Andere Notgeldsprüche sind nicht so klassikerselig. Sie lassen vielmehr politischen Affekten wie dem gegen den Versailler Vertrag, gegen die Siegermächte, gegen Schmuggler und Kriegsgewinnler freien Lauf. Berühmt-berüchtigt in Notgeldsammlerkreisen ist der Schein der Stadt Neuhaldensleben bei Magdeburg, die sich, wenn überhaupt, mit der Produktion von Nachttöpfen einen Namen gemacht hatte. Und eben diese Nachttöpfe sind, als sollte Freuds These vom Zusammenhang zwischen Analerotik und Geldfixierung illustriert werden, auf dem Scheingeld dieser Stadt zu sehen. Der dazugehörige Spruch ist poetisch nicht ganz so hochstehend wie die soeben zitierten: "Eh nicht der Schmachvertrag zerrissen, / und liegt in diesem Topfe, dem gewissen, / ist der ganze Kram besch...ämend." Mit dem Kollaps von Währungen, so der eindeutige Bildbefund, erodiert auch der klassische Glauben an den Zusammenhang des Schönen, Wahren und Guten. Dafür steigt die Lust an schönen und guten Waren.
Der Versuchung, sich durch sein glänzend ausgebreitetes Material zu weitreichenden Thesen über die Psychologie des Geldes oder über den Zusammenhang von intakter Subjektivität, intersubjektiver Geltung und Geld verleiten zu lassen, widersteht der Verfasser. Auch Leser, die angesichts der bevorstehenden Einführung des Euro nach Parallelen suchen, werden enttäuscht. Doch noch dieser Theorie- und Aktualisierungsverzicht hat seinen guten Grund. Die neuen Euroscheine werden auf absehbare Zeit von banalen und analen Inschriften frei sein. Warum? Weil sie, obwohl weit davon entfernt, durch einen Nibelungenschatz gedeckt zu sein, "hart" sein werden. Dafür gibt es ein aussagekräftiges Indiz: auch langfristige Zinsen sind heute so preiswert wie seit Jahrzehnten nicht. Die Märkte antizipieren ganz offenbar einen stabilen Euro. Und deshalb wird er auch stabil sein. Politisch-ökonomisch ist das (wenn deflationäre Exzesse vermieden werden!) natürlich gut so. Ästhetisch aber ist das zu bedauern: auf so einfallsreiche Bild-und Spruchgestaltungen wie die des deutschen Notgeldes der 20er Jahre werden wir lange warten müssen. Und die Preise für Sammlungen von Not- und Inflationsgeld steigen. Der besprochene Band ist nicht nur deshalb seinen Preis wert.