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Mehr Studierende aus "bildungsfernen" Schichten

Die Initiative Studienkompass hilft Schülerinnen und Schülern aus "bildungsfernen" Schichten, ein Studium zu beginnen. In Seminaren lernen die Jugendlichen, wo ihre Stärken liegen - wichtig für die Wahl des Studienfachs.

Von Daniela Siebert | 08.09.2009
    Slawa Russinow gehört zum ersten Studienkompassjahrgang, der 2007 startete. Der 20-Jährige hat gerade in Hamburg Abitur gemacht und wird im Herbst in Heidelberg ein Jurastudium beginnen. Ohne den Studienkompass wäre es dazu wohl nicht gekommen.

    "Wenn ich zurückdenke, in der 11. Klasse: Ich dachte früher, man geht von der Schule zur Uni so flüssig rüber wie von der Grundschule zur Beobachtungsstufe. Ich wusste nicht, was BAföG ist oder auch nicht wirklich was für Unis es wo gibt, auf was man achten muss und wie man sich bewirbt."

    Wirtschaftsanwalt lautet Slawas Berufswunsch jetzt. Auch vor dem Studienkompass hatte er schon mit Jura geliebäugelt. Aber sein Weg dorthin ist nun ein anderer.

    "Der Studienkompass allgemein hat mich dazu gebracht, aus Hamburg raus zu gehen. Bevor ich beim Studienkompass war, war ich so ein bisschen naiv. Ich habe gedacht, ich würde in Hamburg studieren, hier arbeiten, hier leben. Natürlich ist das nicht so leicht, da die Arbeitgeber von morgen oder von heute auch erwarten, dass man flexibel ist und weggeht. Und die Uni Hamburg hat auch nicht den besten Ruf. Aber ich wäre da geblieben, wenn ich nicht andere Optionen kennengelernt hätte."

    Auch die 19-jährige Janett Kühn aus Brandenburg hat sich nach zwei Jahren Teilnahme am Studienkompass für ein Studium in Chemnitz entschieden.

    "Also am Anfang wollte ich Chemie studieren, aber dadurch, dass der Studienkompass mir gezeigt hat, was ich eigentlich wirklich kann und wie ich wirklich bin, hab ich mich entschieden, dass ich doch nicht Chemie studiere und dass Wirtschaft mehr zu mir passen würde."

    Vor allem die Gespräche mit einem Psychologen im Rahmen des Programms hätten ihr gezeigt, dass ihre Stärken besser zu Wirtschaftswissenschaften passen.

    "Ich mag eher so die Fakten und Zahlen und Mathematik sind meine Stärken."

    Dass junge Menschen ihre Fähigkeiten und Möglichkeiten besser kennenlernen, ist eines der Hauptziele des Studienkompasses. Das geschieht vor allem durch Workshops und Informationsveranstaltungen.

    Heute wird ein neuer Jahrgang mit 275 Schülern in das Programm aufgenommen. Ulrich Hinz, Leiter des Programms bei der Stiftung der Deutschen Wirtschaft, freut sich daher auch über den Erfolg des Studienkompasses:

    "Nach einer internen Umfrage, die wir jetzt im Sommer gemacht haben, bei denjenigen, die jetzt ihr Abitur gemacht haben, wollen von denen 80 bis 90 Prozent studieren, das ist im Vergleich zu den 23 Prozent, die üblicherweise Schülerinnen und Schüler aus Nichtakademikerfamilien studieren, eine enorm gute Quote. Also das heißt für mich: Das Programm hat Effekte, positive Effekte."

    2500 Euro pro Schüler und Jahr lässt sich seine Stiftung diese Fördermaßnahme in den nächsten acht Jahren kosten.

    Slawa Russinow und Janett Kühn sind voll des Lobes für den Studienkompass. Aber kleine Verbesserungsvorschläge haben sie trotzdem:

    Slawa: "Dass man schon vor dem dritten Jahr solche Camps machen sollte, bei denen man auch seine Fähigkeiten in bestimmten Bereichen verbessert. Wir machen im dritten Jahr so Zeitmanagement und halt solche Sachen."

    Janett: "Ich würde auch diese Camps ein bisschen früher machen, dass wir die speziellen Fähigkeiten, die wir haben, auch noch früher lernen, weil einige aus unserer Gruppe bis vor zwei Monaten nicht wussten, was sie machen."

    Verbesserungsmöglichkeiten am Studienkompass sieht auch Stephan Scholtissek, Vorsitzender der Accenture-Stiftung, einem weiteren Geldgeber der Aktion. Er will vor allem die Eigenständigkeit der Schüler weiter fördern.

    "Das haben wir gesehen, in diesen Regionalgruppen, wo es wichtig ist, dass die sich selber organisieren, dass sie selber anfangen Zutrauen zu haben, dass sie sich trauen, Leute anzurufen, die für sie wichtig sind, die sie dann selber einladen für ihre eigenen Treffen am Wochenende und da wachsen dann die Persönlichkeiten dran."

    Ansonsten ist Stephan Scholtissek mit der Bilanz des Studienkompasses aber höchst zufrieden:

    "Wir sind ganz froh, wir haben ja jetzt den ersten Jahrgang, der zwei Jahre bei uns ist und von den Schülern, diesen 175, haben jetzt so 80 Prozent gesagt, dass sie studieren werden, jetzt sofort, einige haben einen Studienplatz bereits, andere werden nach Bundeswehr oder freiwilligem sozialen Jahr dann studieren wollen, die übrigen wissen es nicht so genau, bei drei Prozent haben wir die Information, dass sie definitiv eine Lehre anfangen werden und damit sind wir glaube ich in dem Durchschnitt, wie wir das normalerweise bei Akademikerkindern auch sehen."