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Mehr als Klatsch und Tratsch

Das Gerücht ist eine der ältesten Kommunikationsfomen der Menschheit. Schon in der Antike waren die Zutaten die selben: eine Prise Sex, eine Prise Crime und natürlich die schnelle Verbreitung. Sprachforscher, Psychologen und Kulturwissenschaflter haben sich bei einer Tagung an der Universität Bonn in die Gerüchteküche begeben.

Von Martin Koch |
    Flüchtig ist es, das Gerücht. Doch wenn sich ihm rund ein Dutzend Fachleute akademisch von verschiedenen Seiten nähern, hat es kaum eine Chance, sein Geheimnis zu bewahren: drei Tage lang stocherten Expertinnen und Experten aus den Bereichen Sprachforschung und Psychologie, Geschichts- und Kulturwissenschaften sowie Literatur und Wirtschaft im wabernden Nebel, der sich immer noch in der Gerüchteküche hält. Wobei die Ungreifbarkeit des Tagungsgegenstands nach Ansicht des Medienwissenschaftlers Mathias Mertens aus Hildesheim auch eine Chance sein kann:

    "Ich bin mir nicht sicher, ob man Gerücht nicht eher als eine Art von Metapher ansieht, um über ganz viele Zusammenhänge von Informationsverbreitung und Kommunikation von Menschen sich auszutauschen. Dass man dabei das Gerücht erfasst, das möchte ich bezweifeln."

    Das Gerücht ist eine der ältesten Kommunikationsformen der Menschheit. Seine rein negative Bedeutung hat es erst in unserer Zeit erhalten, in der Antike war es als "fama" gleichzeitig der gute Ruf, der Ruhm - aber eben auch die üble Nachrede. Die Grundzutaten waren schon damals dieselben wie heute, sagt der Literaturwissenschaftler und Mitorganisator der Tagung, Jürgen Brokoff von der Uni Bonn:

    "Mit Sicherheit gehört zu der Rezeptur eine Prise Sex, eine Prise Crime eventuell; zu einem guten Gerücht gehört, dass es die notwendige Geschwindigkeit erreicht, dass es schnell durchläuft, sich wie ein Lauffeuer verbreitet, in Windeeile verbreitet, das heißt, die Verbreitungskanäle müssen auch gegeben sein."

    Ein Gerücht ist also in dem Moment erfolgreich, in dem es als solches wahrgenommen wird. Andernfalls verebbt es und bleibt wirkungslos. Durch das Internet haben sich die Ausgangsbedingungen für das Gerücht bedeutend verbessert: Chatrooms und Foren ermöglichen eine breitgefächerte und vor allem sehr schnelle Form der mündlichen Kommunikation. Und vielfach ist die Urheberschaft einer - vermeintlichen - Information nicht zurückzuverfolgen. Genau so, wie es sich für ein richtiges Gerücht gehört.

    An diesem Punkt kommt die Zwillingsschwester des Gerüchts ins Spiel: die Nachricht. Beide sind miteinander in einem sehr innigen, geradezu parasitären Abhängigkeitsverhältnis verbunden, sagt Irmela Schneider, Professorin für Medienwissenschaft an der Universität Köln:

    "Das Gerücht nährt sich von der Nachricht. Die Nachricht nährt sich vom Gerücht."

    Als prägnantes Beispiel dafür nennt sie die Berichterstattung über eventuell bevorstehende Terroranschläge.

    "An einem Tag haben Sie das Gerücht, es könnte was sein. Das verlangt, dass es geklärt wird, ist es nun eine Nachricht oder ist es keine Nachricht. Da nährt sich die Nachricht vom Gerücht. Und wenn es eine Nachricht ist, dann kommt das Gerücht wieder und nimmt die nächste Stufe und erzählt die Geschichte weiter. Diese Serialität von Nachricht und Gerücht funktioniert nur, wenn Sie sich das Wechselspiel von Gerücht und Nachricht klarmachen."

