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Mehr Selbstständigkeit für kindliche Diabetiker

Rund 20.000 Kinder in Deutschland sind "Typ 1 Diabetiker". Sie leiden an einem genetisch bedingten Immundefekt, der zum Ausfall der körpereigenen Insulinproduktion führt. Für die Eltern eine große Herausforderung. Nicht selten muss ein Elternteil den Beruf komplett aufgeben, weil eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung nötig wird. Ständig muss der Blutzuckerspiegel gemessen und - nach Bedarf - Insulin gespritzt werden. Einen Ausweg aus dem Dilemma bieten "Insulinpumpen", die den Kindern eine größere Selbstständigkeit geben. Vorgestellt wurden die Pumpen am Wochenende auf dem Diabetes-Kongress in Hannover.

Von Michael Engel |
    Vor zwei Jahren erkrankte Julia Bendorf aus Neustadt an Diabetes. Damals war sie 11 Jahre alt.

    Wir sind zum Arzt gegangen, weil ich so ziemlich jede Pause und auch in der Stunde auf Toilette musste, sehr viel getrunken habe, und dann musste ich halt immer spritzen, viermal am Tag ...

    ..... das ist heute vorbei, denn jetzt trägt die Schülerin eine Insulinpumpe am Gürtel. Von dort aus führt ein dünner Schlauch zu einer Kanüle, die am Bauch unter der Haut sitzt.

    Ich habe vorher Langzeitinsulin und Kurzzeitinsulin also Mahlzeiteninsulin gespritzt. Und das Kurzzeitinsulin wird jetzt immer nur in ganz kleinen Mengen abgegeben, und wenn ich was essen will, muss ich ganz einfach noch was eingeben.

    Besonders Kinder profitieren von der Insulinpumpe, weil der Wirkstoff automatisch abgegeben wird. Nur vor den Mahlzeiten ist - per Knopfdruck - eine Extradosis nötig. Wichtig: Jedes Gerät muss an die persönlichen Bedürfnisse angepasst werden, unterstreicht Prof. Thomas Danne vom Kinderkrankenhaus auf der Bult in Hannover. Insulinpumpen geben Sicherheit, denn die Gefahr von Über- oder Unterzuckerungen ist auf ein Minimum reduziert.

    Chronisch kranke Kinder wie Kinder mit Diabetes sind darauf angewiesen, dass sie auch in der Schule und im Kindergarten Unterstützung erhalten. Und das ist ein gesundheitspolitisches Problem, denn wir stellen fest, dass bei Umfragen in Familien mit Kindern mit Diabetes viele Mütter aufhören zu arbeiten, weil sie sich rund um ihr Kind kümmern wollen.

    Bisher mussten Eltern ständig zum Kindergarten oder in die Schule, um ihre Kinder mit Insulin zu versorgen, denn Kindergärtnerinnen, Lehrerinnen und Lehrer dürfen den Schützlingen – aus rechtlichen Gründen - kein Insulin spritzen. Insulinpumpen geben allen Beteiligten neue Freiräume, doch nicht nur deswegen ist Anke Bendorf – die Mutter von Julia – begeistert:

    Also ich bin da auch sehr fortschrittlich denkend, und ich bin fest davon überzeugt, dass es in den nächsten Jahren – und Julia wird das erleben – da noch große Fortschritte geben wird.

    Gerade im pharmakologischen Bereich steht eine ganze Reihe neuer Medikamente in der "Pipeline der Forschung". Beispiel: Exenatide. Sie stimulieren - glucoseabhängig - die Insulinfreisetzung. Besonderer Vorteil: die von Diabetikern gefürchteten Unterzuckerungen können nicht mehr auftreten, selbst wenn ein Zuviel an Wirkstoff injiziert wurde.

    Es wirkt dadurch, dass es die körpereigene Insulinsekretion stimuliert, dass es den Appetit bremsen kann und tatsächlich auch zu einer leichten Gewichtsabnahme führen kann, und das ist eine große Hoffnung, dass es wahrscheinlich die Insulin produzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse – die sogenannten Beta-Zellen – wieder zum Wachstum anregen kann, und das wäre dann tatsächlich etwas, was der Entwicklung und auch der Verschlechterung eines Diabetes entgegenwirken kann.

    Zur Zeit befindet sich der Wirkstoff in der klinischen Forschung, doch in spätestens zwei Jahren – so Prof. Michael Nauck aus Bad Lauterberg – könnten erste Präparate zugelassen sein. Ein anderes Medikament steht unmittelbar vor der Markteinführung. Es heißt "Detemir" und ist ein schnell wirkendes Human-Insulin-Analogon.

    Detemir ist eigentlich ein abgewandeltes Insulin, ein Insulin, das in die Gruppe der sogenannten Basalinsuline gehört, das heißt Insulin mit einer verzögerten Wirkung, was man selten spritzen muss, bei Detemir wahrscheinlich zweimal täglich, was den Grundbedarf für den Stoffwechsel unter den Umständen deckt, dass man nicht isst. Dazu müsste dann zum Essen noch Insulin mit einer schnelleren Wirkung injiziert werden.

    Ganz neu ist ein Trockenpulver, das vor den Mahlzeiten über die Lunge inhaliert wird. Kürzlich erst hat die europäische Arzneimittelbehörde den Zulassungsantrag für dieses Insulinpräparat angenommen. Noch in der Forschung steckt ein Wirkstoff, der – in Tablettenform – sogar geschluckt werden kann. Experten wie Prof. Michael Nauck sind aber skeptisch:

    .... denn es ist ja letztlich nicht das Problem der Insulintherapie überhaupt, Insulin irgendwie in den Kreislauf und in den Organismus hineinzubekommen, sondern es kommt auf den ganz genauen, feinen Zeitverlauf an. Also man könnte fast sagen – es kommt auf die Minute an, dass das Insulin im Blut erscheint, und das muss sehr genau mit den Mahlzeiten abgestimmt sein, damit die optimale Wirkung entfaltet wird, und da sehe ich gerade bei dem Insulin, das über den Darm resorbiert wird, noch Probleme.