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Mehr Platz für neue Züge

Verkehr. - Vor allem im Norden der Republik droht ein Stau auf den Schienen: Hier sind die Strecken der Bahn bereits so überlastet, dass Experten Neubauten fordern. Doch auch die Effizienz der Schienennutzung kann verbessert werden, wie auf der Bahnmesse Innotrans in Berlin zu sehen. Die Zauberformeln: längere Güterzüge und intelligentere Leitsysteme. Der Wissenschaftsjournalist Sönke Gäthke erläutert sie im Gespräch mit Marieke Degen.

    Marieke Degen: Der Güterverkehr auf unseren Schiene wächst, und die Bahn kommt in Bedrängnis, denn die Strecken kommen an ihre Grenzen. Im Norden zum Beispiel, in Hamburg und Bremen, wo die Waren vom Schiff auf die Schiene verlagert werden, sind die Strecken jetzt schon überlastet. Mein Kollege Sönke Gäthke ist für Forschung Aktuell zurzeit auf der Innotrans in Berlin, der größten Bahnmesse Europas. Welche Rolle hat der drohende Stau auf der Schiene denn auf der Messe gespielt?

    Sönke Gäthke: Der hat eine große Rolle gespielt, Frau Degen. Die drohenden Engpässe ziehen sich eigentlich durch alle Fachgespräche dort - zumindest bei all denen, die sich mit dem Güterverkehr in Deutschland beschäftigen.

    Degen: Was genau liegt denn das Problem?

    Gäthke: Das Problem sind eigentlich die Kreuzungen, also die Bahnhöfe. Hier zwängt sich nämlich alles durch - die ICEs müssen durch, die Regionalzüge und die Güterzüge. Und die Güterzüge müssen jetzt auf alle anderen Züge warten, sprich: Sie müssen auf eine Lücke im Personenverkehr warten. Gerade in Hamburg/Harburg ist das ein Problem, weil es hier einen sehr dichten Taktverkehr gibt. Es drohen also regelrechte Staus auf der Schiene

    Degen: Welche Lösungsansätze verfolgen die Forscher jetzt?

    Gäthke: Man kann da eigentlich drei Wege probieren: Man kann entweder die Züge effizienter machen, man kann die Strecken effizienter machen oder gleich ganz neue bauen.

    Degen: Wie können die Züge denn effizienter werden?

    Gäthke: Das ginge vor allem im Augenblick dadurch, dass man sie länger macht. Derzeit dürfen Güterzüge nicht länger sein als 700 Meter - das sind so die Daten, mit denen die Bahn arbeitet, das ganze Regelwerk ist genau auf diese Daten abgestimmt.

    Die Bahn versucht jetzt, testweise mal längere Züge zu fahren. In Schleswig-Holstein waren bereits Güterzüge unterwegs, die waren 835 Meter lang. So lang dürfen die Züge in Dänemark sein. Demnächst will die Bahn auch 1000 und 1500 Meter lange Züge testen.

    Degen: Ist das denn so einfach zu realisieren, einfach jetzt längere Züge einzusetzen?

    Gäthke: Das ist nicht ganz so einfach zu realisieren, denn wie gesagt: Alle Daten, alle Werte, nach denen die Bahn heute gesteuert wird, beruhen auf diesen 700 Metern, auch alles das, wonach ein Rechner zum Beispiel Bremswege ausrechnet. Das müsste geändert werden. Aber es muss auch an der Infrastruktur, an den Gleisen etwas geändert werden. Überholgleise zum Beispiel sind oft nicht lang genug, um längere Züge als 700 Meter aufzunehmen. Und gegebenenfalls müssen auch Signalabstände geändert werden.

    Degen: Was gibt es denn sonst noch für Ansätze gegen den Stau auf der Schiene?

    Gäthke: Das gibt es noch mehr Ansätze, um die Staus in den Kreuzungen zu vermeiden. Hier möchte die Bahn gerne so etwas wie eine "grüne Welle" in den Bahnhöfen einführen. Das ist auch nicht so ganz einfach. Es reicht zum Beispiel nicht, allen Zügen zu sagen, fahrt Tempo 80, und dann wird das schon klappen. Hier müsste die Geschwindigkeit für jeden einzelnen Zug individuell berechnet werden.

    Das soll jetzt ein Prognose-Programm übernehmen. Es ermittelt also, wann ein Zug an einer Weiche eintreffen wird, wie lange er sie wahrscheinlich blockieren wird und ob dafür ein anderer Zug, der ebenfalls über diesen Abschnitt fahren soll, gebremst werden müsste, ob der stoppen müsste. Und damit das nicht passiert, gibt der Computer dann ein Tempo für den zweiten Zug aus - und wenn der Lokführer dieses Tempo einhält, dann muss er seinen Zug nicht anhalten, sondern hat richtig grüne Welle und kann über die Weiche drüber fahren.

    Degen: Damit könnte man also die Weichen als Engpass schon mal umgehen. Aber wie sieht es denn auf der offenen Strecke aus?

    Gäthke: Auf der offenen Strecke hat die Bahn auch noch Potenzial, wenn die DB Netz AG auf die sogenannten festen Signalabstände auf der Schiene verzichten könnte.

    Degen: Warum ist das nötig?

    Gäthke: Es ist nötig, weil Züge einen sehr, sehr langen Bremsweg haben. Der kann bis zu einem Kilometer lang sein. Das ist einfach eine Strecke, die kann der Lokführer nicht übersehen. Daher ist eine Schienenstrecke heute immer schön unterteilt in einzelne Abschnitte, in denen darf nur ein einziger Zug fahren. Kommt ein zweiter, muss er vor einem roten Signal warten, bis der erste diesen Abschnitt wieder verlassen hat. Das ist zwar sicher, begrenzt aber natürlich die Kapazität auf der Schiene.

    Degen: Aber wie bekommen wir denn nun trotzdem mehr Züge auf die Schiene oder auf die Strecke?

    Gäthke: Die würden wir bekommen, wenn man in den Betriebszentralen immer genau wüsste, wo ein Zug fährt. Bis jetzt weiß man das nicht. Das wollen Forscher aus Braunschweig und Karlsruhe ändern. Sie haben eine Ortungssystem entwickelt, das mit Hilfe von Satellitennavigation und einer digitalen Karte ziemlich genau feststellen kann, wo ein Zug ist. Wenn dieses System jetzt seine Sicherheitsprüfung besteht, dann könnten Fahrdienstleiter in Zukunft die Züge so steuern, dass sie immer im sicheren Abstand zueinander fahren, auch ohne Signale.

    Degen: Würden diese Maßnahmen denn jetzt ausreichen, um die Region, um Hamburg zum Beispiel, zu entlasten?

    Gäthke: Das ist die Frage. Ich glaube, nein, denn die Strecken südlich von Hamburg sind zum Teil jetzt schon so überlastet, dass man eigentlich dringend anfangen muss, neue Strecken zu bauen.