Donnerstag, 28. März 2024

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Mehr als nur Pfauenaugen

Farbe entsteht bei uns im Kopf, das stellt der Künstler Olaf Nicolai unter Beweis. Nicolai liebt das Spiel mit den Sinnen. Zu sehen sind seine Werke in einer Ausstellung in der Kunsthalle Münster, die dazu mit flauschigem Teppich und schweren Vorhängen ausstaffiert wurde.

Christiane Vielhaber im Gespräch mit Michael Köhler | 12.06.2012
    Michael Köhler: "Lautlos nahte sich das nie Geglaubte" - so dichtet Rainer Maria Rilke über das Einhorn. Der Künstler, um den es jetzt geht, der hat auch mal ein Einhorn in eine weiße Kunsthalle gelegt, Frau Vielhaber, wenn ich das richtig erinnere, aber da lag es nicht so fabelhaft schön herum, sondern war schwarz und kaum magisch, eher etwas unglaubhaft. Raumfüllende Installationen, das ist Kunst des 50-jährigen Berliner Künstlers Olaf Nicolai. Sie merken: Ich drücke mich schon um das Wort Installations- und Konzeptkunst. Erklären Sie mir: Was hat er in Münster in der Kunsthalle diesmal angestellt?

    Christiane Vielhaber: Vielleicht hilft Ihnen das weiter, dass Olaf Nicolai seit 2011 eine Professur für dreidimensionales Gestalten in München hat, und da sind wir eigentlich schon nahe dran. Was seine Kunst oder sein Nachdenken über Kunst auszeichnet, ist das Verwenden von wissenschaftlichen Erkenntnissen, das Verwenden von Erkenntnissen über die menschliche Wahrnehmung, aber letztlich auch der Spaß, irgendwie daraus etwas Ästhetisches zu gestalten. Und so geht es sofort los in Münster. Ich komme rein in diesen großen Raum, der eigentlich sonst so richtig roh und relativ brutal ist, sie haben noch diese Speicherarchitektur da im Hafen, und plötzlich gehen Sie wie auf Puschen. Unten ist ein mausgrauer Teppich, diese ganze Halle ist mit einem Teppich ausgelegt, und das ist ja schon was sehr Sinnliches, wenn Sie da so weich drübergehen.

    Köhler: Wirklich so dick, flauschig, federnd?

    Vielhaber: Ja! Und das war jetzt kurz vor der Eröffnung, da ist er dann noch ganz flauschig, waren auch noch keine Flecken und gar nichts, also so wie bei einem Neubau hochflorig. – Und in diesem Raum hängen sieben große schwere Vorhänge, und die hängen so, wenn ich reinkomme, dass ich mich frage, gehe ich jetzt rechts herum, oder gehe ich links herum. Also ich laufe erst mal auf so einen Vorhang zu und ich sehe diesen Vorhang von hinten und ich sehe, dass das so Trisalien sind, also dass das grau in grau wie früher die mittelalterlichen Altartafeln von hinten sind, alle möglichen Grautöne, schwarz und ein verwaschenes Weiß.

    Köhler: Und so dünne Seidendinger oder schweres dickes Brokat?

    Vielhaber: Schweres dickes Brokat und sie changieren, dadurch, dass in dieser Baumwolle auch ein bisschen Seide mit drin ist. Und ich erkenne, das ist so ein bisschen Jugendstilmuster, ich kannte das auch von Porzellandekor aus der Jugendstilzeit, also das Pfauenauge. Und dann sehe ich diese acht Meter langen, etwas unterschiedlichen hohen Vorhänge in diesem Raum nahezu schweben und ich denke, was soll das. Ich sehe also dieses Pfauenauge und in meiner Vorstellung ist das, was den Pfau auszeichnet, nicht nur das Stolzieren oder das stolze Herumgehen, sondern das Radschlagen, und dass das in allen Regenbogenfarben eigentlich oszilliert - hier jetzt also grau. Und dann entdecke ich, nachdem ich das so gesehen habe, wahrgenommen habe, eigentlich wie eine theatralische Kulisse mit ein bisschen Dramaturgie, denn geleitet werde ich irgendwie schon. Es gibt drei Inseln, von denen ich immer nur zwei auf einmal sehen kann oder nur eine, und das sind niedere Podeste, die knapp überm Boden stehen.

