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Mehr entlaubt als bisher bekannt

Umwelt. – Die Entlaubungsmittel, die die US-Armee im Vietnamkrieg einsetzte, gehören zu den dauerhaftesten Belastungen der indochinesischen Halbinsel. Jetzt haben US-Forscher in Archivstudien entdeckt, dass in der frühen Phase des US-Engagements ein wesentlich dioxinreicheres Mittel als das berüchtigte "Agent orange" eingesetzt wurde und die Belastung der so behandelten Gebiete weitaus größer ist als die derjenigen, die mit "Agent orange" besprüht wurden. Sie berichten in der aktuellen Ausgabe von "Nature" darüber.

    Mit der Entlaubung des Urwaldes wollte die US-Armee dem Kriegsgegner Vietcong die unauffällige Nutzung der Dschungelpfade für Truppenbewegungen und Nachschub erschweren. Die Taktik misslang gründlich: 1975 eroberten nordvietnamesische Truppen die südvietnamesische Hauptstadt Saigon. Doch das Erbe der US-amerikanischen Entlaubungsflüge überdauerte die Niederlage um Jahrzehnte. Denn die Mittel bestanden aus einem gefährlichen Chemiecocktail, der unter anderem auch Dioxine enthielt. Bislang war immer davon die Rede, dass mehr als 45 Millionen Liter "Agent orange" zwischen 1965 und 1970 versprüht worden seien. Doch in den Jahren zuvor haben die Militärs offenbar ebenfalls Entlaubungsflüge durchgeführt. Die Physikochemikerin Jeanne Stellman von der Columbia-Universität in New York hat in Regierungsarchiven Protokolle gefunden, die von 200 Flügen mit dem "Agent orange"-Vorgänger "Agent purple" sprechen. Stellman: "Es enthielt die gleichen Wirkstoffe, nur in anderer Formulierung. ‚Agent Purple’ war wesentlich höher mit Dioxin belastet - vielleicht hundertmal so stark."

    Zwei Jahre lang haben Stellman und ihre Mitarbeiter die Luftwaffeneinsatz-Protokolle ausgewertet und ihre Ergebnisse jetzt in "Nature" vorgestellt. Danach wurde in den Jahren bis 1965 fast zwei Millionen Liter "Agent purple" versprüht. Die Ziele lagen vor allem nördlich von Saigon. Stellman: "Damals wurden nur wenige, relativ kleine Gebiete besprüht. Wir müssen sie wahrscheinlich als neue Hot Spots der Dioxin-Belastung auffassen." Forscher der Universität von British Columbia haben nach Stellmans Angaben in genau diesen Gebieten eine hohe Dioxinbelastung des Bodens festgestellt, während benachbarte Gebiete, in denen wohl eher "Agent orange" eingesetzt wurde, nicht mehr belastet sind. Stellman und ihre Kollegen wollen jetzt verstärkt nach den Langzeitfolgen der Dioxinbelastung infolge von "Agent purple" suchen.

    [Quelle: Volker Mrasek]