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Mehr als eine Biografie zweier Legenden

Die beiden Watergate-Reporter Bob Woodward und Carl Bernstein. stiegen in den Jahren nach dem Skandal zum Vorbild für Generationen von Medienleuten auf. Ihre Geschichte zeichnet die amerikanische Journalistin und Professorin Alicia Shepard jetzt in einem dicken Buch nach. Jahrelang hat sie dafür recherchiert, fast 200 Interviews geführt und Berge von Dokumenten gesichtet. Gregor-Peter Schmitz hat das Buch gelesen.

28.07.2008
    Wie fühlt es sich an, wenn Journalisten auf einmal selbst der Mittelpunkt der Story werden? Diese Frage zieht sich durch das Buch von Alicia Shepard über zwei Reporter, die diese Transformation erlebten wie wohl keine anderen Berichterstatter. Mit ihren Watergate-Enthüllungen erschütterten Bob Woodward und Carl Bernstein nicht nur das politische System der USA in seinen Grundfesten, sondern jagten als bislang einzige Journalisten einen amerikanischen Präsidenten aus dem Amt: Richard Nixon:

    "Morgen Mittag werde ich als Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika zurücktreten. Vizepräsident Ford wird dann hier im Oval Office als Präsident vereidigt werden."
    Als Nixon 1974 aufgrund der Enthüllungen der beiden Reporter zugeben musste, von einem Einbruch in die Parteizentrale der Demokraten im Washingtoner Watergate-Hotel zumindest gewusst zu haben, waren Woodward und Bernstein gerade einmal Anfang 30. Doch sie waren längst zu Pop-Ikonen avanciert. In einem Hollywoodfilm über Watergate spielten Robert Redford und Dustin Hoffman die Reporter. Journalismus wurde sexy.

    Gefühlvoll zeichnet die Autorin diese rasanten Jahre nach und beschreibt eindringlich die persönliche Entwicklung der beiden Männer - denen die Heldenrolle nicht in die journalistische Wiege gelegt war. Woodward war ein harter Arbeiter, galt aber als miserabler Schreiber. So schlecht, dass Kollegen scherzten, Englisch sei nicht seine Muttersprache.

    Bernstein hatte einen Ruf als brillanter Reporter, aber auch als unzuverlässiger Frauenheld und Hippie mit langen Haaren. Die beiden ungewöhnlichen Typen mochten sich erst nicht, doch für die Story mussten sie sich zusammenraufen und sind bis heute enge Freunde - denn schon bald dämmerte ihnen, was ihr charismatischer Chefredakteur Ben Bradlee früh predigte:

    Niemand werde je vergessen, wer die Watergate-Artikel geschrieben habe. Shepard erzählt das bisweilen etwas zu ausführlich in allen Windungen nach - zumindest für ein deutsches Publikum, das die Washingtoner Szene dieser Jahre nicht genau kennt. Doch der Professorin für Journalistik, die für ihre Medienkritik mehrfach ausgezeichnet worden ist, geht es zugleich um ein größeres Anliegen: um die Entwicklung des US-Journalismus seit Watergate, ablesbar an der Karriere der beiden wichtigsten Enthüller des Skandals.

    Denn die veränderten die amerikanischen Medien für immer. Bis zum Nixon-Skandal behandelten Washingtoner Polit-Journalisten den Präsidenten eher ehrerbietig. Das "White House Press Corps" war ein Insider-Club mittelalter weißer Männer, die auf denselben Partys in Georgetown verkehrten wie die politische Elite. Bernstein und Woodward, zu Beginn von Watergate unbekannte Lokalreporter Ende 20, gehörten nicht zu diesem exklusiven Kreis - in dem sich niemand gegenseitig wehtun wollte. Sie taten, was bislang als Verstoß gegen die Regeln galt. Sie riefen Informanten daheim an, sie klopften abends an Türen. Und sie vertrauten auf anonyme Quellen. Allen voran natürlich "Deep Throat", der berühmtesten anonymen Quelle aller Zeiten. Ihn traf Woodward unter konspirativen Umständen regelmäßig nachts in einer Parkgarage in Washington. "Deep Throat" ermutigte ihn, auf allen Ebenen nach Hinweisen zu suchen, wie im Hollywoodfilm über die Affäre verewigt:

    Ausschnitt aus dem Film-Trailer "All the President's Men"
    Das Geheimnis, wer "Deep Throat" war, hüteten Woodward und Bernstein über Jahrzehnte. Bis die Familie von "Deep Throat" - dem ehemaligen FBI-Vize Mark Felt - dessen Rolle 2005 publik machte. Felt führte die beiden Watergate-Reporter auf die richtige Fährte. Doch der Einsatz anonymer Quellen - seit Watergate zumindest in den USA sehr üblich geworden - bringt auch Probleme mit sich. Sie lassen sich schwer zur Verantwortung ziehen, sie begleichen manchmal im Schatten der Anonymität alte Rechnungen oder verfolgen eigene Ziele.

