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Mehr Zeitdruck, weniger Ausland

Laut einer Studie war mehr als jeder dritte Master-Absolvent im Ausland. Das klingt erst mal gut. Doch Ulrich Heublein vom Hochschul-Informationssystem kennt auch andere Zahlen: Demnach werden die Aufenthalte kürzer und die Praktika im Ausland seltener.

Ulrich Heublein im Gespräch mit Sandra Pfister | 19.05.2011
    Sandra Pfister: Die Bologna-Reformen, wozu waren die noch mal gut? Genau, sie sollten die Hochschulabschlüsse in Europa vergleichbar machen, kurz: Dafür sorgen, dass Studierende problemlos von einer Uni in Deutschland an eine in Spanien wechseln können, beispielsweise. Pustekuchen. Nach wie vor haben viele Mühe, ihre im Ausland erworbenen Leistungsnachweise an ihrer Heimatuniversität anerkennen zu lassen. Wie also steht es derzeit, um die Lust deutscher Studierender ins Ausland zu gehen? Das Hochschul-Informationssystem untersucht das im Zwei-Jahres-Takt.

    Ulrich Heublein, Sie sind Projektleiter der Studie. Die meisten Studierenden sind inzwischen in Bachelor- und Masterstudiengängen eingeschrieben. Sind die Bachelor mobiler als die Diplomanten und Magisterstudenten früher?

    Ulrich Heublein: Das kann man natürlich nicht ganz so verzeichnen, die Bachelor mit den Diplomanten. Ungefähr jeder fünfte bis jeder vierte Studierende im Bachelorstudium, im fünften und sechsten Hochschulsemester, hat studienbezogene Auslandserfahrung - Auslandserfahrung im weitesten Sinne des Wortes, vom Auslandsstudium bis zur Sommerschule. Beim Master am Ende, also im dritten und vierten Semester, sind es 37 Prozent. Das sind Werte, die wir in der Tat auch in den alten Diplomstudiengängen erreicht haben. Da darf man eine Sache dabei nicht vergessen: Es werden natürlich nicht alle Bachelor Master.

    Pfister: Das bedeutet, ein bisschen verfälscht ist das Bild, wenn man dann die prächtigen Zahlen 37 Prozent nach dem Masterstudium sieht, weil man dann denkt: Wow, jeder Dritte war im Ausland, aber es kommen gar nicht alle im Master an. Das meinen Sie?

    Heublein: Das meine ich, jawoll! Vor allen Dingen an den Fachhochschulen wissen wir ja, dass im Moment nur jeder zweite Bachelorabsolvent zu einem Masterstudium übergeht. An den Universitäten ist es höher, da sind die Übergänge so in dem Bereich von 75 Prozent - aber auch dort eben 25 Prozent, die im Moment kein Masterstudium an ihren Bachelor anschließen.

    Pfister: Nun haben wir das ja schon mehrfach gehört, dass der Zeitdruck so groß ist in Bachelorstudium. Werden die Auslandsaufenthalte dadurch kürzer oder irgendwie verändert, dass man beispielsweise lieber zwei Monate Praktikum im Ausland macht, statt ein ganzes Semester ins Ausland zu gehen?

    Heublein: Jawoll, das stimmt. Die Auslandsaufenthalte werden im Schnitt kürzer im Bachelorstudium, auch im Masterstudium, vor allen Dingen an den Fachhochschulen, da beobachten wir vor allen Dingen, dass die Auslandsaufenthalte so in dem Bereich von vier bis sechs Monaten zunehmen und alles, was länger ist – also, was über ein halbes Jahr hinausgeht –, das wird seltener. Es verwundert uns total, und wir haben jetzt ja noch nicht unbedingt die große Erklärung dafür, dass das Praktikum – also, der Anteil der Studierenden, die ein Auslandspraktikum machen – zurückgegangen ist. Da hatten wir, das will ich ganz ehrlich gestehen, andere Hypothesen, aber im Moment müssen wir konstatieren, beim Praktikum haben wir deutliche Rückgänge.

    Pfister: Haben Sie eine Idee, woran das liegen könnte?

    Heublein: Das könnte daran liegen, dass das Praktikum sehr aufwendig zu organisieren ist. Beim Auslandsstudium stellen wir folgende Entwicklung fest: An den Fachhochschulen sind viele Fachbereiche dazu übergegangen, den Studierenden strukturierte Angebote zu unterbreiten. Die sagen also den Studierenden: Hier, wir haben sieben, acht Hochschulen, mit denen gibt es feste Vereinbarungen, dort könnt ihr jetzt ein Semester studieren. Die Leistungen werden anerkannt, das ist alles schon geklärt, relativ einfache Organisation der Auslandsaufenthalte. Beim Praktikum lässt sich das nicht so einfach organisieren, und ich denke, dass die Studierenden zunehmend – in der Tat angesichts des hohen Zeitdrucks im Bachelorstudium – diese Mühen der Selbstorganisation von Auslandsaufenthalten scheuen.

    Pfister: Das heißt, sie würden, wenn es darum geht, welche Hindernisse aus dem Weg geräumt werden müssen, damit mehr Studierende ins Ausland gehen, dann würden Sie den Ball auch an die Hochschulen und an die Fachbereiche zurückspielen und sagen: Macht es mundgerechter, bietet mehr Service!

    Heublein: In doppelter Hinsicht. Man kann nicht modularisierte Studiengänge einführen, ohne auch aufseiten der Auslandsaufenthalte entsprechend zu reagieren, sprich: den Studierenden organisatorische Erleichterungen anzubieten. Das halte ich für eine wichtige Sache. Aber wir werden im Bachelorstudium die Auslandsmobilität nur erhöhen können, wenn es dort den Studierenden relativ leicht gemacht wird, ins Ausland zu kommen. Das ist aber nur die eine Seite. Für viel wichtiger halte ich nämlich, dass etwas für die Motivation der Studierenden getan wird. Wir haben ja folgende Situation: Wir treffen kaum bei unseren Befragungen noch auf Studierende, die an der Sinnhaftigkeit von Auslandsaufenthalten generell zweifeln. Aber das heißt noch lange nicht, dass es für sie selber schon wichtig geworden ist, dass sie selber schon sagen: Jawoll, auch für mich, für meine persönliche Zukunft, für mein Studium ist das wichtig. Und dies zu vermitteln, warum das für den einzelnen Studierenden, für den konkreten Studierenden wichtig ist, das ist eine Aufgabe Lehrender, oder, um das noch etwas umfassender zu machen, überhaupt an die Fachbereiche. Wir stellen fest, dort wo wir Lehrende haben, die von Auslandsaufenthalten – ich sage das mal bewusst etwas euphorisch – schwärmen können, weil sie selber gute Erfahrungen gemacht haben, dort ist auch die Bereitschaft der Studierenden besser. Dieser Prozess der Motivierung, den gilt es zu organisieren.

    Pfister: Ulrich Heublein vom Hochschulinformationssystem hat untersucht, ob, wie oft und wie lange deutsche Studenten ins Ausland gehen. Danke!