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Mehr Praxis für angehende Lehrer

Nordrhein-Westfalen reformiert die Lehrerausbildung: Das Kabinett in Düsseldorf hat einen entsprechenden Gesetzentwurf verabschiedet. Unumstritten ist das Paket aber nicht.

Von Solveig Bader |
    Die Lehrerausbildung soll künftig für alle Schulformen gleich lang dauern - und zwar sechs Jahre. Bislang war die Regelstudienzeit für Grundschule, Hauptschule und Realschule zwei Semester kürzer als für das Gymnasium. Eine weitere Änderung: Abiturienten, die sich für den Lehrerberuf interessieren, sollen schon vor Beginn des Studiums in einem sogenannten Aisstenzpraktikum überprüfen, ob sie sich dafür überhaupt eignen. Experten hätten nachgewiesen, dass nicht immer die Richtigen ein Lehramtstudium ergreifen, so die Begründung des NRW-Schulministeriums. Franzjörg Baumgart, Professor am Institut für Pädagogik an der Ruhr-Universität Bochum, hält dieses 50-tägige Pflichtpraktikum dagegen für absurd.

    " Ohne theoretische Reflektion sollen die in die Schule geschickt werden, um zu überprüfen, ob sie wirklich Lehrer werden wollen. Das ist völlig verkehrt. Alle Hochschulen des Landes haben gegen dieses Praktikum protestiert. Ein Praktikum macht dann Sinn, wenn dieses Praktikum vorbereitet ist durch eine theoretische Arbeit, damit man überhaupt neu sehen kann. Was sollen diese Abiturienten zwischen ihrem Schulabschluss und dem Hochschulstudium denn in diesem Praktikum wirklich Neues erfahren? Also, das ist vollständig abwegig. "

    Neben dem Assistenzpraktikum vor der Lehrerausbildung soll das Studium selber praxisorientierter werden. Während der ersten, dreijährigen Bachelor-Phase führen die angehenden Lehrer jeweils dreiwöchige Praktika in der Schule sowie in der Kinder- und Jugendarbeit durch. Während des zweijährigen Masterstudiums folgt dann noch ein Praxissemester. Mario Schüler studiert an der Ruhr-Universität Bochum Deutsch und Geschichte auf Lehramt. Er begrüßt diese Änderung. Denn im sechsten Semester hat er bislang kaum etwas vom Schulalltag mitbekommen.

    " Weil das ganze Studium sehr theoriebezogen ist, also wir machen fast nur Theorie und keine Praxis. Die zwei Praktika, die man macht, ist meiner Meinung nach viel zu wenig. Ansonsten in den Fächern gibt es selten Möglichkeiten, sich auf die Schulpraxis vorzubereiten. Es gibt einzelne Seminare, aber es ist dann Glück, was man bekommt, und ist keine Vorbereitung auf den Lehrerberuf. "

    Mehr Praxis soll diesem Defizit entgegensteuern. Um auf den hohen Anteil von Schülern mit Zuwanderungsgeschichte besser vorbereitet zu werden, müssen Lehramtstudenten künftig "Deutsch als Zweitsprache" als Pflichtfach wählen.

    Unterricht werde aber nicht nur besser, wenn Lehrer fachlich und pädagogisch gut ausgebildet werden, meint Manfred Reimer, Schulleiter am Leibniz-Gymnasium in Essen. Es gehe vor allem auch darum, wie Lehrer unterrichten.

    " Was mir manchmal fehlt, sind im Bereich der Erziehungswissenschaften die psychologischen Anteile, die müssten verstärkt werden. Weil Unterrichtserfolg sehr stark abhängt von der Beziehung Schüler - Lehrer. Und das ist vielfach Lehrern nicht bewusst, aber auch Hochschullehrern nicht bewusst. Da kann man noch so guter Fachwissenschaftler sein und erreicht eventuell die Schüler nicht. "

    Nach einer stärkeren Praxisphase während des Studiums soll sich dagegen das Referendariat verkürzen - von bislang zwei Jahren auf ein Jahr. Eine Mogelpackung, kritisiert Pädagogikprofessor Franzjörg Baumgart. Denn die 106 Millionen Euro, die die Landesregierung zusätzlich für die Lehrerausbildung ausgeben will, habe sie somit schnell wieder drin.

    " Das bedeutet doch faktisch, dass die zukünftigen Referendare diese Reform bezahlen. Also das schwächste Glied sozusagen der Ausbildungskette, die Studierenden, werden bis zum zweiten Staatsexamen auf ein Jahr bezahlte Ausbildung verzichten, während dann das Praxissemester, was als große fortschrittliche Leistung gefeiert wird, da müssen sie dann wahrscheinlich noch Studiengebühren während dieser Zeit zahlen. Und das ist unter sozialen Gesichtspunkten ein Skandal. "

    Es gibt bereits viel Wirbel um das neue Gesetz. Es soll im Frühjahr 2009 in Kraft treten. Die Hochschulen müssen die neue Ausbildung spätestens zum Wintersemester 2010/11 anbieten. Ob die neuen Lehrer bessere Lehrer sind, wird sich zeigen. Die ersten Absolventen verlassen die Unis ab 2015.