    Shepard widmet dieser Frage viele Seiten, weil Woodward die Nutzung anonymer Quellen zu seinem Markenzeichen gemacht hat. Der Watergate-Enthüller hat in einflussreichen Büchern etwa über den Obersten Gerichtshof oder das Weiße Haus immer wieder auf diese Art von Information vertraut. Doch er hat sich damit auch immer wieder angreifbar gemacht. Das demonstriert Shepard etwa am Beispiel der Iran-Contra-Affäre während der Reagan-Jahre - der Finanzierung nicaraguanischer Rebellen durch geheime illegale Waffenverkäufe an Iran.

    Zu dieser Zeit hatte Woodward sich über Monate mit CIA-Chef William Casey zu Hintergrundgesprächen getroffen. Der gab ihm für eine andere Recherche als anonyme Quelle viele Informationen - doch hielt Woodward gleichzeitig auch geschickt von der Iran-Contra-Affäre fern. Noch bitterer war für den Star-Reporter, als er als Chef des Lokalteils der "Washington Post" einen Pulitzerpreis zurückgeben musste - eine Redakteurin hatte eine Geschichte über einen achtjährigen Heroin-Süchtigen von vorne bis hinten erfunden. Sie hatte den Helden der Geschichte anonym auftreten lassen.

    Ähnlich umstritten ist die Frage, ob Woodward aufgrund seiner vielen Verbindungen längst selbst Teil des Washington-Establishments geworden ist - und vor kritischen Urteilen anders als in seinen Watergate-Jahren mittlerweile zurückschreckt. Besonders laut wurde dies über Woodwards Bücher zum Irakkrieg diskutiert, die Shepard leider nur streift. Denn der Watergate-Enthüller erhielt schon für seine ersten beiden Bücher zum Thema unvergleichlichen Zugang zu den wichtigsten Protagonisten der Bush-Regierung. Aber erst das dritte Werk übte heftige Kritik an der Kriegspolitik der Regierung. Ein desillusionierter Woodward stellte es so vor:
    "Es geht um die vergangenen dreieinhalb Jahre und wie es offensichtlich viel schlimmer geworden ist, als sie uns erzählt haben. Es gibt viele geheime Berichte darüber, dass die Gewalt wieder zunimmt. Der Präsident und andere Mitglieder der Regierung sagen aber ständig: Wir schaffen die Wende, wir gewinnen im Irak."
    Kritiker sagten, Woodward hätte dies schon viel früher enthüllen können - doch habe sich von Bush und dem Weißen Haus einlullen lassen. Aber der Chef-Aufdecker des amerikanischen Journalismus scheint mittlerweile zu zweifeln, ob echte Enthüllungen trotz aller Anstrengungen überhaupt zu schaffen sind. Er berichtet von einem Gespräch, das er mit Al Gore über Transparenz der Regierungsarbeit geführt hat.

    "Ich habe ihm die Frage gestellt: Wie viel wissen wir eigentlich von der Wahrheit? Ich sagte: Sie waren Vizepräsident unter Clinton, sie haben alles gesehen. Also, wie viel Prozent wissen wir? Und er sagte: 1 Prozent."
    Auch aus Carl Bernsteins weiterer Karriere lässt sich eine Parabel über den Journalismus stricken. Der hat es, wie Shepard beschreibt, nie geschafft, ähnlich produktiv wie Woodward zu bleiben. Er verwickelte sich in Scheidungskriege, er genoss das Partyleben in New York. Wenn er mal wieder ein Buch schrieb, etwa eine Biographie über Hillary Clinton, brauchte er viele Jahre dafür. Und er entwickelte sich zum scharfen Medienkritiker. Seinen Kollegen heute hält er Kommerzialisierung, schlampige Recherche und Voreingenommenheit vor:
    "Es ist nicht unsere Aufgabe, zu urteilen - sondern die Fakten zusammen zu tragen und sie fair zu berichten. Und dabei auch respektvoll vorzugehen. Ich erlebe heute so viele Journalisten, die einfach keinen Respekt haben. Sie sind keine guten Zuhörer."
    Harte Worte, die nicht immer glaubwürdig klingen aus dem Munde Bernsteins, der keine Hemmungen hat, seinen Watergate-Ruhm in hoch bezahlten Vorträgen zu versilbern. Doch in einem Punkt hat der Watergate-Veteran leider Recht: Die goldenen Zeiten des investigativen US-Journalismus scheinen vorbei zu sein. Nahezu zeitgleich mit dem Erscheinen von Shepards Buch verkündete das "Watergate"-Mutterblatt "Washington Post", dass es sich von über 100 seiner erfahrenen Reporter trennen muss - eine Folge der Medienkrise. Seinen Abschied eingereicht hat auch: Bob Woodward.

    Aufstieg und Fall des investigativen Journalismus in den USA - Gregor-Peter Schmitz aus Washington war das über Alicia C. Shepard: Woodward und Bernstein. Leben im Schatten von Watergate, erschienen im Wiley-VCH Verlag, 347 Seiten dick und Euro 22,90 Euro teuer.