleidig, als vom Schicksal gebeutelten und als einen, der gerne Gott spielt - und lässt Kurts Urteil am Schluss des Dramas umso plausibler werden: "Ich glaube, er ist der gewöhnlichste Mensch der Welt."

    25 Jahre Ehekrieg im Festungsturm auf einer abgeschiedenen Insel sind ja wirklich eine lange Zeit, und vielleicht liegt es daran, dass Edgar und Alice zu Beginn fast nett wirken. Man schwatzt, der Kapitän gibt den knorrigen Aufrechten, sein Zynismus versteckt sich hinter der witzigen Anspielung. Aber es braucht nicht viel, nur ein Stichwort, "Kurt" in diesem Fall, die erste Wortmine ist gelegt, und von da an erfolgen die Explosionen im wohl präparierten Familienfeld in immer kürzeren Abständen. Der Jugendfreund Kurt ist neuer Quarantänemeister der Insel, der schon beim Antrittsbesuch erbarmungslos zwischen die Fronten gerät. Peter Simonischek gibt ihn als abgeklärtes lebensweises Schaf, das partout nicht mit dem Wolfsdasein tauschen will. Hannelore Hoger als Alice gibt schon von ihrer Statur her nicht die kämpferische Megäre ab, die der zeitlebens als misogyn verschriene Strindberg gezeichnet hat. Zadek inszeniert sie als dauergeduckte, aber auch gnadenlose und mit allen Listen der Ohnmacht operierende Intrigantin, die später als teuflische Matrone noch zu großer Form auflaufen wird.

    Das alles spielt sich vor einem zu Beginn blutrot ausgeleuchteten, gemalten Insel-Panorama mit tief hängendem Himmel ab, das allerdings verstellt wird durch eine nach vorne und oben offene, enge Wohnschachtel. Alles ist wie in Strindbergs Regieanweisung angegeben, mit Lorbeerkränzen, Schreibtisch, Telegraph und Kerzenleuchter - und mit kleinen, aber bedeutsamen Unterschieden: es gibt keine Fenster; dafür steht die alte Kanone, nicht am Strand, sondern mitten im Raum. Der Wind weht dauerhaft, und in jeweils symbolischer Stärke, ums Haus, und in der zentralen Szene, wenn beide, Edgar und Alice ihre höllischen Vernichtungspläne schmieden, geraten sogar die Wände dieser kleinen Welt aus ihren Fugen. Wieder ein kleiner genialer Gedanke, der auch noch die Literaturgeschichte, den Strindbergschen Übergang vom Naturalismus zum Symbolismus, mit hinein nimmt.

    Für den zweiten Teil öffnet sich die Bühne für das helle Mobiliar des Quarantänemeisters, mit riesigem weißen Flügel und riesiger - nennen wir sie fortschrittlicher - Plastikblütenlampe. Hier hat Edgars Tochter Judith Kurts Sohn Allan das Herz gebrochen: Johanna Wokalek verleiht der eins zu eins vom Vater geerbten emotionalen Spielernatur eine kecke Mädchenhaftigkeit, die auch ihre Wende zum Guten am Schluss glaubwürdig macht. Mit ihr macht Zadek auch klar, dass ihm die Architektur der menschlichen Kraftfelder bei dieser Inszenierung wichtiger waren als das Drama von Judith und Holofernes. Diese Kraftfelder sind wunderbar austariert und meisterhaft aufeinander bezogen zu einem Drama von unspektakulärer Schönheit. Und werktreu. Doch das ist hier gar nicht mehr der Punkt. Statt von Werktreue wäre von Wahrhaftigkeit auf der Bühne zu reden. Ein toller Theaterabend.