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Mehr Ordnung im Spatzenhirn

Biologie. - In einem "Spatzenhirn" kann man sich verlaufen, denn bei den Bezeichnungen herrscht babylonische Vielfalt. Das so genannte vereinheitlichte jetzt die Neuroanatomie, um so die Grundlage für ein besseres Verständnis der Tiere zu schaffen.

Von Anne Johann |
    Krähen verbiegen Drahtstücke zu nützlichen Werkzeugen. Graupagageien sagen auf englisch, was sie gerade wollen. Und manche Elstern erkennen sich selbst im Spiegel. All das setzt Bewusstseinsfähigkeiten voraus. Die wurden den Vögeln jahrzehntelang nicht zugetraut. Ein Grund dafür war die irreführende Benennung der Vorderhirnteile, mit denen Vögel ihre intelligenten Leistungen steuern. Diese Bereiche wurden Basalganglien genannt. Sie steuern beim Menschen allerdings unbewusste Denk- und Bewegungsprozesse.

    "Dazu gehört Fahrrad fahren, Klavierspielen, genauso wie bestimmte Denkroutinen, selbst so etwas wie das Einmaleins, bei dem wir gar nicht nachdenken, sondern quasi aus der Hüfte heraus Dinge antworten. "

    ... erläutert Onur Güntürkün, Professor für Biopsychologie an der Ruhruniversität Bochum. Vögel können in ihren Basalganglien also etwas ganz anderes leisten als Menschen und Säugetiere. Dass die gleiche Bezeichnung bei den verschiedenen Tiergruppen etwas völlig anderes bedeutet, könne zu Missverständnissen führen:

    "Ergebnisse aus der Vogelliteratur werden wahrgenommen, aber falsch einsortiert. Das ist eine große Gefahr für Wissenschaft."

    Die bisher gebräuchlichen Begriffe entstanden zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Sie gehen ursprünglich auf den deutschen Arzt Ludwig Edinger zurück. Als vergleichender Neuroanatom untersuchte er die Entwicklung von Gehirnen. Er glaubte, dass die Evolution vom Einfachen zum Komplexen voranschreitet. Inzwischen weiß man, dass das nicht stimmen muss: im Laufe der Evolution können sich Lebewesen auch wieder vereinfachen. Für Ludwig Edinger waren heutige Tiere wie lebende Museen, die verraten, wie die Evolution einst abgelaufen ist. Fische wären demnach die Urform der Wirbeltiere, danach entstanden erst Frösche, dann Echsen, dann Vögel und danach die Säugetiere, inklusive Mensch. Evolutionsforscher gehen heute davon aus, dass dieser Stammbaum so nicht stimmt.

    "Die modernste Tiergruppe sind eigentlich die Vögel und nicht die Säugetiere. "

    In den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts bemerkten Wissenschaftler erstmals, dass die Namen und Vorstellungen über viele Teile des Vogelgehirns nicht zu den wissenschaftlichen Befunden passten. Die größten Ungereimtheiten betrafen das Vorderhirn. Hinweise darauf kamen sowohl von Anatomen als auch von Verhaltensforschern, die den Vögeln nicht nur Instinkt, sondern auch Intelligenz nachwiesen. 100 Jahre nach Edinger setzten sich deshalb Hirnforscher aus der ganzen Welt zusammen und beschlossen, irritierende Namen auszutauschen.

    "Es gibt ein paar Dinge, von denen sind wir absolut sicher, dass sie richtig sind. Nämlich, es gibt Basalganglien im Gehirn von Vögeln und wir wissen, wo sie sind. Die Dinge, die nicht Basalganglien sind, haben wir so benannt, dass die Abkürzungen identisch waren zu der Nomenklatur, die auf Ludwig Edinger zurückgeht. "

    Ein Beispiel: NCL. Früher bedeutete das: "Neostriatum caudolaterale". Edinger zählte das NCL zu den Basalganglien. Daher taucht die Bezeichnung "–striatum" auf. Heute steht NCL für Nidopallium caudolaterale und wird zum Hirnmantel gezählt. Für die neuen Begriffe haben die Wissenschaftler auch öfter mal einen Lateinexperten um Rat gefragt. Insgesamt haben sie fünf Jahre lang an der neuen Nomenklatur gebastelt.

    "Wir haben eine Riesenresonanz gefunden in der gesamten Hirnforschungsliteratur. Wir wollten den Anstoß geben, dass das, was wir für Vögel gemacht haben, letztendlich auch den Grundstein legt für ein vollkommen neues Besinnen bei den anderen Gruppen. Das Gehirn des Menschen ist zwar nicht genauso grotesk falsch benannt, aber es gibt eine ganze Reihe von Dingen, die auch da falsch benannt sind. "

    Onur Güntürkün ist sich sicher, dass bald noch mehr Hirnforscher mit Vögeln arbeiten werden als bisher.

    "Weil sie die Vogelliteratur besser verstehen, werden sie sie lesen. Sie werden durch das Lesen entdecken, dass Vögel hervorragende Modelle für viele Fragestellungen der Hirnforschung darstellen. Und die werden dann damit anfangen. "