    Köhler: Kniehöhe?

    Vielhaber: Tiefer. Bei Ihnen wäre das wahrscheinlich Knöchel, bei mir noch etwas tiefer.

    Köhler: Jetzt haben Sie verraten, dass ich ein langer Kerl bin. – Okay, weiter!

    Vielhaber: Auf diesen Podesten, auf diesen Inseln liegen, ich sage jetzt mal, farbige Kladden.

    Köhler: Schulhefte?

    Vielhaber: Ja, die Größe von Schulheften, und die sind außen regenbogenfarbig. Nicht alle gleich, eher alle so gelblich-grünlich oder magentarötlich oder bläulich, aber alle ganz unterschiedlich. Und dann liegen da – ich habe erst noch gedacht, wer hat da sein Tempotaschentuch liegen lassen zwischen diesen Heftchen – weiße Handschuhe, damit Sie diese wertvollen Heftchen in die Hand nehmen können und durchblättern können. Und wenn Sie jetzt erwarten, dass da irgendwelche Bilder drin erscheinen, oder irgendwelche Texte? – Nein, Sie haben die reine Farbe in der Hand.

    Köhler: Davon liegen aber ganz viele da herum?

    Vielhaber: 400 Stück. Auf dem ersten Podest sind höhere Stapel und auf den anderen Podesten liegt immer nur eins, also liegen die nebeneinander, aber nur jeweils ein Heft nebeneinander. Und wie kommt es dazu? – Diese Hefte sind gedruckt in Irisdruck. Wenn ich mich vorher schlaugemacht hätte, hätte ich vielleicht ein bisschen mehr gewusst; hinterher habe ich es jetzt auch nicht so ganz gerafft. Ich weiß nur, dass Irisdruck folgendermaßen passiert, dass sie drei Farben nebeneinander wie Tapeten auf Stoß streichen, und zwar Magenta, dann Gelb und Cyan ist so ein Blau auf Stoß. Und dann kommt die Walze drüber und dann verteilt sich an den Rändern die Farbe, die vermischt sich, dass in der Mitte immer nur ein klarer Streifen ist, aber an den Rändern können Sie überhaupt nicht mehr sagen, welche Farbe ist das, neben welcher Farbe hat das gelegen.

    Köhler: Sie haben es sehr schön beschrieben. Wir haben uns jetzt gedrückt vor der Frage, ob das über diesen ästhetischen Genuss hinaus noch einen Mehrwert bietet. Also eine große Wahrnehmungsschule?

    Vielhaber: Ja, aber zum Beispiel auch die Auseinandersetzung mit Darwin und dem Pfau. Der Pfau ist ja nun ein Federvieh, was zu nichts taugt. Der kann nicht fliegen, ...

    Köhler: Der imponiert da nutzlos.

    Vielhaber: ... , und das würde ja bedeuten, der hat so viele Feinde, wenn der so bunt herumläuft – warum lebt der eigentlich noch, warum funktioniert da die Auslese nicht, die Auslese der stärksten. – Wahrscheinlich, weil die Frauen ihn so lieben. – Und sehen Sie: Der Pfau hat kein buntes Gefieder, das Gefieder ist grau, nur an diesen Federn sind ganz kleine kristalline Stäbchen. Und wenn dann das Licht sich da bricht, dann haben wir das Gefühl, das sind die Regenbogenfarben, und davon handelt letztlich auch diese Ausstellung, dass wir Farbe nie alleine sehen oder Farbe nicht einem Objekt zuordnen können, sondern Farbe entsteht bei uns im Kopf.

    Köhler: Olaf Nicolai, mehr als nur Pfauenaugen, in Münster in der Kunsthalle. Christiane Vielhaber war das.

    Weiter Informatioen zur Ausstellung von Olaf Nicolai in der Kunsthalle Münster