" Wenn ich vor dem Spiegel stehe, denke ich immer: Nein, du bist zu dick. Du musst irgendwas tun und dann bin ich deprimiert, weil ich nichts mache. Also ich geißele mich selber immer dann und denk dann, jetzt musst du aber Sport machen oder jetzt musst du mal endlich zusehen, dass du weniger isst oder doch mal eine Diät machst. "
So geht es vielen Frauen. Doch wenn das Thema "Essen" und "Abnehmen" das ganze Leben beherrscht und unerträglich macht - wie im Fall von Anja Müller - hilft keine Diät mehr. Im Gegenteil: Sie kann sogar zur Gefahr werden. Betroffene leiden häufig Jahre lang unter Magersucht oder Ess-Brechsucht - Bulimie genannt, bevor sie Hilfe aufsuchen. Silja Vocks ist Psychotherapeutin an der Ruhr-Universität Bochum und hat sich auf die Erforschung von Essstörungen spezialisiert.
" Einmal gibt es die Patientinnen, die ganz stark fasten, die Lebensmittel in verbotene Lebensmittel einteilen - das wäre zum Beispiel Schokolade - und erlaubte Lebensmittel, das ist zum Beispiel ungesüßter Joghurt und das sind die Personen, die ihr niedriges Gewicht durch Fasten erreichen. Dann gibt es aber auch den anderen Typus, das sind Personen, die fasten, aber haben zwischendurch Heißhungerattacken und erbrechen dann hinterher oder treiben exzessiv Sport. "
Hauptsächlich junge Frauen zwischen 15 und 25 Jahren leiden unter einer dieser beiden Essstörungen. Nur 10 Prozent der Betroffenen sind Männer. Wird die Erkrankung nicht rechtzeitig behandelt, kann es zu schwerwiegenden Folgeerkrankungen kommen, wie zum Beispiel Schädigung von Niere und Leber, Verätzung der Speiseröhre, Haarausfall, Herzrhythmus-Störungen.
Studien zeigen, dass essgestörte Menschen häufig ein negatives Bild von ihrem eigenen Körper haben.
" Die Personen haben das Gefühl, viel dicker zu sein als sie es tatsächlich sind. Sie bewerten ihren Körper negativ und was sehr relevant ist, dass das Selbstwertgefühl der betroffenen Personen massiv von dem Gewicht abhängt. Es treten oft Gedanken auf wie: Wenn ich jetzt ein Kilo zunehme, bin ich nichts mehr wert. "
Ein Teufelskreis, den Betroffene nur schwer allein durchbrechen können. Ihr Leben kreist nur noch um Zahlen auf der Waage. Angst, Ekel, Wut machen sich breit. Und genau hier setzt eine neue Therapie an der Ruhr-Universität Bochum an. Gesunde Ernährung und Kalorien stehen dabei nicht im Mittelpunkt, sondern die richtige Wahrnehmung des eigenen Körpers.
" Ein Ziel der Therapie ist die Korrektur der verzerrten Wahrnehmung, das heißt, die Patientinnen wieder lernen, ihren eigenen Körper realistisch einzuschätzen. Ein zweites Ziel liegt darin, dass wir die Patientinnen darin unterstützen wollen, wieder ein positiveres Bild von ihrem Körper zu haben, das heißt, dass sie ihren Körper wieder positiver bewerten und dass Figur und Gewicht nicht mehr die einzigen Dimensionen sind, von denen ihr Selbstwertgefühl abhängt. "
Der erste Schritt: Die Patientinnen versuchen in der Therapie, mögliche Ursachen für ihr gestörtes Körperbild herauszufinden. Anja Müller macht ein einschneidendes Erlebnis dafür verantwortlich, das schon Jahre zurückliegt.
" Ich denke, das ist bei mir schleichend gekommen. Eine Sache, die so einprägend war, dass ich mal auf der Straße lang gelaufen bin und mir sind Jungen entgegengekommen, die haben sich umgedreht und meinten dann: Mensch, du hast einen Arsch wie meine Oma. So einen breiten Arsch. Das ist bei mir im Kopf kleben geblieben und zwar ganz heftig. "
Das Erlebnis hat sich tief bei Anja Müller eingeprägt. Sie betrachtet ihren Körper seitdem als Feind. Sie geht kaum noch aus, nicht mehr in Restaurants essen und Schwimmbäder meidet sie grundsätzlich. Auch der Zwang, sich zu kontrollieren, ist typisch bei Menschen mit Essstörungen. Sie steigen ständig auf die Waage oder messen ihre Oberschenkel mit dem Maßband ab. Statt ihren Körper in weiten Kleidungsstücken zu verstecken, sollen sich die Patientinnen in der Therapie mit ihrem Körper auseinander setzen, ihn so zu sehen, wie er wirklich ist und vielleicht auch schöne Dinge an ihm entdecken. Psychotherapeutin Silja Vocks leitet die Therapie.
