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Mehr als "Szenen einer Ehe"

Suche, Leiden, Einsamkeit - das waren die Motive des schwedischen Regisseurs Ingmar Bergman. Der Einfluss des rastlosen Schweden ist auch heute noch groß. Nachdem er in den 50er- und 60er-Jahren das Kino revolutionierte wandte er sich auch dem Theater zu. Zwei Jahre nach seinem Tod würdigt Stockholm Bergman mit einem Theaterfestival.

Von Agnes Bührig | 02.06.2009
    Karin hat gerade eine psychiatrische Klinik verlassen. Ihre Sommerferien verbringt mit ihrem Mann Martin, ihrem Vater David und ihrem Bruder Fredrik auf einer Insel. Ihr Vater ist Schriftsteller und will die Krankheitsgeschichte seiner Tochter für einen Roman nutzen, ein Umstand, den Karin aus seinem Tagebuch erfährt. Das Psychogramm einer Familie, das Ingmar Bergman 1961 unter dem Titel "Wie in einem Spiegel" inszeniert, wird Michael Attenborough nächstes Jahr am Londoner Almeida Theater auf die Bühne bringen. Dramaturgin Jennie Worton plant derzeit die Umsetzung:

    "Mein Instinkt sagt mir, dass wir sehr minimalistisch inszenieren werden. Was das Bühnenbild angeht, habe ich mit dem Regisseur diskutiert, ob es ein Haus mit Zimmern geben wird. Wir haben auch über sehr zurückgenommene Requisiten gesprochen, die sich in der Schwärze des Raums verlieren. Damit könnte man die Isolation der Figuren ausdrücken, die Brutalität und Schönheit der Insel zugleich."

    Psychologisch dichte Kammerspiele sind das Markenzeichen von Ingmar Bergman. Regisseur Andreas Kriegenburg vom Thalia-Theater in Hamburg wählt eine raffinierte Rückblendentechnik für seine Bühnenadaption des Bergmanstreifens "Das Leben der Marionetten" über eine kriselnde Beziehung, die in einem Mord an einer Prostituierten kulminiert. Ivo van Hove von der Toneelgroep aus Amsterdam hat sich in letzter Zeit der Plots von Filmemachern wie Cassavetes, Visconti und Antonioni bedient. Bergmans "Schreie und Flüstern" von 1972 inszeniert er als schreiendes Videohappening, das er mit geschäftigem Schweigen kontrastiert:

    "Die Intensität des Sterbens habe ich im Theater nirgendwo in solch einer Dichte gesehen wie ihn diesem Bergmanfilm. Den Film aber haben wir bei der Erarbeitung des Stücks ganz ausgeklammert und nur mit dem Text gearbeitet, versucht, diesen alten Stoff in der heutigen Zeit zu inszenieren, mehr als 30 Jahre später. Anders als im Film ging es mir um die Ausdrucksmöglichkeiten der sterbenden Malerin Agnes, die im Todeskampf ihr letztes Bild malt."

    Es sind diese existentialistischen Sujets, die das Werk des schwedischen Filmregisseurs unsterblich machen. Auch, wenn ihr Ursprungstext eine Menge von seiner schwedischen Fassung verliert, wenn sich Übersetzer, Dramaturgen und Regisseure über ihn hermachen. So zumindest lautete der Tenor einer Theaterrunde, die Bergmans Erbe diskutierte und nicht über die Problematik des Transferierens von Bergmans Texten hinauskam. Ob man Stoffe wie "Szenen einer Ehe", heute noch braucht, darüber gehen die Meinungen unter Theatermachern auseinander. Jennie Worton, Dramaturgin der jüngeren Generation, findet das Beziehungsdrama aus den 70er-Jahren wenig spannend:

    "Ich habe den Film nicht gesehen, vor sieben Jahren aber das Drehbuch gelesen. Ich erinnere mich, dass ich es nicht besonders relevant gefunden habe. Es war eine privilegierte Konversation, angetrieben von Angst, geführt von Menschen, die so erfolgreich im Leben sind, dass sie nichts besseres zu tun haben, als ihre eigenen Probleme zu analysieren. Spannender finde ich "Wilde Erdbeeren", wo es um Erinnerung und die Konfrontation von Jung und Alt geht. Das ist ein wichtiges Thema, dem jeder irgendwann einmal ins Auge schauen muss."

    Für die schwedische Hauptstadt, arm an international hochkarätigen Gastspielen, ist das Festival eine Bereicherung - soviel kann man nach der ersten Halbzeit sagen. Auch für die europäische Theaterszene bietet es eine neue Plattform für den Austausch. Allerdings hat sich der ehemalige Intendant der Nationalbühne Dramaten, Staffan Valdemar Holm, arg viel vorgenommen. Das Angebot reicht von der Aufführung von Heiner Müllers Quartett für die Festspiele in Salzburg bis hin zur Analyse von Barack Obamas Siegesrede in Chicago in einem Workshop europäischer Theatermacher. Ob der Name Bergman ausreicht, um in zwei Jahren eine Neuauflage zu arrangieren, wird sich zeigen.