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Mehr Fracht dank weniger Gewicht

Technik. - Viele Güter werden auf Flüssen und Kanälen transportiert. Die Schiffe aber haben sich in den letzten 50 Jahren kaum verändert. Mit den konventionellen Schiffen lassen sich aber mehr Güter nur dann bewegen, wenn die Flüsse oder Kanäle aufwändig vertieft werden müssen. Entwickler aus Kiel haben ein Schiff konstruiert, mit dem das vielleicht nicht mehr notwendig ist. Das Konzept heißt Futura Carrier; das erste Schiff dieser Familie lief heute in Brake vom Stapel.

Von Sönke Gäthke |
    Der Futura Carrier soll die Binnenschifffahrt revolutionieren. Das wollen seine Entwickler. Doch der erste seiner Art sieht überraschend konventionell aus: ein einfacher Rumpf, blau und rot gestrichen, die Decksaufbauten weiß; hinten die Brücke, davor die Laderäume – so ruhte es bis gestern auf seinem Helgen in Brake. Udo Wulf öffnet die Tür zur Brücke. Der Technische Leiter des Büros New Logistics hatte die Idee für dieses Schiff:

    "Wir wollen bei möglichst wenig Tiefgang möglichst viel Verdrängung erreichen, wir wollen möglichst leicht bauen und wir wollen eine möglichst hohe Manövrierefähigkeit haben, und das insbesondere bei geringen Wassertiefen."

    Dafür ging zuerst die große, schwere Schraube, die ein konventionelles Schiff antreibt, über Bord. Stattdessen drehen sich künftig vier kleine Propeller, zwei am Bug, und zwei am Heck. Damit kann das Schiff besser durch seichte Flüsse fahren. Danach kam der große, schwere Dieselmotor an die Reihe: er wurde durch vier kleine ersetzt. Schließlich platzierte Wulf die vier Schrauben in vier Gehäuse, die sich einmal um sich selbst drehen können – und warf kurzerhand auch noch die Rudermaschine und das Ruder über Bord. Auf diese Weise sparte Wulf viel Gewicht ein, das Schiff kann daher mehr Ladung tragen. Allerdings musste Wulf den Bug umkonstruieren:

    "Es war hier erforderlich, ein Bugkonzept, also eine Geometrie zu finden, die uns erlaubt, mit nahezu gleichen Wirkungsgraden vorne und hinten zu fahren. Und daraus ist dieser katamaranartige Bug mit den beiden seitlichen Kästen und den dort integrierten Antrieben entstanden."

    Und diesen will der Entwickler jetzt vorführen. Er klettert von der Brücke zum Heck, bleibt plötzlich stehen:

    "Dies sind jetzt die Maschinenraumluken, wir haben ja die Antriebe auf allen vier Ecken des Schiffes, zwei hinten, zwei vorne, die sind nicht überbaut, sie können also in sehr, sehr kurzer Zeit diese Luken öffnen, und können dann die Maschinen aber auch die Antriebspropeller rausholen, ohne dass das Schiff docken muss."

    Zum Beispiel für eine Reparatur. Ein konventionelles Schiff muss das, und das kann mehrere Wochen dauern. Udo Wulf klettert über eine Treppe vom Schiff, eilt nach vorn zum Bug, bleibt dort stehen. Der Bug hat nichts mehr mit einem konventionellen Schiff gemein, er sieht aus wie eine Mischung aus Katamaran und Binnen-Tanker. Wulf:

    "Wir stehen mitten im Bugbereich, wir sehen die beiden äußeren Kufen, die die vorderen Antriebe beherbergen oder die den vorderen Antriebsstrahl leiten."

    In die Kufen, unter die künftige Wasserlinie, sind zwei Kanäle eingeschnitten, in denen stecken die Propellergehäuse. Die Kufen sollen das Wasser teilen, das flache Mittelstück das Wasser unter das Schiff pressen – und dabei zum Teil durch die beiden Kanäle leiten. Der Rest strömt weiter unter das Schiff, vorbei an der Luftfilm-Schmierung. Udo Wulf deutet auf etwas, was wie eine weiße Planke aussieht:

    "2Das was sie dort sehen, ist die noch nicht endgültig eingebaute Luftblasenschmieranlage.""

    Diese Anlage erzeugt einen feinen Luftblasenfilm unter dem Schiff. Der soll den Reibungswiderstand reduzieren. Wulf:

    "Wir versprechen uns generell davon, dass die physikalische Eigenschaft der Reibungsreduzierung, die theoretisch und labortechnisch nachgewiesen den Reibungswiderstandsanteil eines Schiffes um bis zu 80 Prozent reduzieren kann, hier genutzt wird."

    Das Schiff soll dadurch weniger Diesel verbrachen. Wie viel, ist noch unklar: Bis jetzt ist die Anlage nur im Labor getestet worden. Wären es 10 Prozent, wäre Wulf zufrieden. Der Sprecher des Bundesverbandes Deutscher Binnenschiffer in Duisburg, Jens Schwanen, begrüßt den Bau der Futura Carrier:

    "Weil wir uns schon davon versprechen, dass mit diesem innovativen Schiffstyp gewisse Entwicklungsprozesse eingeleitet werden, die für die Gesamtheit der Güterschifffahrt später genutzt werden können."

    Doch haben die Ingenieure so viel Neues entwickelt, dass das Schiff in den Augen der Kapitäne jetzt erst einmal zeigen muss, ob es tatsächlich kann, was die Konstrukteure versprechen. Ab Dezember fährt die RMS Kiel voraussichtlich Container und Papier für England auf dem Rhein.