" Wir machen jetzt eine Übung. Da geht es darum, dass sie einmal ihren Körper mit ganz anderen Augen betrachten und genau das beschreiben, was an ihrem Körper schön ist. Das wird Ihnen schwer fallen, weil die meisten Menschen mit Essstörungen vor allen Dingen auf das gucken, was an ihrem Körper nicht so schön oder vermeintlich hässlich ist. Aber es geht darum, mal genau zu beschreiben, was an ihrem Körper schön ist. "
" Was ich an meinem Körper schön finde, ist das Dékolleté. Der Übergang zur Brust ist ganz nett, es ist nicht so , dass das zu tief geht oder die Brust zu weit oben anfängt und ich mag auch meinen Hals, der ist nicht zu lang, aber auch nicht zu kurz, ich finde den ganz gut zu meinem Körper passend. "
Diese Übung soll auch zuhause vor dem Spiegel fortgesetzt werden. In Protokollen hält Anja Müller ihre Gedanken, Ängste und Erfolgserlebnisse fest. Nach und nach soll sie lernen, ihren Körper so anzunehmen wie er ist. Die unangenehmste Hausaufgabe hat sie gerade hinter sich.
" Ihre Hausaufgabe war es zur heutigen Sitzung, einen Schwimmbadbesuch durchzuführen. Sie vermeiden es ja sonst ins Schwimmbad zu gehen. Vielleicht können Sie uns mal berichten, wie es Ihnen im Schwimmbad ergangen ist. "
Ich hatte mir erst gedacht, machst du lieber doch nicht, gefällt dir doch nicht, wenn du in den Spiegel guckst, dann bin ich doch gegangen mit meinem Freund und den Eltern und da war es am Anfang unangenehm, weil ich immer darauf achte, wie die anderen aussehen und ob die bei mir gucken wegen meinem Bauch oder wegen meinen Oberschenkel. Ich habe aber gemerkt nach einer Zeit, je länger ich da war, desto weniger Gedanken habe ich mir darum gemacht.
Ziel der zehnwöchigen Therapie ist, dass die Frauen lernen, sich im Alltag mal wieder etwas Schönes zu gönnen. Vielleicht einen Saunabesuch, ausgedehnten Spaziergang oder ein entspannendes Ölbad. Sie sollen spüren, wie viel Freiheit sie dadurch wiedergewinnen. Statt Sklave des eigenen Körpers zu sein, kann er sogar Freude bereiten.
" Womit ich mich mal wieder richtig verwöhnen könnte, wäre mal wieder ungehemmt was essen ohne schlechtes Gewissen, mal wieder zum Chinesen gehen, das esse ich total gerne und einfach ohne das schlechte Gewissen essen zu können. Sport treiben ohne den größten Teil zu verbringen, jetzt hast du wieder Kalorien abgebaut, jetzt musst du wieder schöner werden, sondern einfach mehr den Spaß darin zu haben. "
Anja Müller hat noch frühzeitig die Notbremse gezogen. Hätte sie nicht die Therapie angefangen, wäre sie vielleicht magersüchtig geworden, meint sie. In vorangegangenen Studien mit essgestörten Patientinnen konnte nachgewiesen werden, dass ein Körperwahrnehmungstraining schon häufig ausreicht, um die Frauen zu heilen, sagt Silja Vocks.
" Wir konnten zeigen, dass die Einstellung, die die Personen zu ihrem eigenen Körper haben, sich sehr stark verbessert hat, das heißt, dass die Patientinnen positiver über ihren eigenen Körper denken und auch das Vermeidungs- und Kontrollverhalten wurde abgebaut. Wir haben Digitalkamerafotos von den Patientinnen gemacht vor und nach der Therapie, den Patientinnen diese Fotos gezeigt und sie sollten einschätzen, wie sie tatsächlich aussehen und wie sie gerne aussehen würden. Und der Unterschied zwischen diesen beiden Einschätzungen war vor der Therapie wesentlich größer als hinterher. "
Anja Müller jedenfalls ist auf einem guten Wege, wieder gesund zu werden. Die anderen sechs betroffenen Frauen helfen ihr dabei. Im gemeinsamen Austausch lernen sie, sich mit dem Körper positiv auseinander zu setzen, vor dem Spiegel zu betrachten und anzunehmen. Und ganz wichtig - die Erkenntnis: Es gibt auch noch ein Leben jenseits von Spiegel und Waage.
