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Mehr Oratorium als Oper

Offenbar kann der Ungar Árpád Schilling mit der wüsten Hochglanz-Tragödie um den buckligen Hofnarren Rigoletto, seine allseits begehrte Tochter Gilda und den lüsternen Herzog wenig anfangen. Bei seiner Inszenierung bleibt letztlich das Meiste im Unklaren. Immerhin aber überzeugen die Solisten.

Von Jörn Florian Fuchs | 16.12.2012
    Irgendwie taten einem die Jungs im Schlabberlook wirklich leid. Als sie zum Schlussapplaus auf die Bühne des Nationaltheaters schlurften, verwandelte sich die vorher so klatschfreudige Masse in einen wütenden Buh-Chor, aus dem immerhin einige tapfere Bravos emporschallten. Árpád Schilling und seine Mitstreiter blickten ziemlich müde und desillusioniert auf die sich Empörenden. Warum so viel Protest? Gab es wieder mal einen Skandal? Flossen Körpersäfte, wurde junge Sängerinnen entkleidet oder gar gefoltert? Keineswegs. Mein Sitznachbar hat das Problem ganz gut auf den Punkt gebracht: wieso bringt ein hoch subventioniertes Opernhaus eine konzertante Verdi-Oper heraus?

    Der Ungar Árpád Schilling kommt aus dem Off-Theater und kann offensichtlich mit der wüsten Hochglanz-Tragödie um den buckligen Hofnarren Rigoletto, seine allseits begehrte Tochter Gilda, den lüsternen Herzog und die zum Tod Gildas führende Intrige wenig anfangen. Erstmal nivelliert er sämtliche Standesunterschiede, alle sehen ziemlich gleich aus, Rigoletto kommt vielleicht einen Tick schmuddeliger daher - dafür besitzt er keinen Buckel. Töchterchen Gilda hat rote Haare, trägt einen blauen Schal und Klamotten aus dem Billig-Discounter. Auch ihre Körperhaltung lässt zu wünschen übrig.

    Das erste Bild: eine weiß getünchte Menschenmasse sitzt auf einer riesigen Tribüne. Alle, die etwas zu singen haben, treten nun nacheinander an die Rampe und absolvieren ihr Pensum. Später teilt sich die Tribüne, ein luftiger Vorhang fällt herab, überflüssigerweise wird noch ein großes Pferd herein geschoben, das man gerade einmal fünf Sekunden lang sieht. Vermutlich steht es für Macht und Potenz des Herzogs - und für den Größenwahn einer Staatsoper mit zu viel Geld! Es gibt einige wirklich starke Ensembles, bei den Soloszenen und Duetten sitzen oder stehen oft noch andere Figuren im Hintergrund. Warum dieses "Belauschen"? Schilling macht nicht wirklich deutlich, ob es sich hier um bloße Staffage handelt, oder ob die Lauscher mit dem Gehörten etwas anzufangen wissen. Gilda hört dem um die Prollprostituierte Maddalena (kräftig: Nadia Krasteva) werbenden Herzog von der Seite aus zu, ihren starren Gesichtszügen kann man jedoch nicht entnehmen, ob sie Ekel, Mitleid, Liebe oder Hass empfindet.

    Ähnlich nebulös ist das häufige Maskieren und Demaskieren. Anfangs tragen alle, außer Rigoletto, Larven, dann verkleidet sich mal der eine, mal die andere. Der geldgierige Mörder Sparafucile (eindrucksvoll donnernd: Dimitry Ivashchenko) lockt Gilda in ein völlig abstruses Gerät, eine Mischung aus Fahrrad und Rollstuhl. Dort sticht er auf sie ein. Doch statt zu sterben, geht Gilda einfach langsam ab.

    Letztlich bleibt bei dieser Inszenierung das Meiste im Unklaren, entweder wollte Schilling zu viel oder zu wenig.

    Immerhin überzeugten die Solisten: Patricia Petibon kommt ja eigentlich aus dem französischen Barockfach und sang mit großem Erfolg auch diverse Mozart-Partien. Ihr Münchner Gilda-Debüt gelang glänzend. Zuletzt schlichen sich in ihren einst samtweichen Sopran zunehmend metallische Härten ein, für Verdis häufig atemlos stockende Linien passte Petibons edle Schärfe ganz wunderbar.

    Joseph Calleja war eine herzögliche Idealbesetzung, Franco Vassallo gab einen hinreißenden Rigoletto. Marco Armiliato sorgte am Pult des Bayerischen Staatsorchesters für einen fein gewobenen Verdi-Klang. Sehr schön waren etwa geisterhaft flirrende Streicherfiguren, zur reduzierten Szene passte das insgesamt eher kammermusikalische Klangbild, ohne zu gewaltige Eruptionen. Nur den von Stellario Fagone einstudierten Chören mangelte es immer wieder an Präzision.