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Mehr Fleischfresser, weniger Ressourcen

Die genomische Selektion verändert die Nutztierzucht maßgeblich. Die Methode macht es möglich, die Auswahl von Zuchtbullen schon im Kälberalter zu beginnen. Dank DNA-Analyse wird schnell klar, welche Eigenschaften mögliche Nachkommen von Tier XY einmal mitbringen werden.

Von Verena Kemna | 02.08.2010
    Ernst Kalm, Wissenschaftler am Institut für Tierzucht und Tierhaltung der Universität Kiel, gilt als einer der Pioniere auf dem Gebiet der genomischen Selektion beim Rind. Er selbst spricht von einer neuen Ära in der Tierzucht. Ein Quantensprung, ähnlich wie vor Jahrzehnten die Einführung der künstlichen Besamung. Lässt sich der wahre Zuchtwert eines Bullen mit herkömmlichen Methoden erst mit der Nachzucht, also nach etwa acht Jahren ermitteln, kann die züchterische Auswahl nun bereits im Kälberalter beginnen. Sogenannte Marker in der aufbereiteten DNA eines Tieres beschreiben die für die Zucht benötigten Leistungsmerkmale. Bei einem potentiellen Zuchtbullen steht die Milchleistung seiner Nachzucht obenan.

    "Daneben müssen seine Töchter auch positiv sein in der Nutzungsdauer, das heißt, dass wir auch mehrere Laktationen von ihnen bekommen. Er muss positiv sein in der Eutergesundheit. Die Klauen und Gliedmaßen werden beurteilt."

    In der Schweinemast ist das Futter mit einem Anteil von 50 Prozent ein hoher Kostenfaktor. Entsprechend hat eine gute Futterverwertung Priorität bei der Genomanalyse, ebenso wie der sogenannte Schlachtkörperwert. Eine Kombination verschiedener Qualitäten, anhand derer der Verbraucher später entscheidet, ob das Schweinefleisch auch schmeckt.

    "Das heißt, ein Muskelfleischanteil soll über 52 Prozent liegen, gute Fleischbeschaffenheit, damit kein weiches wässriges Fleisch auftritt. Die PH-Werte müssen in Ordnung sein. Niedrige Verluste während der Mast. Dass wir also keine Verluste haben und dadurch Kosten für den Bauern."

    Gerade einmal zehn Prozent der Fläche weltweit werden für Tier- und Pflanzenproduktion genutzt. Nach Berechnungen der Welternährungsorganisation FAO werden im Jahr 2050 etwa neun Milliarden Menschen auf der Erde leben. Der Konsum von Fleischprodukten wird vor allem in China, Indien und Afrika steigen. Die FAO rechnet in den nächsten vier Jahrzehnten mit einer Verdoppelung der jährlichen Fleischproduktion auf etwa 460 Millionen Tonnen. Die genomische Selektion, so meint der Wissenschaftler Ernst Kalm, könne bei der Zucht leistungsfähigerer Nutztiere helfen. Auch eine Möglichkeit, um natürliche Ressourcen zu schützen.

    "Wir können ja weniger Tiere pro Fläche halten, weil wir die hoch produktiv selektiert haben. Beispielsweise wenn wir die Futterverwertung beim Schwein um zehn Prozent verbessern, verbessern wir auch gleichzeitig zehn Prozent bei den Klimawerten."

    Eine Herausforderung für die Zukunft: Die Zucht von Rindern, die möglichst wenig klimaschädliche Metan- und Lachgase produzieren. Für den Wissenschaftler sind genomische Zuchtauswahl und Artenvielfalt kein Widerspruch. Susanne Gura arbeitet unter anderem für den Dachverband Kulturpflanzen- und Nutztiervielfalt. Für sie steht fest: Industrielle Tierproduktion gefährdet die Artenvielfalt.

    "Es werden ja nur weinige tausend Bullen jedes Jahr für die Züchtung evaluiert und die Millionen von Rindern sind einfach genetisch eng verwandt und es gibt keine anderen. Das hat zur Folge, dass verschiedene genetische Eigenschaften mehr oder minder verloren gegangen sind."

    Laut FAO gelten 1500 der weltweit etwa 7600 erfassten Tierrassen als gefährdet. Gendatenbanken seien allenfalls ein Szenario für den Notfall. Immunsysteme lassen sich nicht einfrieren, sie müssen sich anpassen und weiter entwickeln. Susanne Gura plädiert für tiergerechte Weidehaltung und weniger Fleischkonsum.

    "Also aus der industriellen Tierhaltung braucht man keine Vielfalt zu erwarten. Die Bedingungen dort sind so, und das ist auch das Ziel, möglichst uniform zu produzieren. Jedes Schnitzel soll aussehen wie das andere, dann ist das viel einfacher zu verarbeiten. Also dort darf man keine Vielfalt erwarten."