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Mehr Integration durch Wohneigentum

Wenn sich ein bunt gemischter Stadtteil nach und nach vereinheitlicht, dann nennt man das Segregation. Einige Bewohner ziehen aus, andere ein, bis nur noch Menschen einer einzigen Kategorie übrig bleiben: nur noch Arme oder nur noch Reiche, nur noch Deutsche oder nur noch Türken.

Von Mirko Smiljanic | 12.05.2011
    Köln, ein milder Donnerstagnachmittag. An der Mülheimer Freiheit nimmt eine schmale Straße ihren Anfang, die etwa 800 Meter in weitem Bogen zur Bergisch Gladbacher Straße verläuft. Vierstöckige Häuser aus der Gründerzeit dominieren, Laden reiht sich an Laden: Lotto-Annahmestellen, Druckereien, Cafés, Fotofachgeschäfte, Reisebüros, zur Straße hin offene Restaurants, ...

    " ... wir sitzen hier zu Beginn der Keupstraße in Köln-Mülheim, ... "

    ... Ludger Reiberg, Sozial- und Wirtschaftsgeograf, Köln, ...

    " ... das ist die Straße in Köln mit einem 98-prozentigen Anteil an Migranten nicht nur in der Bewohnerschaft, sondern auch an einem 70-prozentigen Anteil der Migranten an der Eigentümerschaft. Das ist in Köln und vielleicht auch in Deutschland einzigartig, das Milieu, so wie wir es hier finden."

    Die Keupstraße ist fest in türkischer Hand! Das macht die Straße einzigartig, einzigartig ist aber auch, dass diese türkische Enklave auch das Vorzeigeprojekt einer gelungenen Integration ist. Dies erstaunt, immerhin hatte die am Rande eines ehemaligen Industriegebietes liegende Straße bis in die 60er-Jahre des letzten Jahrhunderts einen äußerst zweifelhaften Ruf.

    ""Die Keupstraße war eindeutig ein Delinquenzviertel, sie war auch wirklich nicht mehr attraktiv für die normalen Fußgängern, weil hierdurch der Schwerlastverkehr noch rollte, der Spedition Huppertz, die für F + G noch die Kabel transportierte, das heißt, das war, ich will nicht sagen so wie eine Autobahnraststätte mit zweifelhaften Ruf, aber das hatte was davon."

    Prostitution und Glückspiel, Schlägereien und Diebstähle - in der Keupstraße konzentrierte sich Kölns Kleinkriminalität. Folge: Die Häuser verkamen, nach und nach zogen deutsche Mieter und Hausbesitzer in andere Stadtteile. Segregation nennen Sozialwissenschaftler diesen Vorgang, die Bewohner "entmischen" sich. Gleichzeitig bezogen türkische "Gastarbeiter" die leer stehenden und teilweise verwahrlosten Häuser. Heute ist "Gastrabeiter" zwar kein gebräuchlicher Begriff mehr und politisch korrekt ist er auch nicht, aber er spiegelt das Denken der 60er und 70er Jahre wider: Wer nach Deutschland kam, sollte nur kurze Zeit bleiben. Und so kam es, sagte Gregor Jekel, Diplom Geograf am Deutschen Institut für Urbanistik in Berlin, ...

    "... dass diejenigen, die zuerst hierher gezogen sind, ja auch gar keine Familien dabei hatten als Gastarbeiter, dass sie aber ihre Familien irgendwann nachgeholt haben und natürlich in die gleichen Quartiere gezogen sind, und in dieser Ausgangssituation erst einmal, statt der familiären Bindung, vor allem die Nähe zu Menschen mit gleichem Erfahrungshintergrund gesucht haben und natürlich preiswerten Wohnraum, der, wenn man hier an Berlin denkt, an Kreuzberg zum Beispiel, vor allem in diesen Lagen zur Verfügung stand, die ja ursprünglich leer gezogen worden sind, um dann alles abzureißen und dann anders wieder aufzubauen, so eine Art Zwischennutzung hier ursprünglich mal gedacht war, ... "

