Archiv


Meinecke Mayer Musik erzählt

Beethoven oder Chuck Berry? Lessing oder Lennon? Klassik oder Rock? Das waren noch Fragen, die Hausarrest und exzessive Haartracht hervorbringen konnten. Und nebenbei: Generationen. Die aktuelle Version lautet: Pop oder Techno? Und der Bremer Kulturwissenschaftler Jochen Bonz benutzt sie - obwohl der Begriff "Generation" in die Jahre gekommen ist angesichts allgegenwärtiger Jugendlichkeit und einem von der Soziologie diagnostizierten Verfall der Einschließungsmilieus - um eben die Generationsfrage zu stellen: Was unterscheidet die in den 50er Jahren Geborenen von den Jahrgängen der 60er? Zunächst einmal eine Platte: Das 1972 erschienene Debütalbum der Band "Roxy Music" um Sänger Brian Ferry, das als das erste Zitatpopalbum gilt. Jenes Musikstiles, der im legendären Popsommer 1982 mit Bands wie Scritti Politti, Prefab Sprout, Heaven 17 und ABC seinen weltweiten Durchbruch erlebte.

Thomas Böhm |
    Der Zitatpop bediente sich aus dem Repertoire der populären, sogar der kommerziellen Musik; bei Soul, Funk und Disko, und benutze verpönte Elemente wie Streicherpassagen, um eine plakativ zur Schau getragene Künstlichkeit zu produzieren. Diese Künstlichkeit wurde von Poptheoretikern wie Diedrich Diederichsen verstanden als Umsetzung der Postmoderne in die Musik, und sie war gerichtet gegen das Authentizitätsgehabe und den reaktionären Selbstverwirklichungsstumpfsinn des Rock'n'Roll. Aus dem Erscheinungsjahr des Roxy-Music-Albums und dem Popsommer macht Bonz den Namen der Generation der "72/82er". Wichtiges Unterscheidungsmerkmal zur Techno-Generation der 90er, die Bonz auch als die "Generation der namenlosen Unordnung" bezeichnet, ist das Zitat. War es Anfang der achtziger Jahre noch zu einem subtilen Spiel mit Identitäten genutzt worden, so verkam es schnell - wie Thomas Meinecke 1986 beklagte - zu einem "Volkssport", und die Ironie wurde zum "Patentrezept jedes Kulturidioten".

    Die Beobachtungen des heute 31jährigen Bonz Ende der 80er Jahre waren dann schon ganz andere: "Wenn ich dem meine Erfahrung entgegenhalte, ist es so, daß ich mit HipHop aufgewachsen bin - also mit einer Musik, die beinahe zu 100 Prozent aus Zitaten besteht - was man "Samples" nennt - das war sozusagen selbstverständlich. Erst viel später bin ich darauf gekommen, daß es sich bei diesen Sounds tatsächlich auch um Samples handelt. Man kann sagen, wenn man den Begriff Postmoderne gebrauchen will, dann ist es der Unterschied von einer bewußten Erfahrung des Einzugs der Postmoderne und des selbstverständlichen Lebens in der Postmoderne."

    Der Unterschied zwischen Zitieren und Samplen besteht darin, daß beim Zitat die Herkunft immer genau benannt wird, wohingegen das Samplen eine Form des Verweisens ohne nähere Angaben, ohne Kontextualisierung ist. So erzählt das Zitat von großen Autoren, Zeiten, Werken, während das Sample immer nur eine verwischte Erinnerung liefert, eine Derridasche Spur, namenlose Unordnung. Kam der Zitatpop nicht von der großen Liebe und der Revolution, jenen unsterblichen Songthemen los, ist der Sample nur zum Track geeignet, zur vagen Begleitmusik des Lebensfilms.

    Ist das aber nicht die von Adorno beklagte Fahrstuhlmusik? Musik als bloße Untermalung, beraubt ihrer subversiven Kraft. Wo sind die Halbstarken aller Länder, der selbstmordende Werther, die bekifften Hippies, die kotzenden Punks, Holden Caulfield mit seiner umgedrehten Baseballkappe, die alles zitierenden Popper? Was erzählt Techno-Musik statt dessen? Und wo bitte geht es in die bessere Welt? "Dieses andere Erzählen - wo es dann in die Richtung gehen könnte von Literatur im Sinne von 'großer Literatur', im Sinne von Thomas Mann oder Proust, da wird es mit Techno schwierig", so Bonz. "Da muß man in erster Linie sehen, daß diese Musik das Tor zu einer Welt ist, zu einer eigenen Welt. Da gibt es dann tatsächlich diesen Postmoderne-Bruch. Es gibt nicht nur die Verschiebung der Literatur auf die Musik als Initiationsmedium, es gibt den Postmoderne-Bruch, der in verschiedene Lebenswelten initiiert wird. Da werden Dinge erzählt, aber man kann sie nur verstehen, wenn man quasi drin ist."

    Der 26jährige Kölner Michael Mayer ist drin. Er hat sich in der namenlosen Unordnung der Techno-Subkultur als DJ, Produzent, Studio- und Plattenladenbesitzer einen Namen gemacht. In einem Interview erzählt er Bonz, daß er seine Platten deshalb produziert, weil sie eben das sind, was er beim Plattenauflegen vermißt hat. In einigen seiner Tracks versucht er beispielsweise, den Hedonismus der House-Musik mit den akademischen Strukturen des Techno zu kombinieren. So ließe sich auch das Verfahren von Bonz beschreiben, in dessen Buch theoretische Passagen einander ablösen mit Gesprächen, Popgeschichte, Internetseiten. - Stets vermittelt Bonz das Wissen, das nötig ist, um die Grundzüge seiner Gedanken zu verstehen - die einzelnen Beispiele problematisieren und verwischen dann aber die allzu klaren, abstrakten Thesen. So umspielt, so remixed das Buch seine eigene Identität, sein Autor wird zum DJ. Und der Leser zum Fan. Wer dafür einen anderen Namen will, dem sei Jochen Bonz' Buch "Meinecke Mayer Musik erzählt" als Abriß der avancierten Popmusik der letzten 20 Jahre und als Einstieg in die Poptheorie empfohlen.