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Mehr Rechte für Tiere

Tierschutz wird in Deutschland groß geschrieben, zumindest auf dem Papier. Im Jahr 2002 wurde der Tierschutz sogar als Staatsziel in das Grundgesetz aufgenommen. Doch wie sieht der Spielraum eigentlich aus, wenn dieses Recht, trotz Verfassungsrang, verletzt wird durch behördliche Anordnungen zum Schlachten ohne Betäubung zum Beispiel oder Genehmigungen, was das Schächten angeht? Dann wird es schwierig, die Rechte der Tiere vor Gericht durchzusetzen. Tierschutzorganisationen können nämlich bislang den Rechtsweg nicht beschreiten - anders als Tiernutzer. Sie können gegen "Zuviel Tierschutz" klagen.

Von Andreas Baum | 18.05.2004
    Während der Deutsche Bauernverband in dieser Schieflage kein akutes Problem sieht, da der Tierschutz bei Auslegung und Anwendung des geltenden Rechts ohnehin ausreichend berücksichtigt werde, darüber hinaus sogar noch eine spezielle Kommission dafür sorge, will Schleswig-Holstein für Tierschutzorganisationen ein Verbandsklagerecht durchsetzen.

    Die Landesregierung von Schleswig-Holstein verweist aufs Grundgesetz, um zu erklären, warum das Verbandsklagerecht für Tierschutzvereine unerlässlich ist: Der Artikel 20 a erklärt den ethischen Tierschutz zum Rechtsgut mit Verfassungsrang. Der Gesetzgeber ist nun verpflichtet, Tiere zu schützen: Vor nicht artgerechter Haltung, vor, wie es heißt, vermeidbaren Leiden und vor der Zerstörung ihrer Lebensräume. Menschen können vor Gerichten klagen, um ihre Rechte einzufordern. Für Kinder können dies ihre gesetzlichen Vertreter tun. Selbst Naturschutzverbände können im Sinne der Interessen der Natur vor Gericht ziehen. Nur für Tiere gilt dies nicht. Für Schleswig-Holsteins Umweltminister Klaus Müller ist dies ein Ungleichgewicht, das beseitigt werden muss.

    Zur Zeit haben wir eine Schieflage. Das heißt, jeder, der eine Genehmigung beantragt hat für einen Stall in der Landwirtschaft, oder für Tierversuche, und dieses nicht genehmigt bekommt, oder mit Auflagen genehmigt bekommt, der kann natürlich vor Gericht ziehen und Schadensersatz gegen eine Behörde einklagen. Nur jemand, der umgekehrt der Auffassung ist, hier ist eine Genehmigungsbehörde tätig geworden, ohne den Tierschutz zu berücksichtigen, der kann eben nicht vor Gericht ziehen.

    Um dies zu ändern, legt das rot-grün regierte Schleswig-Holstein einen Gesetzentwurf vor, der den Tieren Stimme und Anwalt verschaffen will. Das Recht, im Sinne der Tiere zu klagen, soll aber nur anerkannten Vereinen gewährt werden, die über eine gewisse Mitgliederzahl verfügen, also mehr als nur Randgruppen repräsentieren. Kritiker befürchten, dass mit einem solchen Gesetz eine Klagewelle auf deutsche Gerichte zurollen würde, dass Tierschutzverbände dieses Recht missbrauchen würden, um missliebige Projekte zu boykottieren. Der Kieler Umweltminister zeigt deshalb gern auf das Vorbild der Verbandsklage im Naturschutz: Sie habe weder dazu geführt, dass Gerichte überlastet gewesen seien, noch, dass Verkehrsprojekte verzögert oder verhindert worden wären. Was Skeptiker wiederum fragen lässt, ob das Verbandsklagerecht dann überhaupt wirksam ist, wenn sich tierquälerische Versuchsreihen damit gar nicht aufhalten lassen.

    Wir werden mit dem Verbandsklagerecht nicht die Welt retten können. Wir werden sie auch nicht von heute auf morgen besser oder schöner oder toller gestalten. Sondern es ist ein weiteres Mosaiksteinchen, aber ein sehr wichtiges für die Tierschutzverbände, weil es ihnen die Möglichkeit gibt, endlich auch vor Gericht ziehen zu können und damit auch bestehendes Recht einzuklagen.

    Auch den Einwand, dass dieser Gesetzentwurf die Wirtschaft in Deutschland behindere, dass den ohnehin gebeutelten Bauern das Überleben noch erschwert werde, lässt der Minister nicht gelten.

    Ich glaube, dass es sogar im Interesse der Wirtschaft ist, zu sagen: Wir haben so hohe Tierschutzstandards in Deutschland, damit kann man auch werben. Das ist wichtig im Kosmetikbereich, für viele Menschen ist es entscheidend, dass mit ihren Kosmetikartikeln nicht Tiere unnötig gequält werden. Für ganz viele Menschen ist es entscheidend, dass in der Medizin Rücksicht genommen wird. Das kann eigentlich für die deutsche Wirtschaft ein Qualitätsstandard sein.

    Müllers Gegner sind zahlreich: Die pharmazeutische Industrie klagt über Wettbewerbsnachteile, durchschnittlich ein Jahr dauere es schon jetzt, bis Tierversuche genehmigt würden, was Deutschlands Forschung international deklassiere. Die großen Fleischproduzenten fürchten, in Bürokratie und Vorschriften zu versinken. Für sie spricht Otto Dietrich Steensen, Vizepräsident des Deutschen Bauernverbandes.

    Wir sehen nur, was wir heute an Verwaltung haben, an Baugenehmigungen und an Verfahren und Mitspracherecht letztendlich aller öffentlichen Menschen, ob das vom Nachbarn angefangen ist bis zu jedem, der sich im Ort betroffen fühlt – beim Baurecht, Emissionsgesetz, und, und, und! Und deshalb wollen wir nicht, dass hier noch zusätzlich was aufgebläht wird, dass noch mehr Mitsprache reinkommt...

    Um die Verbandsklage für Tierschutzorganisationen wirksam werden zu lassen, muss Schleswig-Holsteins Regierung noch Fürsprecher im Unions-dominierten Bundesrat finden.