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"Mehr Bars, mehr Wi-Fi, mehr Biomärkte!"

Vor allem in Berlin gelten Zugezogene und sogenannte Hipster als Ursache der Gentrifizierung - der baulichen Aufwertung von Stadtbezirken inklusive Mietsteigerungen. Gegen diese Schuldzuweisung wehrt sich nun die "Hipster Antifa" in Neukölln.

Von Johannes Nichelmann | 21.08.2012
    Jonas: "Was für ein Passwort?"

    Jannek: "Für die Facebook-Seite. Ach, Du kannst Dich ja dann selber einloggen und dann..."

    Jonas und Jannek sitzen in einem Café in Berlin Neukölln. Um sie herum heruntergekommene Häuser und frisch sanierte Fassaden. Sie werfen einen Blick auf ihre Facebook-Gruppe. Hier sammeln sie Fotos. Aufnahmen von fremdenfeindlichen Graffitis und Aufklebern aus der ganzen Stadt. "Touristen fisten", "Kein Herz für Touris", "Yuppies raus". Es geht um die Menschen, die für einige Bewohner der Hauptstadt die Hauptschuld an der Gentrifizierung tragen.

    Jonas: "Und diese Schuldigen werden identifiziert als - zumeist in den sehr klischeeaufgeladenen Personengruppen - Hipster, Schwaben und Touris."

    Jannek: "Zugezogene auch."

    Jonas: "Genau."

    Der Student Jonas - groß gewachsen, schwarzer Stoppelbart und der Sozialarbeiter Jannek - mit kahlem Kopf und weißer Sonnenbrille - gehören zu den Zugezogenen und - der Begriff ist dehnbar - zur Subkultur der Hipster. Sie haben eine Gruppe namens "Hipster Antifa Neukölln" gegründet. Ihre Botschaft: Die Aufwertung der Kieze ist nützlich und sinnvoll. Weder Touristen, noch Zugezogene oder eben Hipster tragen große Schuld an diesem Prozess - erklären die beiden. Es würde auf keinen Fall schaden, wenn Leute mit einem festen Einkommen hier wohnen.

    Jannek: "Wir begegnen oft der Frage, wie lange wir denn schon in Berlin wohnen. Ob wir als echte Berliner gelten, ob wir uns das Recht überhaupt rausnehmen dürfen uns dazu zu äußern. Das finden wir auch ganz interessant, dass uns diese Frage immer wieder begegnet. Ich würde sagen, wir sind einfach Berliner."

    Jonas: "Wir glauben auch, dass es wichtig ist, um eben Elend und Armut nicht zu idealisieren und zu erhaltenswerten Umständen zu erklären, sondern daran zu arbeiten und Elend und Armut abzuschaffen. Dazu gehört eben auch, dass es aufgewertete Infrastrukturen gibt."

    Jannek: "Also, wir denken, dass Umziehen etwas relativ normales ist. Viele Menschen ziehen um, weil sie irgendwo einen Studienplatz kriegen, weil sie irgendwo einen Arbeitsplatz nehmen müssen. Es ist eigentlich in unserer Gesellschaft normal und wenn man diese Normalität sich genauer mal anguckt, dann würde man vielleicht zu anderen Antworten kommen, als die Antworten, die die Leute schnell parat haben."

    Eigentlich heißen sie gar nicht Jonas und Jannek - ihre echten Namen wollen sie nicht verraten. Wir haben schon ein wenig Angst, meinen sie. Mit unserem Anliegen machen wir uns nicht gerade viele Freunde. Ihrer Gruppe im sozialen Netzwerk folgen inzwischen mehr als 2000 Menschen. Nicht zuletzt durch ein großes Medienecho in den letzten Wochen. Ihr Anliegen hat die Hipster Antifa Neukölln, ganz wie bei ihren Kollegen von der "anderen" Antifa üblich, auf einem Aufkleber zusammengefasst.

    Jannek: "Ja, wir haben in dieser Kneipe Sticker von uns hinterlegt, die man sich so abholen kann, die man überall verkleben kann. Und da steht eben drauf, also auch als Provokation: 'Kieze aufwerten, mehr Bars, mehr Wi-Fi, mehr Biomärkte' und dann unsere Facebook-Adresse. Auf dem Sticker ist zu sehen, ja, drei alliierte Besatzungssoldaten, die irgendwie nach dem Krieg irgendwo an einem Tisch sitzen und sich zuprosten und der Slogan dadrunter: 'Tourists, Hipster, Schwaben - Everybody is welcome. Party like it's 1945'. Und das ist natürlich auch eine Provokation."

    Genau wie der Name der Initiative an sich. Die Provokation funktioniert. Aus der linken Szene sind Videos aufgetaucht, auf denen besagte Aufkleber von Laternen und Hauswänden gekratzt werden. Darüber ein Lied, dessen Text wenig Verständnis für die Sichtweise von Jonas, Jannek und ihren Mitstreitern zeigt. Gegenwind kommt ihnen auch auf ihrer Facebook-Seite entgegen.

    Jonas: "Ah! Es gab doch da diesen einen..."

    Jannek: "Hm... Man könnte das vielleicht mal zitieren: 'Was zahlt Euch eigentlich die Junge Union so monatlich, für Eure durchschaubare Lifestylepropaganda - Ihr Bionaden-Maden.' Also sehr einfallsreiche Beleidigungen sind hier eigentlich immer wieder mal zu finden."

    Sie klappen den Laptop zu, bezahlen ihre Getränke, drücken die selbst gedrehten Zigaretten aus. Dann ziehen sie weiter, vorbei an Ein-Euro-Shops, Handyläden und schicken Bars. Vorbei auch an Graffitis, die den Kiez zur Touristen-freien Zone erklären und Fahrradampeln, in denen auf die Leuchten passgenaue Aufkleber gesetzt wurden. Die Botschaft: Berlin liebt Dich nicht.