Montag, 29. April 2024

Schutz der Menschenrechte
Mehrheit der EU-Staaten stimmt für Lieferkettengesetz - Deutschland enthält sich

Nach langem Ringen unterstützt eine ausreichende Mehrheit der EU-Staaten ein abgeschwächtes europäisches Lieferkettengesetz zum Schutz der Menschenrechte. Damit wurde Deutschland überstimmt, das sich vor allem auf Druck der FDP enthielt. Worum genau es im Lieferkettengesetz geht, fassen wir hier für Sie zusammen.

18.03.2024
    Näherinnen in bunten Saris sitzen in einer großen Halle an Nähmaschinen, im Vordergrund stehen große Garnrollen.
    Näherinnen in einer Fabrik in Bangladesch (picture alliance / Zuma Press / Joy Saha)
    Formal handelt es sich bei dem Gesetz um eine EU-Richtlinie. Unternehmen sollen stärker für Missstände in ihren Lieferketten in die Pflicht genommen werden, etwa für Verstöße gegen Menschenrechte oder gegen Umweltauflagen.
    Weil die Einigung von Dezember keine ausreichende Mehrheit unter den EU-Staaten gefunden hatte, wurde das Vorhaben deutlich abgeschwächt. Statt wie ursprünglich geplant, soll es etwa nicht mehr für Firmen mit mehr als 500 Beschäftigten und mindestens 150 Millionen Euro Umsatz gelten. Die Grenze wurde den Angaben zufolge auf 1000 Beschäftigte und 450 Millionen Euro angehoben - nach einer Übergangsfrist von fünf Jahren. An diesen Geltungsbereich soll sich stufenweise herangetastet werden.
    Außerdem wurden sogenannte Risikosektoren gestrichen, also Wirtschaftszweige, in denen das Risiko für Menschenrechtsverletzungen höher bewertet wird. Dazu zählen etwa die Landwirtschaft und die Textilindustrie. Dort hätten auch Unternehmen mit weniger Mitarbeitenden betroffen sein können. Vorgesehen ist aber weiterhin, dass Unternehmen vor europäischen Gerichten zur Rechenschaft gezogen werden können, wenn sie von Menschenrechtsverletzungen profitieren.

    Wozu werden Unternehmen verpflichtet?

    Unternehmen wären laut der Richtlinie verpflichtet, negative Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf Menschenrechte und Umwelt zu ermitteln. Mögliche Folgen müssten sie verhindern, mildern, beenden oder beheben. Außerdem müssten sie die Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards auch bei ihren Partnerunternehmen in der Wertschöpfungskette überwachen. Dazu zählen Lieferanten, Vertriebspartner, Transportunternehmen, Lagerdienstleister oder auch die Abfallwirtschaft. Bei Verstößen könnten Unternehmen Strafen in Höhe von bis zu fünf Prozent ihres weltweiten Umsatzes drohen.

    Wie ist die deutsche Position?

    Auch die Bundesregierung hatte sich ursprünglich für eine europäische Regelung eingesetzt, zwischen EU-Mitgliedstaaten und Europaparlament kam es zu einem Kompromissentwurf. In der Ampel-Koalition waren SPD und Grüne für eine Zustimmung, die FDP dagegen. Nach den Koalitionsregeln musste sich die Bundesregierung daher enthalten. Ein ursprünglich für Anfang Februar angesetztes Votum war verschoben worden, weil neben Deutschland auch Italien und einer Reihe kleinerer Länder nicht zustimmen wollten.

    Wie steht es um das nationale Lieferkettengesetz in Deutschland?

    In Deutschland gilt bereits seit 2023 ein nationales Lieferkettengesetz, das Unternehmen verpflichtet, auf die Einhaltung internationaler Standards zu Menschenrechten und Umwelt entlang der eigenen Lieferkette zu achten. Konkret geht es darin etwa um Kinderarbeit und Ausbeutung. Das Gesetz gilt für Unternehmen mit mehr als 1.000 in Deutschland Beschäftigten. Von der EU-Richtlinie sind also mehr Unternehmen betroffen. Sie müssen nach dem deutschen Gesetz im eigenen Geschäftsbereich sowie bei ihren direkten Zulieferern Risikoanalysen vornehmen sowie Präventions- und Abhilfemaßnahmen schaffen. Außerdem müssen sie jährlich einen Bericht über die Erfüllung von Sorgfaltspflichten vorlegen und Beschwerdemöglichkeiten einrichten. Bei Verstößen drohen Bußgelder.

    Und wie reagiert die Wirtschaft?

    Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Russwurm, sprach nach der Entscheidung über die EU-Richtlinie von einem weiteren Rückschlag für Europas Wettbewerbsfähigkeit. Der Präsident des Außenhandelsverbandes BGA, Jandura, erklärte, das Ergebnis sei kein Sieg für die Menschenrechte, sondern ein Sieg für die Bürokratie. Kritik kam auch von DIHK-Präsident Adrian.
    Innerhalb der Bundesregierung gibt es erwartungsgemäß unterschiedliche Bewertungen. Bundesarbeitsminister Heil begrüßte die Verständigung der EU-Staaten. Mit dem Gesetz würden faire Wettbewerbsbedingungen für alle Unternehmen in Europa geschaffen, sagte der SPD-Politiker. Der FDP-Vorsitzende Lindner zeigte sich enttäuscht. Man hätte sich eine praxistaugliche und bürokratiearme Lieferkettenrichtlinie ohne Rechtsrisiken gewünscht, teilte Lindner mit.
    Diese Nachricht wurde am 15.03.2024 im Programm Deutschlandfunk gesendet.