"Das Hauptproblem der deutschen Geschichte ist: Wir haben niemals einen König umgebracht."
So lautete eine flotte These des Berliner Historikers Wolfgang Wippermann beim Streitgespräch am Rande der Tagung "Kulturstaat und Bürgergesellschaft" - aber Wippermann bot noch schneidigere an.
"Wo heute Preußen draufsteht, ist häufig Anti-Demokratie drin. Und im Schwarz-Weißen ist häufig das Braune."
Damit wendete sich Wippermann gegen eine tatsächliche oder unterstellte Preußen-Renaissance, die Deutschland nach Christopher Clarks hochgelobtem Buch "Preußen. Aufstieg und Fall" seit dem letzten Jahr erfasst haben könnte. Auch das Magazin der "Süddeutschen Zeitung" hat sich ja jüngst gegen neopreußische Bizarrerien in Berlin und Umgebung gewandt und die ironiefreie Reportage "Reeeechts um!" überschrieben.
Wippermanns Chemnitzer Fachkollege Frank-Lothar Kroll wollte dieser Wahrnehmung in gutgelaunter Runde nicht folgen:
"Ich sehe weder in der Staatsymbolik noch in irgendwelchen anderen historiographischen Aufarbeitungsversuchen eine Verprussung. Wohl das Bemühen, dem preußischen Staat und der preußischen Geschichte wieder das zurückzugeben, was ihm gebührt, nämlich ein weitestgehend ein europäischer Normalfall zu sein und ihn sozusagen herauszunehmen aus der Rolle des Monsters und ihn dahinein zu rücken, wo er hingehört, nämlich ein Staat mit viel Licht und viel Schatten, wie jeder Staat."
Wippermann indessen gab nicht nach, sondern argumentierte moralisch:
"Das letzte ist immer, und das ist nun einmal so, dass jede Betrachtung deutscher Geschichte aus der Perspektive nach ’33 oder 33-45 ausgehen muss. Das geht ja gar nicht anders!"
Für diese Behauptung, Preußen nie ohne Hitler und Faschismus sehen, kassierte Wippermann den argumentativen Knockout. Frank-Lothar Kroll monierte, dass Wippermann die Geschichtsschreibung Preußens als "Archäologie der Demokratie" beziehungsweise des Dritten Reichs betreibe, also mit Bewertungskriterien operiere, die erst nach 1918 beziehungsweise 1933 volle Bedeutung erlangen.
Und Christopher Clark wehrte sich ebenfalls gegen den Fokus Faschismus.
"Das Problem, wenn man sich zu sehr die Sache von diesem Blickwinkel aus betrachtet, ist: Alles gerät dann in eine binäre Logik. Es muss alles entweder fortschrittlich oder rückständig sein. Wenn man aus diesem Blickwinkel die Sache betrachtet, muss man immer die Frage stellen, bist du gut für Deutschlands Weg in eine glückliche, liberale, westeuropäische Demokratie oder zählst du zu den Feinden der Freiheit? Bist du sozusagen ein Vorbereiter des Weges nach 1933."
Das Streitgespräch war indessen ein isoliertes Einsprengsel im Rahmen der friedlich-trockenen Tagung "Kulturstaat und Bürgergesellschaft". Laut Tagungsleiterin Barbara Holtz verfolgt das Projekt "Preußen als Kulturstaat" insgesamt keinesfalls die Absicht, die gängige Preußenrezeption zu schleifen.
"Unser Anliegen war, als wir dieses Projekt entworfen haben, das wissenschaftliche wie öffentliche Bild von Preußen zu komplettieren. Es war von vorneherein nicht das Motiv, den Militärstaat Preußen in Frage zu stellen und zu sagen, das Bild muss ich völlig ändern. Sondern es ging darum, dem Staat Preußen als Militärstaat das Bild des Kulturstaates hinzufügen, gegenzusetzen oder eben abzugleichen."
Auf der Tagung wurde gezeigt, dass das im Jahr 1817 gegründete Kultusministerium weder von oben oktroyiert wurde, noch aus rein bürgerlichem Engagement entsprang. Es entstand vielmehr im Anschluss an Überlegungen des Freiherrn von Steins zunächst durch einen innerbehördlichen Akt. Und als es zum kulturellen und wissenschaftlichen Glanz Preußens in der ganzen Welt beitrug, blieb es eine gemischte Einflusssphäre, an der monarchische, bürgerliche und behördliche Kräfte teilhatten. Barbar Holtz:
"Wissenschaft, Bildung, das waren Felder, wo der Staat wusste und das auch für sich beanspruchte, dafür einzutreten, diese zu pflegen und auch natürlich zu fördern und auszugestalten."
Es steht nicht zu erwarten, dass innerhalb des Projekts "Preußen als Kulturstaat" weltbewegende Institutionskrimis geschrieben werden. Die Akademie stilisiert auch keinen bürgerlich-engagierten Patentpreußen, den sich die neuen Preußenfans zum Vorbild nehmen könnten. Und um "rechts-um!" geht es schon mal gar nicht.
Christopher Clark gab für die Geschichtsschreibung kein ideologisches, sondern ein geradezu poetisches Ziel aus. Vielleicht könnte es ja darum gehen.
"Dass man dort das Gefühl hat, die Vergangenheit leistet uns Gesellschaft. Das sind die Unsrigen, sie gibt es nicht mehr, aber wir sind nicht allein, wir sind nicht die ersten, die an diesem Ort stehen, sondern es waren andere da. Das wünsch ich mir eigentlich für Preußen, dass es nicht politisiert wird."
