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Mehr Schein als Sein?

Medizin. - Viele Millionen Patienten nehmen weltweit Antidepressiva vom Typ der Serotoninwiederaufnahmehemmer ein. Ob aber die Wirkstoffe wirklich greifen, zweifeln US-Forscher jetzt an. Denn eine Metastudie kommt zu dem Ergebnis, dass die Arzneien kaum besser abschneiden als Placebos. Die Wissenschaftsjournalistin Kristin Raabe erläutert die Ergebnisse der Studie im Gespräch mit Gerd Pasch.

26.02.2008
    Gerd Pasch: Frau Raabe, was haben die Forscher gemacht?

    Kristin Raabe: Sie haben sich 47 klinische Studien angesehen, in denen es um die Wirkstoffklasse der Serotoninwiederaufnahmehemmer geht. Das sind die am häufigsten verschriebenen Antidepressiva. Weltweit nehmen schätzungsweise 40 Millionen Menschen alleine Präparate, die den Wirkstoff Fluoxetin enthalten, ein. In den USA sind diese Medikamente bekannt unter dem Handelsnamen Prozac, und auch hierzulande bekannt geworden, auch wenn es hier Fluoxetin heißt. Interessant an dieser Untersuchung ist vor allem, das die Forscher Studien sich vorgenommen haben, die bislang nicht veröffentlicht worden sind. Sie hatten Zugang von der US-Arzneimittelbehörde erhalten zu einigen Daten, die bislang so weder in Fachzeitschriften, noch in irgendeiner anderen Form veröffentlicht wurden. Das Ergebnis dieser Analyse war letztlich, dass tatsächlich diese Gruppe von Antidepressiva tatsächlich nur bei schwersten Depressionen wirken, und da eben auch nur wenig effizienter als Placebos.

    Pasch: Haben jetzt Millionen von Menschen weltweit völlig umsonst diese vergleichsweise wirkungslosen Pillen geschluckt?

    Raabe: Nein, man muss ganz klar sagen, dass diese Studie ein weiteres Geschoss ist im so genannten Prozac-War, wie das mittlerweile auch in den USA genannt wird. Dieser Krieg zwischen verschiedenen Expertengruppen und der Pharma-Industrie tobt schon seit Jahren in den USA. Und immer wieder kommen Studienergebnisse heraus, die vermeintlich negative Auswirkungen oder sogar die Wirkungslosigkeit von Prozac und Co und anderen Antidepressiva belegen wollen. Beispielsweise wurde behauptet, dass die Einnahme von Prozac bei Jugendlichen zu Selbstmord führen kann. Daraufhin gingen dann die Verschreibungsraten in dieser Altersgruppe zurück, und mit den Rückgang stieg dann die Selbstmordrate bei Teenagern in den USA um 14 Prozent an, und in Holland sogar um die Hälfte. Jetzt sagen wieder Experten 'Nein, Prozac und andere Präparate verhindern eher den Selbstmord bei Jugendlichen'. Also es gibt immer wieder Für und Wider. Was man sagen kann, ist, dass es anscheinend noch nicht so ganz entschieden ist, wie gut die tatsächlich wirken.

    Pasch: Also nur heiße Luft und Medienhype?

    Raabe: Das kann man so auch nicht sagen. Grundsätzlich haben die Autoren recht mit ihrer Behauptung, dass viele klinische Studien von Pharmafirmen nicht veröffentlicht werden, weil die Ergebnisse nicht so gut sind, wie die Unternehmen es gerne hätten. Und deswegen erscheinen halt viele Präparate im Nachhinein wirkungsvoller als sie wirklich sind, weil eben selektiv Daten veröffentlicht werden. Viele Patientengruppen fordern deswegen auch schon seit längerem, dass es eine Veröffentlichungspflicht für sämtliche Studienergebnisse von Pharma-Unternehmen gibt. Ansonsten muss man sagen, sind die Ergebnisse der Autoren gar nicht so neu in vieler Hinsicht. Zum Beispiel ist schon relativ lange bekannt, dass es bei Depressionen einen starken Placeboeffekt gibt. Diese Placebo-Effekt hält allerdings nur sechs Wochen an. Den Medikamenteneffekt von Antidepressiva hält allerdings länger an. Richtige Medikamente wirken also doch länger.

    Pasch: Können Patienten also weiterhin Prozac nehmen oder nicht?

    Raabe: Man muss da ganz klar unterscheiden zwei Gruppen von Patienten: es gibt natürlich die Patienten, mit den richtigen klinischen Depressionen, die von Psychiatern diagnostiziert wurden, von wirklichen Experten, wo man dann verschiedene Antidepressiva ausprobiert. Und die klinische Erfahrung vieler Psychiater gesagt, dass diese Antidepressiva tatsächlich wirken. Dann gibt es noch eine weitere Gruppe von Patienten, die Antidepressiva einnehmen. Die leidet allerdings unter depressiven Verstimmungen. Das haben wir alle schon einmal gehabt, wir hatten alle schon einmal Liebeskummer oder haben einen wertvollen Menschen verloren und das sind schreckliche Zeiten, aber das ist noch keine Depressionserkrankung. Bei solchen Fällen, da helfen diese Medikamente tatsächlich nicht und da muss man davon abraten von der Medikamenteneinnahme.