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Mehr als Superman, Asterix und Co.

Viele Städte leisten sich ein Comicfestival. Da gibt es dann immer ein paar große Namen mit eher leicht verdaulichen Werken, die das breite Publikum anziehen sollen. Das Hamburger Comicfestival tickt da anders. Die Künstler organisieren das Festival selbst und zeigen alternative Comic-Kunst.

Von Sven Barske | 01.10.2013
    Die Stresemannstraße im Hamburger Schanzenviertel. Eine der meistbefahrenen Verkehrsachsen der Stadt. Rund 70.000 Autos brettern täglich hier lang. Auf den Treppenstufen zum Souterrain eines heruntergekommenen Hauses liegen alte Kippen, Herbstlaub und Laub, das aus weißem Papier ausgeschnitten ist.

    "Das war Hollys Idee. Wir haben uns gefragt, oder er hat sich gefragt: Soll er die Treppe sauber machen oder einfach ein paar Blätter dazulegen und das Ganze inszenieren? Und da hat er halt lieber ein paar Blätter dazugelegt."

    Der Künstler Holly hat hier im Keller eine kleine Werkstatt. An den Wänden hängen die Lampen, die er aus gefaltetem Papier herstellt. Und für ein paar Tage hängen hier auch große Papiere mit Grafitzeichnungen der Hamburger Comic-Künstlerin Marijpol. Sie zeigen die Geschichte eines Kindes, das ganz allein in einer Welt alter Menschen lebt.

    "Es ist nicht so düster, wie es sich anhört!"

    Marijpol findet nichts Bedrohliches an dieser Comic-Erzählung.

    "Ja, man muss es auch lesen. Dann merkt man, dass die alle ganz nett sind. Das sind die Nachbarn. Die machen da Campingurlaub, und der kleine Junge macht eine Runde bei den Nachbarn, weil das Salatöl ihnen ausgegangen ist."

    Die Comicbilder in der Kellerwerkstatt sind Teil des Hamburger Comicfestivals, das auch an ungewöhnlichen Orten Ausstellungen zeigt. In Buch- und Fahrradläden, Restaurants, Cafés und eben Werkstätten. Satelliten nennen die Festivalmacher diese Ausstellungen. Comiczeichner Sascha Hommer gehört zu den Organisatoren des Festivals.

    "Das, was uns als besonders hervorstechend entgegenkommt, das wollen wir auf unserem Festival zeigen. Und dem Publikum auch durchaus Dinge präsentieren, die sie noch nicht von jeder Straßenecke vom Kiosk kennen. Wo das Publikum auch noch Neues entdecken kann."

    Wir sind mittlerweile ein paar Ecken weitergegangen, ins Schulterblatt, die Flaniermeile des Schanzenviertels. Hier im Schaufenster einer Buchhandlung hängen Radierungen eines Kunststudenten, direkt neben dem quietschenden Postkartenständer mit den Hafenmotiven.

    "Das ist auch der Gedanke bei den Satelliten. Dass wir im öffentlichen Straßenbild auch präsent sind. Also wirklich in den Schaufenster und den Läden. Wo einfach viel Publikum verkehrt."

    Arne Bellstorf hilft schon seit einigen Jahren bei der Organisation des Festivals. Er zeichnet selbst Comics, wie viele der Organisatoren. Sie alle arbeiten ehrenamtlich, erzählt sein Kollege Sascha Hommer.

    "Man könnte das Festival auch Produzentenfestival nennen. In dem Sinne, wie man auch von Produzentengalerien spricht. Fast alle, die mit im Orga-Team sind, sind selbst Künstler in irgendeinem Sinne. Und daher ergibt sich aus der persönlichen Auswahl auch ne Linie, die nach außen hin relativ klar erkennbar ist."

    Das ist zum einen junge, noch unbekannte Künstler zu zeigen. Und zum anderen autobiografische und dokumentarische Stoffe. Geschichten, die einen literarischen Zugang zu ihrem Thema suchen. Wie bei den drei Stars des Festivals, die mit Einzelausstellungen und Künstlergesprächen gewürdigt werden: Rutu Modan, Peggy Adam und Geneviève Castrée. Sie alle machen anspruchsvolle Graphic Novels.

    "Der Vordergrund der Geschichten sind oft persönliche Geschichten. Aber den Hintergrund der Geschichten bilden oft Gesellschaftsporträts."

    Die Kanadierin Geneviève Castrée erzählt in ihrem aktuellen Buch vom Leben eines Mädchens, das bei seiner überforderten Mutter und einem feindseligen Stiefvater aufwächst. Dass ihr Verlag ihr eine Reise zum Comicfestival nach Hamburg spendiert, findet sie großartig.

    Für viele Comiczeichner seien Events wie dieses wirklich aufregend. Weil sie die Möglichkeit bekommen, mal zu verreisen. Die Comiczeichner verdienten nicht viel und kämen nicht viel rum. Und besonders toll sei es, den Leuten von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten, die die eigenen Bücher lesen. Dann fühle sie sich nicht so allein, wenn sie wieder in ihr Atelier geht und zeichnet.

    Im Augenblick liest sie selbst fast nur Comics von Frauen. Und auch deshalb freut sie sich über ihre Reise nach Hamburg. Es sei nicht mehr so langweilig, auf Comicfestivals zu gehen. Denn dort gebe es aufregende Ladys, mit denen sie sich unterhalten kann. Manchmal gehe es in der Comicszene nur noch um Comics, und mit all den Frauen, die sie auf den Festivals trifft, könne sie sich so fantastisch unterhalten – einfach übers Leben. Nicht nur über Comics. Aber natürlich bekommen auch die Männer eine Menge übers Leben mit auf diesem Festival, das neben einer Messe auch Workshops, Lesungen und Podiumsdiskussionen bietet.