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Mehr Pläne als Fakten

So wie die "Wunderwaffe V2" sollten auch die "Werwölfe" - eine Art deutsche Partisanen - 1944 das Ruder für Deutschland noch herumreißen. Der Autor Volker Koop hat sich daran gemacht, den Nebel um die Organisation "Werwolf" zu lüften. In seinem Buch "Himmlers letztes Aufgebot. Die NS-Organisation 'Werwolf'" beschreibt er das kurze Leben und das lange Nachleben der Organisation.

Von Henry Bernhard |
    " Hier spricht der "Sender Werwolf", der Sender der deutschen Freiheitsbewegung in den vom Feind besetzten Gebieten. Wo ein Freiheitskämpfer fällt, stehen neue auf. Verräter, Feiglinge und Gesinnungslumpen fallen unter unseren Hieben. Tod unseren Feinden, Sieg unserer Freiheit! Hier spricht der "Sender Werwolf", der Sender der deutschen Freiheitsbewegung in den vom Feind besetzten Gebieten, wir brachten Kampfmeldungen unserer Werwölfe."

    Fünf Wochen vor Kriegsende, am Ostersonntag 1945, ist der "Sender Werwolf" das erste Mal in Deutschland zu hören. Er soll klingen wie ein illegaler Guerilla-Sender und kommt doch aus Goebbels' Propagandaministerium. Ein halbes Jahr ist seit der Gründung des "Werwolf" vergangen. Das "Gesetz der Werwölfe", das die überhastet in Kurzlehrgängen ausgebildeten Männer und Jungen verpflichtete, verlangte von ihnen "glühenden Hass", "fanatischen Vernichtungswillen" und natürlich "Treue zum Führer" bis in den Tod. Die Realität sah anders aus: Wenige, schlecht ausgebildete und noch schlechter ausgerüstete, bunt zusammengewürfelte Haufen von zweifelhafter Kampfkraft, die zu Himmelfahrtskommandos hinter die Front geschickt wurden und die doch nur nach Hause wollten. Von Heldentum des "Werwolf" ist nichts überliefert. Die Pläne für Waffenlager und Lebensmitteldepots waren Papier geblieben, erdachte Spezialsprengkommandos wurden nicht mehr realisiert. Zu schnell kamen die Alliierten, zu chaotisch ging es zu. Auch der Autor Volker Koop fand mehr Pläne als Fakten.
    "Die Werwölfe sollten sich vom Feind überrollen lassen und dann Sabotageakte und Terrorakte verüben. Allein vom Zeitablauf her war das alles nicht möglich. Im Januar/Februar hatte sich Göring eingeschaltet. Und wenn man überlegt: Im April, also wirklich wenige Wochen vor Kriegsende, versuchte noch Goebbels, diesen "Werwolf" aufzubauen. Der "Werwolf" war in jeder Beziehung von vornherein zum Scheitern verurteilt, weil die Zeit überhaupt nicht da war und weil man auch nicht die entsprechenden Werwölfe gefunden hatte."

    Der Autor zeigt mit den Dokumenten, die er in akribischer Archivrecherche zutage gefördert hat, ein sehr verworrenes Bild des nur aus der Ferne schillernden Phänomens "Werwolf": Wer organisiert den "Werwolf", welche Ausbildung benötigen die Männer und wo können sie sie bekommen, wie werden sie ausgerüstet, was sind ihre Ziele? Das Buch gibt auf diese Fragen viele Antworten, denn auch damals war das "Werwolf"-System undurchsichtig.

    Problematisch ist nur, dass auch Koop keine Strukturen herausarbeiten kann, sein Buch ist so zerrissen wie sein Gegenstand: Es präsentiert viele Namen, Fakten und Verweise, die allerdings kaum in einen strukturierten Zusammenhang gebracht werden. Mit der nötigen Gewichtung, Einordnung und Wertung von Gerüchten, Befehlen und historischen Fakten lässt es den Leser allein. Dennoch erfährt man vieles: Dass es im Osten erheblich mehr und auch besser organisierte "Werwolf"-Gruppen gab, denn die NS-Funktionäre hatten mehr Zeit für den Aufbau und - angesichts der Angst und Schrecken verbreitenden Roten Armee - auch motivierte Kämpfer für ihre Sache. Wenn auch mit Zahlen vorsichtig umgegangen werden muss, so kann man für den Osten Deutschlands von gut 1000 verpflichteten Werwölfen sprechen, darunter Männer, Hitler-Jungen und wenige Frauen. Im Westen sah es ganz anders aus:

    "Nehmen wir mal das Beispiel München: Dass München von den Alliierten, von den Amerikanern, besetzt worden war, und erst ein paar Tage später die Ausbildungsrichtlinien für den "Werwolf" eintrafen. Also man sieht: Es war katastrophal. Und gerade auch in West-Deutschland hatte die Bevölkerung überhaupt nicht im Sinn, noch gegen die Alliierten aus dem Hinterhalt zu kämpfen. Sie waren froh, dass der Krieg zu Ende ging. Das war ja ein Punkt, den die NS-Führung immer beklagte, dass die Alliierten, egal, wo sie auftauchten, in West-Deutschland als Befreier bejubelt wurden, mit weißen Fahnen begrüßt wurden und niemand daran dachte, den Krieg auf diese Weise fortzuführen."

    Der "Werwolf" - eine Totgeburt? Nicht ganz. Es gab Sabotageakte, es gab einige Mordaktionen, die - hier sind sich die Historiker nicht ganz sicher -, wenn nicht vom "Werwolf" selbst, dann in seinem Geiste verübt worden: Die spektakulärste Tat war die Ermordung des von den Amerikanern eingesetzten Aachener Bürgermeisters Franz Oppenhoff auf Befehl Himmlers im März 1945. Ein Erfolg für die Nazis: Kaum einer wollte sich noch in den von den Alliierten besetzten Gebieten zur Zusammenarbeit mit den Siegern bereiterklären - zu groß war die Furcht vor Racheaktionen.

    " Entscheidend war eigentlich die psychologische Wirkung - sowohl auf die Deutschen als auch auf die Alliierten. Es ging insbesondere auch Goebbels darum, die Deutschen zu warnen vor einer Zusammenarbeit mit den Alliierten. Es hat ja auch einige Morde gegeben. Und man hat den Ermordeten dann Zettel umgehängt: "Der Werwolf war hier. Der Werwolf findet euch alle, jeden Verräter!" Das war das eine Und das andere war, den vorrückenden alliierten Truppen zu suggerieren, es gäbe eine riesige Untergrundarmee. Hier wieder ein Zitat Goebbels': "Wir werfen jetzt die Eierschalen der bürgerlichen Kriegsführung ab, und die Alliierten werden noch in Jahrzehnten bedauern, jemals nach Deutschland einmarschiert zu sein." Aber die Wirkung war entsprechend. Und die Amerikaner gingen teilweise davon aus in ihren Geheimdienstberichten, dass es in Deutschland etwa 200.000 Werwölfe gebe."

    Sender Werwolf: " Hinter uns liegen Trümmer und Gräber. Vor uns liegt die Zukunft, aus der uns die Feinde ausschließen wollen. Aber wir sind da! Wir kämpfen und leben und sterben für die deutsche Zukunft! Tod unseren Feinden, Sieg unserer Freiheit!"

    Der "Werwolf" war somit in seiner aufgeblasenen Monstrosität ein Phantasieprodukt sowohl der Nazis als auch der Alliierten. Die Amerikaner verhafteten und verurteilten einige "Werwölfe", allerdings mit vergleichsweise milden Strafen. Anders sah es im Osten aus: Bedrückend ist es, die Namen der Jugendlichen zu lesen, die in der Sowjetischen Besatzungszone unter "Werwolf"-Anschuldigungen zu Tausenden verhaftet, verhört, gefoltert und erschossen wurden oder in den Sowjetischen Speziallagern an Krankheiten und Hunger starben. So fiel auch der "Werwolf" auf die Deutschen zurück.

    Der Autor stützt seine Untersuchung auf sowjetische Akten, auch auf polnische und tschechische Verhörprotokolle, gefunden in Stasi-Akten. Hier liegt auch der größte Wert des Buches, hier lässt sich Neues erfahren. Aber wiederum gilt: Es fehlt dem Buch grundlegend an Systematik. Der Autor referiert Quellen über Quellen, auch wenn diese oft mehr verwirren als erhellen. Eine ordnende Hand, mehr Struktur und weniger Faktenhuberei hätte oft gut getan. Ein gründlich durchdachtes Buch über die NS-Organisation "Werwolf" steht also noch aus.


    Volker Koop: Himmlers letztes Aufgebot. Die NS-Organisation "Werwolf", Böhlau-Verlag