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Mehr als nur Daumenkino

''Die Gefahr eines papierlosen Büros sei so groß wie die des papierlosen Klos'', scherzte einmal Professor Peter Glotz und traf damit sicher ins Ziel des Alltags. Trotz des Siegeszuges von Computer und Monitor, die eigentlich in allen Büros Gedrucktes durch Digitales ersetzen sollten, steigt der Papierverbrauch konstant weiter an. Offenbar bevorzugt der Leser Greifbares, womöglich, um es mit Bleistift und Marker zu schmücken und so besser verdaulich zu machen. Was der Computerära bislang nicht gelang, dass soll bald das so genannte ''E-Papier'' dann doch noch vollbringen. Wie das Unternehmen Philips jetzt zeigte, ist seine Lösung so ausgereift, dass damit sogar Filme betrachtet werden können.

Michael Gessat |
    Das papierlose Büro hat die Computertechnik nicht gebracht - ganz im Gegenteil. Das traditionelle Medium hat offensichtlich einige entscheidende Vorzüge: Es ist zwar auf eine Beleuchtung von aussen angewiesen, bietet dafür aber exzellente Lesbarkeit, hohen Kontrast, ist leicht, dünn und flexibel. Genau das sind auch die Eigenschaften von elektronischem Papier oder e-paper. Die bisher vorgestellten Entwicklungen hatten allerdings einen Nachteil: Die Bildansteuerung war relativ träge. Ein völlig neues Konzept kommt aus dem Labor des Elektronikkonzerns Philips und soll sogar Videodarstellung möglich machen.

    Elektrowetting ist eine Methode, Flüssigkeiten mit einer niedrigen Spannung, etwa mit einer Batterie, zu manipulieren, und das ist auch die technische Grundlage unseres Elektrowetting-Displays.

    ... erläutert Robert Hayes im Philips Forschungszentrum in Eindhoven. Und so scheint denn auch das neuartige e-paper-Konzept zunächst eine recht flüssige und labile Angelegenheit zu sein. Jedes Pixel, also jeder einzelne Bildpunkt, ist nämlich wie eine winzige quadratische Wanne aufgebaut. Den Boden bildet ein weisses Substrat, das für die Lichtreflexion sorgt. Darüber liegt eine durchsichtige Elektrode, die mit einer ebenfalls transparenten, wasserabstossenden Isolationsschicht überzogen ist. Und im Becken ist ein wenig farbiges Öl und eine kleine Menge Wasser. Den Abschluss macht eine wiederum durchsichtige Deckschicht. Wasser und Öl mischen sich nicht. Die Flüssigkeiten sind voneinander getrennt, das farbige Öl bedeckt vollständig den wasserabstossenden Boden und verdeckt damit das Weiss des Untergrunds. Ein solches Pixel im Grundzustand ist also - abhängig von der Ölbeschaffenheit - dunkel farbig oder nahezu schwarz. Das Ganze kann man übrigens trotz aller Flüssigkeit völlig unbesorgt in allen Richtungen bewegen oder auf den Kopf stellen, so Robert Hayes:

    Da wir in einem kapillaren Grössenbereich und mit Pixeln kleiner als ein Millimeter zu tun haben, ist klar, dass wir uns um den Einfluss der Gravitation keine Sorge machen müssen.

    Die vermeintlich schwachen Kapillarkräfte sind nämlich in Mikrostrukturen wesentlich stärker wirksam als die Schwerkraft. Nun kommt die Flüssigkeitsmanipulation, das "Electrowetting" ins Spiel. Wenn eine Spannung zwischen Elektrode und Wasser angelegt wird, verschiebt sich die Energiebilanz des Systems. Das Wasser bewegt sich in Richtung Boden und verdrängt dabei die Ölschicht, die sich zu einem Tropfen aufwölbt. Der Untergrund scheint durch, das Pixel erscheint für den Betrachter heller; bei maximaler Kompression des Öls schliesslich weiss. Das funktioniert praktisch proportional zur angelegten Spannung, und auch umgekehrt: Sobald der Strom reduziert oder abgeschaltet wird, geht die Zelle in den Ausgangszustand zurück.

    Was das Verhalten unserer Pixel bestimmt, ist allein das Wechselspiel zwischen elektrischer Kraft, die von der angelegten Spannung abhängt, und der kapillaren Rückstellkraft, die durch die verwendeten Materialien bestimmt wird. Diese Balance zwischen Kapillarkraft und elektrischer Kraft beeinflusst die Schaltgeschwindigkeit unserer Pixel, das elektrooptische Verhalten und eine ganze Reihe von anderen Parametern unseres Displays.

    Diese Eigenschaften können sich schon sehen lassen: Der erzielbare Kontrast entspricht dem von bedrucktem Papier, die Auflösung erreicht 160 Pixel pro Inch, das sind rund sechs Bildpunkte pro Millimeter und die Pixel reagieren innerhalb von 10 Millisekunden, während Spannung und Stromaufnahme nur sehr gering sind. Hayes und seine Kollegen arbeiten schon an einer technisch sehr aufwendigen, aber auch besonders vielversprechenden Weiterentwicklung: Es lassen sich nämlich auch zwei Ölschichten, sprich zwei Farben übereinander kombinieren und separat ansteuern. Die Farbmischung funktioniert dann -wie beim Druck auf herkömmlichem Papier- nach dem subtraktiven Prinzip mit den Farben Cyan-Magenta-Gelb. Und während bei der additiven Rot-Grün-Blau-Farbmischung der gebräuchlichen LCD-Bildschirme eine monochrome Bildfläche praktisch nur von einem Drittel der Pixel erzeugt wird,sind beim subtraktiven Prinzip zwei Drittel der Bildpunkte mit im Spiel. Das Resultat: Die Anzeige ist brillanter. In etwa drei Jahren, so schätzt Robert Hayes, werden erste Electrowetting-Displays auf den Markt kommen. Und so wird man vielleicht bald nicht nur die Filmkritik, sondern auch einen Filmausschnitt in der morgendlichen e-paper-Zeitung finden:

    Ich denke, diese Technologie stellt eine sehr gute Möglichkeit dar, Videosequenzen - in Farbe - in einer Form von elektronischen Papier darzustellen,und das wird auch sicherlich der Schwerpunkt der zukünftigen Entwicklungsarbeit sein.