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Meinungsforscher: Bundestagswahl auch für SPD noch offen

Die SPD scheint zwei Monate vor der Bundestagswahl abgeschlagen, die Union wähnt sich zurückhaltend sicher. Meinungsforscher Richard Hilmer relativiert: Wahlkampf lohne bis zum Schluss - der Bürger entscheide "relativ kurzfristig".

Richard Hilmer im Gespräch mit Christian Schütte |
    Christian Schütte: Die Chancen, dass Steinmeier diese Gelegenheit bekommt, stehen aktuellen Umfragewerten zufolge nicht gerade gut. Am Telefon begrüße ich Richard Hilmer, den Chef des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap. Schönen guten Morgen, Herr Hilmer!

    Richard Hilmer: Guten Morgen, Herr Schütte!

    Schütte: Die SPD muss sagen, dass sie an den Wahlsieg glaubt. Haben Sie denn noch irgendwelche Zahlen, mit denen Sie als Wahlforscher der SPD Mut machen könnten?

    Hilmer: Nun, die Zahlen sind in der Tat wie festgefügt, seit Wochen bewegt sich die SPD so zwischen 23 und 25 Prozent, hat sogar noch einen kleinen Rückschlag erlitten nach der Europawahl. Aber nach wie vor ist es natürlich so, dass ein Großteil, ein Teil der Bürger nach wie vor unentschieden ist, keine Präferenz äußert und auch von denjenigen, die sich geäußert haben, geben natürlich an, es kann da noch Änderungen geben. Insofern lohnt es sich natürlich für alle Parteien, nicht zuletzt auch für die SPD, da zu kämpfen, aber mit jeder Woche wird es natürlich schwieriger.

    Schütte: Wie viel Potenzial steckt denn da drin, dass die SPD da noch mobilisieren konnte? Das Stichwort "mobilisieren", das hatte ja bei der Europawahl nun überhaupt nicht geklappt.

    Hilmer: Das hat offensichtlich gar nicht geklappt, es ist auch eine schwierige Wahl für die Sozialdemokraten, das haben auch die früheren Wahlen gezeigt. Die SPD-Klientel ist nicht unbedingt sehr offen und ansprechbar für Europa, und das ist nun überhaupt nicht gelungen der SPD, hier deutlich zu machen, dass dies eine bedeutsame Wahl ist, die sie sicherlich ist. Bei der Bundestagswahl kann man sicher davon ausgehen, dass die Wahlbeteiligung wieder so auf jeden Fall zwischen 75 und 80 Prozent betragen wird. Es kann weniger werden als beim letzten Mal, weil zurzeit etwas Wahlkampfmüdigkeit herrscht, es kann aber auch mehr werden, denn die Bürger wissen natürlich, dass es um was geht. Und genau darum geht es natürlich, diese eher politikfernen Menschen anzusprechen, zur Wahl zu bewegen und möglichst eben zur Wahl der jeweiligen Partei zu bewegen. Das macht den Wahlkampf, den anstehenden, schon spannend, wenn er auch bislang ziemlich themenarm ist.

    Schütte: Die Sozialdemokraten dümpeln seit Langem um die 23, 24, 25 Prozent herum, haben Sie schon erwähnt. Was machen die Sozialdemokraten denn falsch, dass sie nicht aufschließen können zur Union?

    Hilmer: Sie haben es etwas schwierig, denn ganz offensichtlich wird innerhalb der Großen Koalition die Meriten, die ihr durchaus zugeschrieben werden, gerade auch, was die Krisenbekämpfung anbetrifft, da sind die Bürger durchaus zufrieden damit, was die Bundesregierung insgesamt abgeliefert hat, das unterscheidet die Situation von anderen Ländern ganz gewaltig. Aber von diesen Meriten profitiert eben in erster Linie die Union und vor allen Dingen die Kanzlerin, die eben sozusagen als die Chefin des Ganzen eben angesehen wird, und ihr werden in erster Linie die Erfolge zugeschrieben. Die SPD tut sich da schwer, ihren Anteil deutlich zu machen, und es ist natürlich auch schwierig, innerhalb der Großen Koalition sozusagen dann immer wieder besserwisserisch den Finger zu heben und zu sagen, wir waren's. In erster Linie wird natürlich gerade in einer Krise auch erwartet, dass die Koalitionspartner gut zusammenarbeiten zum Wohle des Ganzen. Das haben beide sicherlich gemacht, umso schwieriger ist jetzt das Umswitchen auf Wahlkampf, und die Schwierigkeit, deutlich zu machen: Worum geht es eigentlich? Was würden denn die Sozialdemokraten anders machen als die CDU, was würden sie vor allen Dingen anders machen als das, was die Große Koalition eh schon gemacht hat?

    Schütte: Die SPD träumt von einer solchen Aufholjagd. 2005 ist Schröder das gelungen, kann Steinmeier das auch schaffen?