" Was ich mir erhoffe, dass ich mal wieder etwas mehr Selbstbewusstsein gegenüber meinem Körper habe oder wiederfinde. Dass ich mich vor den Spiegel stellen kann und sagen kann: Das ist okay so, wie es aussieht, und es kann mir egal sein, was andere dazu sagen, du fühlst dich dabei wohl. "
So geht es vielen Frauen. Doch wenn das Thema "Essen" und "Abnehmen" das ganze Leben beherrscht und unerträglich macht - wie im Fall von Anja Müller - hilft keine Diät mehr. Im Gegenteil: Sie kann sogar zur Gefahr werden. Betroffene leiden häufig Jahre lang unter Magersucht oder Ess-Brechsucht - Bulimie genannt, bevor sie Hilfe aufsuchen. Silja Vocks ist Psychotherapeutin an der Ruhr-Universität Bochum und hat sich auf die Erforschung von Essstörungen spezialisiert.
" Einmal gibt es die Patientinnen, die ganz stark fasten, die Lebensmittel in verbotene Lebensmittel einteilen - das wäre zum Beispiel Schokolade - und erlaubte Lebensmittel, das ist zum Beispiel ungesüßter Joghurt und das sind die Personen, die ihr niedriges Gewicht durch Fasten erreichen. Dann gibt es aber auch den anderen Typus, das sind Personen, die fasten, aber haben zwischendurch Heißhungerattacken und erbrechen dann hinterher oder treiben exzessiv Sport. "
Hauptsächlich junge Frauen zwischen 15 und 25 Jahren leiden unter einer dieser beiden Essstörungen. Nur 10 Prozent der Betroffenen sind Männer. Wird die Erkrankung nicht rechtzeitig behandelt, kann es zu schwerwiegenden Folgeerkrankungen kommen, wie zum Beispiel Schädigung von Niere und Leber, Verätzung der Speiseröhre, Haarausfall, Herzrhythmus-Störungen.
Studien zeigen, dass essgestörte Menschen häufig ein negatives Bild von ihrem eigenen Körper haben.
" Die Personen haben das Gefühl, viel dicker zu sein als sie es tatsächlich sind. Sie bewerten ihren Körper negativ und was sehr relevant ist, dass das Selbstwertgefühl der betroffenen Personen massiv von dem Gewicht abhängt. Es treten oft Gedanken auf wie: Wenn ich jetzt ein Kilo zunehme, bin ich nichts mehr wert. "
Ein Teufelskreis, den Betroffene nur schwer allein durchbrechen können. Ihr Leben kreist nur noch um Zahlen auf der Waage. Angst, Ekel, Wut machen sich breit. Und genau hier setzt eine neue Therapie an der Ruhr-Universität Bochum an. Gesunde Ernährung und Kalorien stehen dabei nicht im Mittelpunkt, sondern die richtige Wahrnehmung des eigenen Körpers.
" Ein Ziel der Therapie ist die Korrektur der verzerrten Wahrnehmung, das heißt, die Patientinnen wieder lernen, ihren eigenen Körper realistisch einzuschätzen. Ein zweites Ziel liegt darin, dass wir die Patientinnen darin unterstützen wollen, wieder ein positiveres Bild von ihrem Körper zu haben, das heißt, dass sie ihren Körper wieder positiver bewerten und dass Figur und Gewicht nicht mehr die einzigen Dimensionen sind, von denen ihr Selbstwertgefühl abhängt. "
Der erste Schritt: Die Patientinnen versuchen in der Therapie, mögliche Ursachen für ihr gestörtes Körperbild herauszufinden. Anja Müller macht ein einschneidendes Erlebnis dafür verantwortlich, das schon Jahre zurückliegt.
" Ich denke, das ist bei mir schleichend gekommen. Eine Sache, die so einprägend war, dass ich mal auf der Straße lang gelaufen bin und mir sind Jungen entgegengekommen, die haben sich umgedreht und meinten dann: Mensch, du hast einen Arsch wie meine Oma. So einen breiten Arsch. Das ist bei mir im Kopf kleben geblieben und zwar ganz heftig. "
Das Erlebnis hat sich tief bei Anja Müller eingeprägt. Sie betrachtet ihren Körper seitdem als Feind. Sie geht kaum noch aus, nicht mehr in Restaurants essen und Schwimmbäder meidet sie grundsätzlich. Auch der Zwang, sich zu kontrollieren, ist typisch bei Menschen mit Essstörungen. Sie steigen ständig auf die Waage oder messen ihre Oberschenkel mit dem Maßband ab. Statt ihren Körper in weiten Kleidungsstücken zu verstecken, sollen sich die Patientinnen in der Therapie mit ihrem Körper auseinander setzen, ihn so zu sehen, wie er wirklich ist und vielleicht auch schöne Dinge an ihm entdecken. Psychotherapeutin Silja Vocks leitet die Therapie.
