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Mehr Schein als Sein - Als die Mark Kapriolen schlug

"Dieser Schein verliert seine Gültigkeit 1 Monat nach erfolgter Bekanntmachung in den Schleswiger Nachrichten." Harmlose Inschrift auf dem Kriegsnotgeld der norddeutschen Kleinstadt am Jahresende 1918. Ähnliche Geldscheine und ähnliches Scheingeld waren damals überall im besiegten Deutschland zu finden. Das belegt eindrucksvoll der von Hans Otto Eglau zusammengestellte, mit einem kundigen Text versehene und prächtig illustrierte Band mit dem schönen Titel "Mehr Schein als Sein - Als die Mark Kapriolen schlug - Deutsches Notgeld 1914-1923". Scheingeld im doppelten Sinne des Wortes war schon in den letzten Kriegsjahren omipräsent. Denn die Reichsbank duldete angesichts der Knappheit an Hartgeld, daß Kommunen, aber auch Firmen ihr eigenes Klein- bzw. Notgeld ausgaben. Münzgeld war rar im Deutschland des ersten Weltkrieges und der unmittelbaren Nachkriegszeit. Und das nicht etwa, weil linke Feinde des Kapitals ihr Unwesen trieben. Sondern weil schon zu Kriegsbeginn, genauer: am 31. Juli 1914, also einen Tag vor der Kriegserklärung, die deutsche Reichsbank zur Verteidigung ihres mythisch-monetären "Nibelungenschatzes" die Gold-Einlösepflicht für Papiergeld aufgehoben hatte. Kluge Marktbeobachter hatten sich nämlich über die fiskalischen Folgen des abzusehenden und doch in seinen Folgen nur zu unterschätzenden Weltkrieges wenig Illusionen gemacht und sich zuhauf der Golddeckung der deutschen Mark entsonnen. Wer kein Gold mehr bekam, konnte sich an Münzgeld schadlos zu halten versuchen.

Jochen Hörisch |
    Schon bald nach dem Ende des ersten Weltkrieges wurde deutlich, wie teuer er den Deutschen zu stehen kommen sollte. Mit hehren Sprüchen wie "Gold gab ich für Eisen" war nicht mehr zu überdecken, daß Kriege nicht "nur" Blut-, sondern auch ungeheure Kapital-Ströme kosten. Mit dem Kollaps der deutschen Währung in der Hyperinflation der frühen 20er Jahre kollabierte das "Gold gab ich für Eisen"-Pathos alsbald. Und auch bürokratische Sprüche wie der eingans zitierte verschwanden zusehends von den Notgeldscheinen. Statt dessen gab es Weisheiten wie diese zu lesen: "Seid einig, einig, einig" - diese Worte des alten Attinghausen aus Schillers "Wilhelm Tell" standen Anfang 1922 auf dem Notgeld der Klassikerstadt Weimar. "Nichts Heiliges ist mehr, und alle Laster walten frei" - so steht beziehungsreich auf Notgeld aus dem Jahre 1921, das zeigt, wie vergnügungssüchtige Großstädter um das goldene Kalb tanzen.

    Andere Notgeldsprüche sind nicht so klassikerselig. Sie lassen vielmehr politischen Affekten wie dem gegen den Versailler Vertrag, gegen die Siegermächte, gegen Schmuggler und Kriegsgewinnler freien Lauf. Berühmt-berüchtigt in Notgeldsammlerkreisen ist der Schein der Stadt Neuhaldensleben bei Magdeburg, die sich, wenn überhaupt, mit der Produktion von Nachttöpfen einen Namen gemacht hatte. Und eben diese Nachttöpfe sind, als sollte Freuds These vom Zusammenhang zwischen Analerotik und Geldfixierung illustriert werden, auf dem Scheingeld dieser Stadt zu sehen. Der dazugehörige Spruch ist poetisch nicht ganz so hochstehend wie die soeben zitierten: "Eh nicht der Schmachvertrag zerrissen, / und liegt in diesem Topfe, dem gewissen, / ist der ganze Kram besch...ämend." Mit dem Kollaps von Währungen, so der eindeutige Bildbefund, erodiert auch der klassische Glauben an den Zusammenhang des Schönen, Wahren und Guten. Dafür steigt die Lust an schönen und guten Waren.

    Der Versuchung, sich durch sein glänzend ausgebreitetes Material zu weitreichenden Thesen über die Psychologie des Geldes oder über den Zusammenhang von intakter Subjektivität, intersubjektiver Geltung und Geld verleiten zu lassen, widersteht der Verfasser. Auch Leser, die angesichts der bevorstehenden Einführung des Euro nach Parallelen suchen, werden enttäuscht. Doch noch dieser Theorie- und Aktualisierungsverzicht hat seinen guten Grund. Die neuen Euroscheine werden auf absehbare Zeit von banalen und analen Inschriften frei sein. Warum? Weil sie, obwohl weit davon entfernt, durch einen Nibelungenschatz gedeckt zu sein, "hart" sein werden. Dafür gibt es ein aussagekräftiges Indiz: auch langfristige Zinsen sind heute so preiswert wie seit Jahrzehnten nicht. Die Märkte antizipieren ganz offenbar einen stabilen Euro. Und deshalb wird er auch stabil sein. Politisch-ökonomisch ist das (wenn deflationäre Exzesse vermieden werden!) natürlich gut so. Ästhetisch aber ist das zu bedauern: auf so einfallsreiche Bild-und Spruchgestaltungen wie die des deutschen Notgeldes der 20er Jahre werden wir lange warten müssen. Und die Preise für Sammlungen von Not- und Inflationsgeld steigen. Der besprochene Band ist nicht nur deshalb seinen Preis wert.