    Hilmer: Der Großteil derer, die auf jeden Fall zurzeit noch unsicher sind, eben die eher politikfernen Leute, der Großteil derer sind Wähler, die sich selber eher als links bezeichnen und auch dem linken Lager eher zugeneigt sind. In erster Linie käme es natürlich darauf an, diese überhaupt zu bewegen, zur Wahl zur bewegen und dann möglichst, aus Sicht der SPD zumindest, sie zur Stimmenabgabe für die SPD zu bewegen. Das wird nicht ganz einfach sein, denn die Bürger sind in hohem Maße verunsichert. Das hängt natürlich mit der Krise zusammen. Sie sind auf der anderen Seite ... Man gewinnt ja so richtig den Eindruck, dass man fast schon hofft sozusagen, so ein bisschen im Schlafwagen durch die Krise zu kommen. Sie sind zufrieden damit, wie die Bundesregierung bislang damit umgegangen ist und es könnte ja durchaus sein, es gibt ja schon entsprechende Äußerungen, dass wir tatsächlich mit einem blauen Auge davonkommen. Deswegen ist nicht unbedingt Wechselstimmung angesagt, allerdings auch nicht eine Wechselstimmung hin Richtung schwarz-gelb, deswegen ja auch die Bemühungen auch seitens der Union, sozusagen auch diesen Wechselgedanken sozusagen erst mal weit nach hinten zu stellen.

    Schütte: Sie sagen, vom Krisenmanagement profitiert vor allem die Union. Ja, braucht die sich denn jetzt nicht einfach nur noch zurückzulehnen?

    Hilmer: Das tut sie ja auch im Wesentlichen, sie versucht eben sozusagen, die unterschiedlichen Profile eher so gering wie möglich zu halten, die Unterschiede zwischen SPD und Union, und zu sagen, wir arbeiten ja gemeinsam an der richtigen Sache unter Führung von Merkel. Allerdings hat sie deutlich gemacht, die Union und die Kanzlerin, dass sie eben mit der FDP künftig regieren will. Das wird sicherlich eine interessante Entwicklung jetzt sein, wie sich das auf den Wahlkampf insgesamt abzeichnet, wie sich das auswirken wird, denn schwarz-gelb ist jetzt nicht unbedingt die große Wunschkoalition der Deutschen. Sie hat zwar zurzeit klare Präferenzen gegenüber anderen Konstellationen, allerdings auch die Große Koalition hat ihre Meriten und zu viel Experiment ist Manchen dann auch wieder zu riskant.

    Schütte: Welche Regierungskonstellation sehen Sie denn nach der Wahl?

    Hilmer: Na, es gibt ja nicht allzu viele, schwarz-gelb ist zurzeit sicherlich der Favorit, in allen Umfragen liegt schwarz-gelb ja vier Punkte insgesamt vorne. Das ist durchaus ein gewisses Polster. Hinzu kommen ja mögliche Überhangmandate, die insbesondere die Union nach dem derzeitigen Stand der demoskopischen Stimmungen erwarten kann. Darüber hinaus gibt es natürlich diverse Dreierkonstellationen, solche, die ausgeschlossen werden, solche, die zumindest von einem der Kandidaten nicht sonderlich präferiert wird, wie zum Beispiel die Ampel, der die FDP gegenüber doch eher abwartend bis abweisend gegenübersteht, und es gibt natürlich auch andere Konstellationen, die neu in die Diskussion kommen, wie die Jamaika-Koalition. Also, da kann es durchaus zu dem historisch erstmaligen Schritt kommen, dass wir tatsächlich nicht von einer Zweierkonstellation wie die letzten Jahrzehnte, sondern auch einmal von einer Dreiparteienregierung in Deutschland regiert werden können – in anderen Ländern durchaus normal, in Deutschland wäre das sicherlich erst gewöhnungsbedürftig.

    Schütte: Reden wir über die Zuverlässigkeit von Umfragewerten. 2005, nehmen wir das Beispiel noch einmal, da lag die SPD Wochen vor der Wahl weit zurück hinter der Union, schwarz-gelb im Bund, das schien schon ausgemachte Sache zu sein, und dann stellte sich am Wahlabend heraus: Für das bürgerliche Lager reichte es eben nicht und die SPD landete mit 34,2 Prozent der Stimmen nur einen Prozentpunkt hinter der Union. Wie trügerisch sind Umfragewerte diesmal?

    Hilmer: Die Werte von 2005 zeigen auf jeden Fall, dass es sich für alle Parteien lohnt, bis zum Schluss Wahlkampf zu betreiben, denn die Erhebungen zeigten in jedem Falle, dass ein eben durchaus nennenswerter Teil der Bürger sich erst relativ kurzfristig endgültig entscheidet, wem er seine beiden Stimmen abgibt. Das war auch eine der Schwierigkeiten 2005 für uns, das nachzuvollziehen, denn die Bürger nehmen immer deutlicher wahr auch den unterschiedlichen Stellenwert von Erst- und Zweitstimme und der Anteil derer, die splitten, das heißt, die ihre beiden Stimmen unterschiedlichen Parteien zur Stärkung der Gesamtkonstellation verwenden, ist angestiegen. Das wird diesmal mit Sicherheit nicht anders sein, und insofern wird sich tatsächlich einiges – gerade eben die Verteilung der Zweitstimmen, und darauf kommt es ja ganz wesentlich an –, die wird sich erst relativ kurzfristig entscheiden, denn für viele Bürger, das sind zum Teil schwarz-gelbe Wähler, das sind aber auch rot-grüne Wähler, ist es vergleichsweise egal oder zumindest der Schritt von der einen zur anderen Partei, von der Union zur FDP oder von der SPD zu den Grünen ist relativ klein und von daher auch relativ kurzfristig zu bewerkstelligen.

    Schütte: Richard Hilmer, Chef des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap, ich danke Ihnen für diese Einschätzung!