So lautete eine flotte These des Berliner Historikers Wolfgang Wippermann beim Streitgespräch am Rande der Tagung "Kulturstaat und Bürgergesellschaft" - aber Wippermann bot noch schneidigere an.
"Wo heute Preußen draufsteht, ist häufig Anti-Demokratie drin. Und im Schwarz-Weißen ist häufig das Braune."
Damit wendete sich Wippermann gegen eine tatsächliche oder unterstellte Preußen-Renaissance, die Deutschland nach Christopher Clarks hochgelobtem Buch "Preußen. Aufstieg und Fall" seit dem letzten Jahr erfasst haben könnte. Auch das Magazin der "Süddeutschen Zeitung" hat sich ja jüngst gegen neopreußische Bizarrerien in Berlin und Umgebung gewandt und die ironiefreie Reportage "Reeeechts um!" überschrieben.
Wippermanns Chemnitzer Fachkollege Frank-Lothar Kroll wollte dieser Wahrnehmung in gutgelaunter Runde nicht folgen:
"Ich sehe weder in der Staatsymbolik noch in irgendwelchen anderen historiographischen Aufarbeitungsversuchen eine Verprussung. Wohl das Bemühen, dem preußischen Staat und der preußischen Geschichte wieder das zurückzugeben, was ihm gebührt, nämlich ein weitestgehend ein europäischer Normalfall zu sein und ihn sozusagen herauszunehmen aus der Rolle des Monsters und ihn dahinein zu rücken, wo er hingehört, nämlich ein Staat mit viel Licht und viel Schatten, wie jeder Staat."
Wippermann indessen gab nicht nach, sondern argumentierte moralisch:
"Das letzte ist immer, und das ist nun einmal so, dass jede Betrachtung deutscher Geschichte aus der Perspektive nach ’33 oder 33-45 ausgehen muss. Das geht ja gar nicht anders!"
Für diese Behauptung, Preußen nie ohne Hitler und Faschismus sehen, kassierte Wippermann den argumentativen Knockout. Frank-Lothar Kroll monierte, dass Wippermann die Geschichtsschreibung Preußens als "Archäologie der Demokratie" beziehungsweise des Dritten Reichs betreibe, also mit Bewertungskriterien operiere, die erst nach 1918 beziehungsweise 1933 volle Bedeutung erlangen.
Und Christopher Clark wehrte sich ebenfalls gegen den Fokus Faschismus.
"Das Problem, wenn man sich zu sehr die Sache von diesem Blickwinkel aus betrachtet, ist: Alles gerät dann in eine binäre Logik. Es muss alles entweder fortschrittlich oder rückständig sein. Wenn man aus diesem Blickwinkel die Sache betrachtet, muss man immer die Frage stellen, bist du gut für Deutschlands Weg in eine glückliche, liberale, westeuropäische Demokratie oder zählst du zu den Feinden der Freiheit? Bist du sozusagen ein Vorbereiter des Weges nach 1933."
Das Streitgespräch war indessen ein isoliertes Einsprengsel im Rahmen der friedlich-trockenen Tagung "Kulturstaat und Bürgergesellschaft". Laut Tagungsleiterin Barbara Holtz verfolgt das Projekt "Preußen als Kulturstaat" insgesamt keinesfalls die Absicht, die gängige Preußenrezeption zu schleifen.
"Unser Anliegen war, als wir dieses Projekt entworfen haben, das wissenschaftliche wie öffentliche Bild von Preußen zu komplettieren. Es war von vorneherein nicht das Motiv, den Militärstaat Preußen in Frage zu stellen und zu sagen, das Bild muss ich völlig ändern. Sondern es ging darum, dem Staat Preußen als Militärstaat das Bild des Kulturstaates hinzufügen, gegenzusetzen oder eben abzugleichen."
Auf der Tagung wurde gezeigt, dass das im Jahr 1817 gegründete Kultusministerium weder von oben oktroyiert wurde, noch aus rein bürgerlichem Engagement entsprang. Es entstand vielmehr im Anschluss an Überlegungen des Freiherrn von Steins zunächst durch einen innerbehördlichen Akt. Und als es zum kulturellen und wissenschaftlichen Glanz Preußens in der ganzen Welt beitrug, blieb es eine gemischte Einflusssphäre, an der monarchische, bürgerliche und behördliche Kräfte teilhatten. Barbar Holtz:
"Wissenschaft, Bildung, das waren Felder, wo der Staat wusste und das auch für sich beanspruchte, dafür einzutreten, diese zu pflegen und auch natürlich zu fördern und auszugestalten."
Es steht nicht zu erwarten, dass innerhalb des Projekts "Preußen als Kulturstaat" weltbewegende Institutionskrimis geschrieben werden. Die Akademie stilisiert auch keinen bürgerlich-engagierten Patentpreußen, den sich die neuen Preußenfans zum Vorbild nehmen könnten. Und um "rechts-um!" geht es schon mal gar nicht.
Christopher Clark gab für die Geschichtsschreibung kein ideologisches, sondern ein geradezu poetisches Ziel aus. Vielleicht könnte es ja darum gehen.
"Dass man dort das Gefühl hat, die Vergangenheit leistet uns Gesellschaft. Das sind die Unsrigen, sie gibt es nicht mehr, aber wir sind nicht allein, wir sind nicht die ersten, die an diesem Ort stehen, sondern es waren andere da. Das wünsch ich mir eigentlich für Preußen, dass es nicht politisiert wird."