    ... die in vielen Fällen aber zur Dauerlösung wurde: Die "Gastarbeiter" blieben, gründeten Familien, bekamen Kinder und wurden, was Sozialwissenschaftler heute "Menschen mit Migrationshintergrund" nennen - auch das klingt sperrig, trifft aber den Sachverhalt. Heute leben in Deutschland etwa 15 Millionen Zugewanderte beziehungsweise deren hier geborene Nachkommen. Fast 20 Prozent der Einwohner Deutschlands haben also einen Migrationshintergrund. Die wenigsten wohnen in ethnisch segregierten Stadtteilen. Aber gibt es auch Ausnahmen, Berlins Stadtteile Kreuzberg und Neukölln etwa, die unter gravierenden sozialen Folgen leiden. Wobei Gudrun Kirchhoff, Wissenschaftliche Referentin der Schader-Stiftung in Darmstadt allerdings darauf hinweist, dass bei der Segregation Geld weit wichtiger ist als die ethnischen Wurzeln.

    "'"Also diese Gebiete sind geprägt meist von Armut, von geringen Bildungschancen, viele sind von Hartz 4 abhängig, und das sind sowohl die Deutschen als auch die Zuwanderer, also man kann eigentlich nicht von einer reinen ethnischen Segregation sprechen, sondern wir haben ein paar Gebiete oder Wohnungsbestände, da sammeln sich die eher armen Leute, die in anderen Wohnungsbeständen keine Chancen haben, weil sie die Mieten einfach nicht bezahlen können oder einfach keinen Zugang haben, weil es gibt immer noch eine Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt. ""

    In dieser Situation befand sich die Kölner Keupstraße in den 60er- und 70er -Jahren des letzten Jahrhunderts: die Häuser waren heruntergekommen, die Bewohner arm, wobei der Anteil türkischer Mieter ständig stieg. Keine gute Voraussetzung für den Kauf der Häuser. Dass die türkischen Bewohner dies trotzdem taten, hatte zwei Gründe.

    "Es ist deswegen ermöglicht worden, weil es erstens sehr kleine Häuser sind, die schon bei ihrer Entstehung von Handwerkern oder Kleingewerbe treibenden gebaut worden sind, um eben dort Geschäfte machen zu können und zu wohnen."

    Der zweite Grund - sagt der Sozial- und Wirtschaftsgeograf Ludger Reiberg - war schlicht eine Fehlplanung der Stadt Köln: Die Keupstraße sollte ursprünglich abgerissen werden.

    "Als dieses Ziel geändert worden ist, war es auch nicht mehr attraktiv für die Deutschen, weil sich das Umfeld so stark gewandelt hatte, da war es nur noch attraktiv für Leute, die mittlerweile zu Geld gekommen waren beziehungsweise meinten, sich Kredite organisieren zu können, um dann hier in Hauseigentum zu investieren, und das waren dann eben überwiegend türkische Mitbürger."

    Nach und nach gingen die Häuser der Keupstraße in türkischen Besitz über: In den Läden arbeiteten die neuen Eigentümer, darüber wohnten sie, die Dachwohnung wurde vermietet. Die Resultate waren frappierend: Binnen weniger Jahre wandelte sich das verwahrloste Quartier in ein städtebauliches Schmuckstück: Die neuen Besitzer achteten penibel auf Ordnung und Sauberkeit. Was wenig verwundert, sagt Gudrun Kirchhoff von der Schader-Stiftung in Darmstadt.

    "Positive Effekte von Wohneigentumsbildung sind immer, dass man ein ganz anderes Verhältnis zu den vier Wänden hat, die jemand bezieht, man hat da investiert, man hat eine langfristige Perspektive, das heißt, man hat eine ganz andere Verbundenheit mit der Wohnung oder auch mit dem Einfamilienhaus, was man erworben hat, das heißt, man pflegt es auch anders, man geht auch anders damit um, als mit einer Mietwohnung, ... "

    ... und Gregor Jekel vom Deutschen Institut für Urbanistik fügt hinzu, ...

    " ... ich glaube, dass funktioniert auch deswegen, weil natürlich der Wohnungseigentümer nicht nur mehr Verantwortung für sein Gebäude verspürt, so ganz altruistisch gesprochen, sondern natürlich auch an der Wertentwicklung seiner Immobilie interessiert ist, und da spielt schon eine gewisse Rolle, welches Image ein Stadtteil hat oder wie sehr jemand bereit ist, so ein Haus zu kaufen oder eine Wohnung zu kaufen, wenn man dann mal sein Wohneigentum verkaufen möchte."