" Wir machen jetzt eine Übung. Da geht es darum, dass sie einmal ihren Körper mit ganz anderen Augen betrachten und genau das beschreiben, was an ihrem Körper schön ist. Das wird Ihnen schwer fallen, weil die meisten Menschen mit Essstörungen vor allen Dingen auf das gucken, was an ihrem Körper nicht so schön oder vermeintlich hässlich ist. Aber es geht darum, mal genau zu beschreiben, was an ihrem Körper schön ist. "
" Was ich an meinem Körper schön finde, ist das Dékolleté. Der Übergang zur Brust ist ganz nett, es ist nicht so , dass das zu tief geht oder die Brust zu weit oben anfängt und ich mag auch meinen Hals, der ist nicht zu lang, aber auch nicht zu kurz, ich finde den ganz gut zu meinem Körper passend. "
Diese Übung soll auch zuhause vor dem Spiegel fortgesetzt werden. In Protokollen hält Anja Müller ihre Gedanken, Ängste und Erfolgserlebnisse fest. Nach und nach soll sie lernen, ihren Körper so anzunehmen wie er ist. Die unangenehmste Hausaufgabe hat sie gerade hinter sich.
" Ihre Hausaufgabe war es zur heutigen Sitzung, einen Schwimmbadbesuch durchzuführen. Sie vermeiden es ja sonst ins Schwimmbad zu gehen. Vielleicht können Sie uns mal berichten, wie es Ihnen im Schwimmbad ergangen ist. "
Ich hatte mir erst gedacht, machst du lieber doch nicht, gefällt dir doch nicht, wenn du in den Spiegel guckst, dann bin ich doch gegangen mit meinem Freund und den Eltern und da war es am Anfang unangenehm, weil ich immer darauf achte, wie die anderen aussehen und ob die bei mir gucken wegen meinem Bauch oder wegen meinen Oberschenkel. Ich habe aber gemerkt nach einer Zeit, je länger ich da war, desto weniger Gedanken habe ich mir darum gemacht.
Ziel der zehnwöchigen Therapie ist, dass die Frauen lernen, sich im Alltag mal wieder etwas Schönes zu gönnen. Vielleicht einen Saunabesuch, ausgedehnten Spaziergang oder ein entspannendes Ölbad. Sie sollen spüren, wie viel Freiheit sie dadurch wiedergewinnen. Statt Sklave des eigenen Körpers zu sein, kann er sogar Freude bereiten.
" Womit ich mich mal wieder richtig verwöhnen könnte, wäre mal wieder ungehemmt was essen ohne schlechtes Gewissen, mal wieder zum Chinesen gehen, das esse ich total gerne und einfach ohne das schlechte Gewissen essen zu können. Sport treiben ohne den größten Teil zu verbringen, jetzt hast du wieder Kalorien abgebaut, jetzt musst du wieder schöner werden, sondern einfach mehr den Spaß darin zu haben. "
Anja Müller hat noch frühzeitig die Notbremse gezogen. Hätte sie nicht die Therapie angefangen, wäre sie vielleicht magersüchtig geworden, meint sie. In vorangegangenen Studien mit essgestörten Patientinnen konnte nachgewiesen werden, dass ein Körperwahrnehmungstraining schon häufig ausreicht, um die Frauen zu heilen, sagt Silja Vocks.
" Wir konnten zeigen, dass die Einstellung, die die Personen zu ihrem eigenen Körper haben, sich sehr stark verbessert hat, das heißt, dass die Patientinnen positiver über ihren eigenen Körper denken und auch das Vermeidungs- und Kontrollverhalten wurde abgebaut. Wir haben Digitalkamerafotos von den Patientinnen gemacht vor und nach der Therapie, den Patientinnen diese Fotos gezeigt und sie sollten einschätzen, wie sie tatsächlich aussehen und wie sie gerne aussehen würden. Und der Unterschied zwischen diesen beiden Einschätzungen war vor der Therapie wesentlich größer als hinterher. "
Anja Müller jedenfalls ist auf einem guten Wege, wieder gesund zu werden. Die anderen sechs betroffenen Frauen helfen ihr dabei. Im gemeinsamen Austausch lernen sie, sich mit dem Körper positiv auseinander zu setzen, vor dem Spiegel zu betrachten und anzunehmen. Und ganz wichtig - die Erkenntnis: Es gibt auch noch ein Leben jenseits von Spiegel und Waage.
" Was ich mir erhoffe, dass ich mal wieder etwas mehr Selbstbewusstsein gegenüber meinem Körper habe oder wiederfinde. Dass ich mich vor den Spiegel stellen kann und sagen kann: Das ist okay so, wie es aussieht, und es kann mir egal sein, was andere dazu sagen, du fühlst dich dabei wohl. "