Abgesehen von der grammatikalischen Merkwürdigkeit dieses Brendan-Behan-Zitats - müßte es nicht "Bewirf nie deine Mutter mit Kieseln" heißen? - ein starker Satz, und eine irrsinnig komische Szene, die sich daraus entwickelt. Denn was die flüchtige Inhaltsangabe zunächst befürchten läßt - schon wieder eine Versammlung nichtiger Kindheitsanekdoten einer Generation, die wenig erlebt und noch weniger zu erzählen hat, wird durch den Erzählgestus erfrischend gebrochen. Die Schilderungen Heins enthalten gerade so viel markentreue Realität, um sich für den Durchschnittsleser als Identifikationsangebot à la "Generation Golf" zu bewähren, doch dann setzt die Verfremdung ein. Nicht nur mit seinem Schöpfer hat der kleine Jakob den Vornamen gemein, sondern auch mit einem großen Vorgänger: Jakob van Gunten, jenem naiven Taugenichts aus der Feder Robert Walsers. Zwar ist Heins Protagonist bei weitem nicht so melancholisch, aber sein Blick auf die DDR hat einen Walserschen Stich ins Irreale. Das rettet den Stoff von der Zeitsatire hinüber in literarische Gefilde und garantiert, daß "Mein erstes T-Shirt" auch dann noch lesenswert bleiben wird, wenn sich niemand mehr an die DDR erinnert. Vielleicht hat es sie überhaupt nie gegeben, denn der Verlag schürt die Zweifel an der Verläßlichkeit unserer Wahrnehmung kräftig: Im Buch ist von einem gelben T-Shirt die Rede, auf dem Cover prangt ein knallrotes. Brillenträger unter den Lesern mögen das eher verstehen: Nichts ist, wie es scheint, und am Ende gehört die Welt den Fehlsichtigen. Unerschütterlich putzen sie sich dreimal die Gläser, bevor sie etwas glauben.
Mein erstes T-Shirt
Fehlsichtigkeit hat ihre Nachteile. Man hält eine Welt für wahr (und allgemeinverbindlich), die in den Augen anderer schärfer, weniger gekrümmt oder farbenreicher aussieht und sich mit ihnen keinesfalls teilen läßt. Um sein eigenes Außenseitertum zu bekämpfen, tritt man in die Bruderschaft der Brillenträger ein - womit man neues Außenseitertum begründet. Die Brille an sich ist schon ein Grund zur Diskriminierung, jedenfalls im Kindesalter, und je dicker die Gläser, desto heftiger der Spott. Korrigierte Fehlsichtigkeit mag einen zwar davor bewahren, sich in das häßlichste Mädchen der Klasse zu verlieben, aber die Nebenwirkungen fallen nicht minder schwer als die -4 Dioptrien ohne Brille aus. Wer küßt schon gerne jemanden, dem ständig die Gläser beschlagen? Nein, kindliche Fehlsichtigkeit prägt fürs Leben: Gerade dem, der am wenigsten zum Beobachten taugt, wird die Rolle des Beobachters zugewiesen.
Abgesehen von der grammatikalischen Merkwürdigkeit dieses Brendan-Behan-Zitats - müßte es nicht "Bewirf nie deine Mutter mit Kieseln" heißen? - ein starker Satz, und eine irrsinnig komische Szene, die sich daraus entwickelt. Denn was die flüchtige Inhaltsangabe zunächst befürchten läßt - schon wieder eine Versammlung nichtiger Kindheitsanekdoten einer Generation, die wenig erlebt und noch weniger zu erzählen hat, wird durch den Erzählgestus erfrischend gebrochen. Die Schilderungen Heins enthalten gerade so viel markentreue Realität, um sich für den Durchschnittsleser als Identifikationsangebot à la "Generation Golf" zu bewähren, doch dann setzt die Verfremdung ein. Nicht nur mit seinem Schöpfer hat der kleine Jakob den Vornamen gemein, sondern auch mit einem großen Vorgänger: Jakob van Gunten, jenem naiven Taugenichts aus der Feder Robert Walsers. Zwar ist Heins Protagonist bei weitem nicht so melancholisch, aber sein Blick auf die DDR hat einen Walserschen Stich ins Irreale. Das rettet den Stoff von der Zeitsatire hinüber in literarische Gefilde und garantiert, daß "Mein erstes T-Shirt" auch dann noch lesenswert bleiben wird, wenn sich niemand mehr an die DDR erinnert. Vielleicht hat es sie überhaupt nie gegeben, denn der Verlag schürt die Zweifel an der Verläßlichkeit unserer Wahrnehmung kräftig: Im Buch ist von einem gelben T-Shirt die Rede, auf dem Cover prangt ein knallrotes. Brillenträger unter den Lesern mögen das eher verstehen: Nichts ist, wie es scheint, und am Ende gehört die Welt den Fehlsichtigen. Unerschütterlich putzen sie sich dreimal die Gläser, bevor sie etwas glauben.