    Heute ist die Keupstraße ein sozial stabiles Quartier und mittlerweile so bekannt, dass sich Touristen die schicke türkische Straße anschauen. Bis es so weit war, mussten die Bewohner aber einige Hürden nehmen. So stellten manche erstaunt fest, dass sie bei deutschen Banken nicht kreditwürdig waren: Kaum jemand bekam das notwendige Geld für den Kauf der Häuser von Finanzinstituten. Folge: Es entwickelten sich parallele Finanzierungssysteme. Verwandte aus der Türkei, ja ganze Sippen steuerten Geld bei, um den Kauf möglich zu machen. Es war eine Frage der Ehre, verbunden mit einer kräftigen Portion Geschäftssinn: Das Geld floss irgendwann zurück, außerdem entstand so ein System gegenseitiger Abhängigkeit - was in diesem Fall durchaus positiv gemeint ist.

    Sollte die Bildung von Wohneigentum tatsächlich ein gangbarer Weg sein, Quartiere zu stabilisieren, sagt Ludger Reiberg, müssen deutsche Banken rasch umdenken, wobei er vor allem die genossenschaftlich organisierten Volks- und Raiffeisenbanken im Blick hat. Unabhängig davon beobachtet Gregor Jekel aber noch einen anderen Trend.

    "Im Übrigen ist in einigen Städten im Ruhrgebiet oder Nordrhein-Westfalen auch zu beobachten, dass es auch ausländische Banken gibt, die Kredite für Wohneigentumsbildung gewähren, also dass da auch neue Akteure auftreten, die genau in diese Nischen stoßen, die die ortsansässigen Banken bisher scheuen, also es gibt sowohl auf der Seite der Banken als auch auf der Seite der Investoren, Architekten, Makler, Bauherren inzwischen auch eine verstärkte Aktivität von Unternehmen oder Personen mit Migrationshintergrund, also auch da gibt es so etwas wie eine Internationalisierung, die zu beobachten ist."

    Erol Yildiz, Professor für Migrationsforschung und interkulturelle Bildung an der Alpen-Adria-Universität in Klagenfurt, Österreich, geht noch einen Schritt weiter. Er möchte Migranten gezielt fördern, wie es zum Beispiel in Norwegen geschieht.

    "In Oslo, da werden die Migranten unterstützt, die kleine Geschäfte haben, die werden subventioniert, weil die das gut finden, weil nur die Migranten so etwas tun."

    Eine klassische Win-win-Situation: Migranten finden Arbeit und der Staat nimmt Steuern ein; Migranten integrieren sich schneller, die Gesellschaft hat weniger soziale Spannungen! Dies umzusetzen, erfordert allerdings einen anderen Blick auf das Phänomen "Migration".

    "Die Stadtplanung sollte bestimmte Kompetenzen, die Migranten entwickelt haben, ähnlich wie die Kultur der Selbstständigkeit, die haben ja auch bestimmte informelle Ressourcen genutzt, die hatten keinen Zugang zu Krediten gehabt und haben das im familiären Kontext organisiert, also informelle Ressourcen, also ein informelles Kapital akkumuliert, man muss das einfach ernst nehmen und darauf aufzubauen, statt solche Stadtteile abzuwerten."

    Dies sei schon deshalb notwendig - sagt Gregor Jekel - weil die demografische Entwicklung in Deutschland für eine ständig steigende Zahl von Menschen mit Migrationshintergrund sorgt.

    "Gerade, wenn man sich die jüngere Bevölkerung anschaut, wenn man in Städte wie Frankfurt, Mainz, Augsburg schaut, wo der überwiegende Anteil der Kinder, die geboren werden, aus Familien mit mindestens einer Person mit Migrationshintergrund stammt, dann ist das auch aus Sicht der Wohnungswirtschaft einfach eine Nachfragegruppe, die in Zukunft dominieren wird, zumindest eine immer höhere Bedeutung haben wird als heutzutage, das heißt, da muss man sich auch, was Wohnwünsche, was Wohnlagen, was Ausstattung betrifft, viel stärker an dem orientieren, was Immigranten fordern, wünschen, sich vorstellen."

    Die Vorstellung, Wohneigentum sei ein Allheilmittel für sozial unter Druck geratene Stadtteile, ist zu einfach. Damit es funktioniert, muss erstens das Quartier überschaubar sein - was in der Keupstraße möglich war, wird sich in einer Berliner Trabantensiedlung so nicht umsetzen lassen. Und zweitens müssen die Wohnwünsche der Migranten stärker berücksichtigt werden.

