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Mehr Rechte für Mitarbeiter

Rund 1,3 Millionen Beschäftigte sind in Deutschland bei den großen Kirchen und deren Wohlfahrtsverbänden Caritas und Diakonie angestellt. Sie dürfen nicht streiken, die katholische Kirche fordert hohe Loyalität bis hinein in die private Lebensführung. Mehrere Parteien sehen hier Reformbedarf.

Von Burkhard Schäfers | 11.09.2013
    Der Chefarzt eines katholischen Krankenhauses kassiert die Kündigung, weil er zum zweiten Mal heiratet. Die Leiterin einer kirchlichen Kindertagesstätte muss gehen, weil sie nach der Trennung von ihrem Ehemann mit einem neuen Partner zusammenlebt. Mitarbeiter eines diakonischen Pflegedienstes bekommen Dumpinglöhne, aber streiken dürfen sie nicht. Das muss sich ändern, meinen mehrere Parteien und fordern in ihren Wahlprogrammen, das kirchliche Arbeitsrecht zu reformieren. Kerstin Griese, kirchenpolitische Sprecherin der SPD im Bundestag und Mitglied der Synode der Evangelischen Kirche:

    "Ich glaube, wenn sich die Kirchen nicht selbst dran machen, ihr Arbeitsrecht zu reformieren, zu verbessern, die Rechte der Mitarbeitenden zu verbessern, dann wird es irgendwann scheitern."

    Ein zentraler Kritikpunkt: das Streikverbot. Arbeitskämpfe passen nicht zu kirchlichen Betrieben, argumentieren die Kirchen und beschreiten stattdessen den sogenannten dritten Weg: Dabei versuchen Dienstgeber und Beschäftigte einvernehmlich, das Arbeitsrecht zu gestalten sowie Gehälter festzulegen. In strittigen Fragen entscheidet ein Schlichter. Nach Auffassung der Kirchen bildet dieses Modell am besten die Dienstgemeinschaft ab, in der Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam den christlichen Auftrag erfüllen. Die SPD sieht das anders:

    "Wir sind im 21. Jahrhundert, und für abhängig Beschäftigte ist das Streikrecht nun mal ein Grundrecht. Wenn Sie die Putzhilfe oder die Krankenschwester oder den Pfleger fragen, ob er sich in einer Dienstgemeinschaft fühlt oder ob er nicht doch auch sich seines Status als abhängig Beschäftigter bewusst ist, dann werden Sie sicherlich erleben, dass natürlich das normale Verhältnis von Arbeitgeber zu Arbeitnehmer auch in kirchlichen Einrichtungen existiert."

    Eine Reform, so die Sozialdemokraten, stehe nicht im Widerspruch zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht, das den Religionsgemeinschaften im Grundgesetz zugesichert wird. Die Grünen gehen einen Schritt weiter: Sie wollen für sämtliche Beschäftigungsverhältnisse jenseits des inneren Bereichs der Verkündigung das kirchliche Arbeitsrecht abschaffen. Das aber ist mit CDU/CSU nicht zu machen, betont die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Ingrid Fischbach:

    "Ich glaube, wir tun gut daran, daran festzuhalten, dass die Kirchen den dritten Weg gehen können, weil wir natürlich an bestimmten Stellen davon ausgehen, dass gerade Glaubensüberzeugungen auch Inhalte der Arbeit repräsentieren. Und da braucht man dann besondere Voraussetzungen."

    Allerdings: Selbst in der Union sind die hohen Loyalitätsanforderungen der katholischen Kirche umstritten. Kirchliche Mitarbeiter dürfen weder uneheliche noch homosexuelle Beziehungen pflegen. Wer nach einer Scheidung erneut heiratet, dem droht die Kündigung.

    "Also das kann man glaube ich in der heutigen Zeit nicht erwarten. Das Leben ist bunt, keiner hat eine Garantie darauf, dass seine Ehe ewig hält. Und da muss der Arbeitgeber, auch die Kirchen, und das machen sie auch sehr verantwortlich, schauen, ist es möglich auch im Rahmen unserer Überzeugungen den Mitarbeiter zu halten. Und ich kenne ganz viele Fälle, wo man sehr vernünftig miteinander im Gespräch Lösungen findet und auch beiden Seiten gerecht wird."

    Kerstin Griese von der SPD sieht das kirchliche Arbeitsrecht in diesem Punkt deutlich kritischer:

    "Was die Fragen der Lebensführung angeht, sind wir natürlich der Ansicht, dass das, was in der katholischen Kirche passiert – die Diskriminierung von Schwulen und Lesben, die Diskriminierung von wiederverheirateten Geschiedenen – nicht geht. Ich glaube, dass die katholische Kirche realisieren muss, dass sie dafür in der Gesellschaft überhaupt keinen Rückhalt mehr hat und überhaupt kein Verständnis mehr hat. Da geht es darum, dass wir ganz klar die katholische Kirche auffordern, diese Regelung der individuellen Lebensführung, der moralischen Fragen aus dem Arbeitsvertrag rauszulassen. Das hat da nichts zu suchen."

    Auch innerhalb der katholischen Kirche ist das Arbeitsrecht in der Diskussion. So denkt die Deutsche Bischofskonferenz darüber nach, wie hoch etwa die Anforderungen an den privaten Lebenswandel von Krankenschwestern oder Putzmännern tatsächlich sein müssen. Zumal es der Kirche in manchen Bereichen schon heute schwerfalle, geeignete Arbeitskräfte zu finden, sagt Alois Glück, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken:

    "Dieser Themenkreis ist in der katholischen Kirche in Deutschland voll in der Beratung. Die jetzige Situation kann man nicht einfach so aufrechterhalten. Schon aus innerkirchlicher Sicht ist da einiges reformbedürftig und auch mit Blick auf das Verhältnis Kirche-Staat und auf eine glaubwürdige Rolle der Kirche in der Öffentlichkeit."

    Soweit wie die Linkspartei werden die Kirchen von sich aus nicht gehen. Sie fordert die Sonderregelungen für Religionsgemeinschaften im Betriebsverfassungsgesetz zu streichen. In der FDP hingegen gibt es einen Dissens über die Zukunft des Dritten Weges – das kirchliche Arbeitsrecht findet sich deshalb im Wahlprogramm nicht wieder. Fachleute wie der Politikwissenschaftler Ulrich Willems von der Universität Münster bezweifeln daher, dass so manch hehres Ziel in Wahlprogrammen überhaupt politische Konsequenzen nach sich ziehen wird:

    "Ich denke, da gibt es großen Änderungsbedarf, aber ich sehe die politischen Mehrheiten dafür nicht. Die CDU hat sowohl in ihrem Wahlprogramm als auch Frau Merkel hat kürzlich erklärt, dass sie da keinen Änderungsbedarf sieht. Die SPD, die Grünen, die Linke sehen Änderungsbedarf, die FDP wiederum nicht. So dass ich nicht glaube, dass nach der Wahl in dieser Frage sich etwas bewegen wird. Dazu brauchen wir tatsächlich eine Koalition, wo es entsprechende Mehrheiten gibt. Im Moment sind sie nicht absehbar."