    Das führt dazu, dass Außenstehende angesichts der riesigen Menge von Informationen extreme Schwierigkeiten haben zu unterscheiden, was tatsächlich geschehen ist - und was nur vermutet wird. Gerade in Zeiten des Internets ist es unerlässlich, Lotsen durch das Wirrwarr von Gerüchten und Nachrichten zu haben. Mathias Mertens erläutert das am Beispiel des sogenannten Starr-Reports, in dem der Sonderermittler Kenneth Starr 1998 Einzelheiten des Lewinsky-Skandals um den früheren US-Präsidenten Clinton zusammengestellt hat.

    "Als der Starr-Report dann veröffentlicht wurde am Schluss, das heißt, jeder konnte Einsicht haben in diesen Report, stellten plötzlich alle fest: Was hab ich da eigentlich gelesen? Ich hab's gelesen, aber was ist denn daran eigentlich interessant - außer den Stellen mit den Zigarren. Und da brauchte ich dann doch wieder Journalisten, die mir erklären konnten, was daran brisant ist, was daran relevant ist."

    Ein wichtiger Unterschied besteht zwischen Gerücht und Klatsch, sagt Jürgen Brokoff:

    "Der Klatsch ist eher auf private Angelegenheiten von Personen bezogen, während das Gerücht eher institutionell angebunden ist. Das müssen keine politischen Institutionen sein, das kann auch die Schule sein oder der Verein. Das Gerücht hat aber in dem Sinne immer ein öffentliches Interesse."

    Während Klatsch und Tratsch eigentlich immer Konjunktur haben, brodelt die Gerüchteküche besonders in Krisenzeiten, wenn die wirtschaftliche, politische oder militärische Situation unklar ist. In dem Zusammenhang räumt Jürgen Brokoff auch gleich noch mit einem chauvinistischen Vorurteil auf:

    "Es gibt Untersuchungen, dass die Feldküchen in Kriegszeiten genau die Kommunikationspunkte, die Umschlagplätze für Nachrichten gewesen sind, womit man leicht zeigen könnte, dass nicht nur Frauen klatschen und Gerüchte verbreiten, sondern gerade vielleicht Männer, die dann auch noch komplett unter sich sind."

    Auch auf die Wirtschaft haben Gerüchte großen Einfluss. Alan Greenspan, der legendäre ehemalige Chef der amerikanischen Notenbank, konnte mit einer einzigen Äußerung ganze Märkte zusammenbrechen oder aufatmen lassen. Dabei wurde er nie wirklich konkret und antwortete generell nicht auf Nachfragen. Er bezeichnete das als die Fähigkeit, "mit großer Zusammenhanglosigkeit zu murmeln". Und öffnete Gerüchten damit Tür und Tor. Kein Wunder, sagt Birger Priddat, Professor für Politische Ökonomie an der Zeppelin Universität Friedrichshafen:

    "Gerüchte tun ja nur so, als wären sie Nachrichten. Sie erfüllen die Funktion von Nachrichten immer dann, wenn man unsicher ist. Dann hat man so viel Informationen, dass man nicht weiß, welche gilt. Und ein Gerücht klärt, weil es noch einmal den Horizont ändert."

    Es überrascht die Hörer und hat deshalb einen Informationswert. Und wenn plötzlich alle in eine Richtung gehen, dann klinkt sich auch der Einzelne ein in der Hoffnung auf Gewinn. Aber genau dieses Gemeinschaftsgefühl ist gefährlich, warnt Birger Priddat:

    "Wenn man mitschwimmt, muss man wissen, dass man hochriskant mitschwimmt. Man geht aber mit der sozial-psychologischen Idee rein "ich schwimme mit, also bin ich geborgen". Und das macht blind für den richtigen Moment zum Aussteigen."

    Die Tagung in Bonn hat den Beteiligten nach eigener Aussage in vielen Punkten neue Sichtweisen auf das Hören-Sagen ermöglicht. Und so beurteilen die Gerüchte-Forscher wie Professor Lorenz Engell aus Weimar ihre Zukunft dann auch sehr zuversichtlich:

    "Gut, sehr rosig! Je mehr die Massenkommunikation sich im Umbruch befindet, wie das ja jetzt der Fall ist, neue Medien, neue Formen, neue Weltordnung, wenn Sie so wollen, desto intensiver ist natürlich auch die Gerüchtekommunikation und deshalb wird ihre Erforschung vermutlich auch immer intensiver werden."