    "Wenn man sich dann aber auch anschaut, was die präferierten Wohnformen von Migranten sind, dann spiegelt sich da, was gesamtgesellschaftlich auch zu beobachten ist, dass also nach wie vor das Einfamilienhaus am Stadtrand auch für viele Migranten die bevorzugte Wohnform ist, nicht ausschließlich, aber doch zu einem erheblichen Anteil, und die wird man nicht davon abhalten können, wenn sie Wohneigentum bilden können, dass sie das dann auch außerhalb ihres Quartiers tun."

    Auf der einen Seite wollen vor allem Familien mit Kindern am Stadtrand wohnen, auf der anderen Seite zieht es immer mehr junge Menschen in die Städte. Dadurch steigen die Mieten, ...

    " ... hier in Berlin beobachten wir das ja ganz aktuell massiv, und das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Eigentumssituation von Migranten, die in einen immer höheren Anteil ihres Einkommens für die Miete aufbringen müssen, so dass es dann ja für diese Bevölkerungsgruppe auch ein soziales Ziel darstellt, das Wohneigentum zu fördern."

    Wobei in letzter Zeit Migranten nicht nur die Ränder von Großstädten im Blick haben, sondern sich zunehmend auch in Kleinstädten niederlassen. Gudrun Kirchhoff von der Schader-Stiftung in Darmstadt.

    "Das birgt eine Konfliktsituation, weil das städtische Zentrum ist ja so ein Identifikationsraum für die Kleinstädter, das ist ihre kleine, alte Stadt, seit dem Mittelalter so gebaut worden, und nun gibt es da Konflikte, da wohnen jetzt ganz andere Leute drin, die gehen ganz anders damit um, das Bild hat sich verändert, viele Läden gehen weg, die man schon immer kannte, Traditionsläden, das Bekleidungshaus ist plötzlich nicht mehr da, da ist jetzt ein Burger King drin, es gibt so Konflikte, dass man seine eigene Stadt plötzlich nicht mehr wiedererkennt. Und ich denke, dieses Problem, das wird zwar schon geäußert, aber sie haben noch keinen Umgang damit gefunden, und ich denke, in kleinen Städten wird es noch eines größeren stadtgesellschaftlichen Diskurses brauchen, um damit auch umgehen zu können und zu lernen, dass sich auch ihre Bevölkerung verändert und dass die auch sichtbar wird. "

    Bleibt zum Schluss noch die Frage: Sind Quartiere mit einem hohen Migrantenanteil nun gut oder schlecht? Schlecht, sagen viele Sozialwissenschaftler, weil Armut und mangelnde Bildung dort häufiger vorkommen, als in gut durchmischten Stadteilen. Falsch sagt, Ludger Reiberg, kulturelle Minderheiten brauchen ihre eigenen Zentren.

    "Also, es braucht eine gewisse Verdichtung auch des Wohnens, dass man oft als Getto diffamiert, das sehe ich anders, von daher plädiere ich dafür, die ökonomischen Möglichkeiten dieser Gruppen zu erhöhen, auch unter der Perspektive, dass sich dann tatsächlich solche Viertel herausbilden, von denen aber überwiegend positive Impulse ins Umland ausgehen, wenn, wie in anderen Vierteln auch, auf Recht und Ordnung gesetzt wird wie überall, also dann muss die Polizei genauso präsent sein, oder muss sie sich eben türkische Polizisten organisieren, dann klappt das, ... "

    ... und Erol Yildiz fügt hinzu, ...

    "Ich meine, das kann man im Nachhinein schwer machen. Deshalb meine ich, historisch bedingt sind solche Stadteile entstanden und diese Durchmischungsideologie, ich meine, was heißt das, man denkt immer ethnisch, man denkt, wenn Deutsche mit Ausländern zusammenleben, wird das besser. Das stimmt überhaupt nicht! Arbeiter und Mittelschicht, ich meine, die Mittelschicht würde sowieso nicht mit Arbeitern zusammen wohnen, das war noch nie der Fall gewesen. Insofern ist diese ganze Debatte, die in der Sozialwissenschaft geführt, ein Mythos eigentlich. Das, was man machen kann, ist eigentlich, dass man die Leute, die in solchen Stadtteilen leben, unterstützt, das ist eigentlich die Alternative, statt irgendwelche Mischungsideologie zu verbreiten."