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Meinungsforscher zur Flüchtlingskrise
"Der Asyloptimismus der Deutschen schwindet"

Angesichts der großen Zahl nach Deutschland kommender Flüchtlinge würden entstehende Probleme viel stärker wahrgenommen, sagte der Meinungsforscher Klaus-Peter Schöppner im DLF. Eine Mehrheit der Deutschen fordere deshalb inzwischen Obergrenzen. Die Worte von CSU-Chef Horst Seehofer stoßen bei ihnen auf große Zustimmung. Das Thema Flüchtlinge werde 2017 sicher wahlentscheidend sein.

Klaus-Peter Schöppner im Gespräch mit Martin Zagatta | 10.10.2015
    Meinungsforscher Klaus-Peter Schöppner gibt in Dresden Ergebnisse der Bevölkerungsbefragung 2014 bekannt.
    Der Meinungsforscher Klaus-Peter Schöppner (dpa / picture alliance / Matthias Hiekel)
    Martin Zagatta: Angela Merkel verliert an Beliebtheit, und nach dem jüngsten "ZDF-Politbarometer" zweifelt die Mehrheit der Bevölkerung inzwischen daran, dass Deutschland die große Zahl an Flüchtlingen bewältigen kann. Manche Zeitungen bringen das jetzt auf den kurzen Satz "Die Stimmung kippt". Ob das tatsächlich so stimmt, das konnte ich vor der Sendung den Meinungsforscher Klaus-Peter Schöppner fragen, lange Jahre der Chef von EMNID und jetzt Geschäftsführer des Instituts mentefactum.
    Klaus-Peter Schöppner: Ja, das kann man sagen. Die Zweifel werden größer. Sie müssen ja auch sehen, dass wir jetzt nicht mehr die reinen Willkommensbilder haben, sondern mittlerweile auch Bilder und Berichte über Probleme. Und insofern schwindet auch der Asyloptimismus der Deutschen. Wir haben mit mentefactum jetzt festgestellt, dass mittlerweile 59 Prozent das Merkel-Wort "Wir schaffen das" nicht mehr glauben. Nur noch 37 Prozent sagen, jawohl, das wird so sein. Und insofern gibt es eine Reihe weiterer Indikatoren, die eigentlich belegen, dass doch den Deutschen Zweifel kommen, und Zweifel kommen aus einem simplen Grund. Nicht, weil die Flüchtlinge das Problem sind, sondern weil diese ungeheuer große Zahl zum Problem wird.
    Zagatta: Ist das eine Art Ernüchterung, oder ist das ein Rechtsruck?
    Schöppner: Nein, das ist kein Rechtsruck in dem Sinne, das ist einfach eine Überlegung in einer Situation, wo wir überall auf der einen Seite der Tageszeitung sehen müssen, wo wir kürzen müssen - wir müssen an Hallenbädern kürzen, wir müssen an Sportanlagen kürzen, wir haben kaum Geld für die Erhöhung von Hartz IV und so weiter -, und auf der anderen Seite haben wir plötzlich das Geld für Asylanten, für Flüchtlinge. Und das führt dazu angesichts dieser Masse, und das ist nicht der Einzelfall, dass wir uns häufig fragen, wo bleibe ich, und dass damit auch der normale Bürger in den Fokus als Konkurrent kommt und die Deutschen sich also fragen, ist das also eine Situation, die wir angesichts dieser Menge wuppen können. Und da gibt es eine Reihe von Dingen, die den Leuten Angst machen, und das sind vornehmlich Dinge, die sich auf die Quantität beziehen. Also, die Deutschen sagen, wenn wir sogar extrem fragen, was sind ganz besonders schwierige Probleme, dann sind das für 67 Prozent die zunehmende Wohnungsnot, für 63 Prozent Probleme an den Schulen, 61 Prozent die Zunahme der Kriminalität. Alles nicht dem Einzelfall, sondern eben der Menge geschuldet.
    Die AfD ist wieder Protestpartei
    Zagatta: Ist das dann in dieser Vielfalt vielleicht auch der Grund, dass der große Gewinner dieser Debatte jetzt offenbar die AfD ist? Die wird jetzt bundesweit mit so um die sechs Prozent gehandelt. Halten Sie das für eine kurzfristige Entwicklung, oder glauben Sie, dass das jetzt so mittelfristig so bleiben wird?
    Schöppner: Ja, das liegt an der AfD. Die AfD war ja in den letzten Monaten, nach dem Abgang von Bernd Lucke, in der Versenkung verschwunden, die gab es also nicht wirklich. Und wir messen auch sechs, manchmal sogar sieben Prozent für die AfD. Aber das ist der normale Reflex, dass die AfD wieder Protestpartei wird. Ich glaube nicht, dass man derzeit sagen kann, dass die AfD ein Programm hat, dass die AfD aus programmatischen Gründen gewählt wird, wohl aber, dass die Bürger hier ihren Protest artikulieren sollen, simpel aus dem Grund, weil man mit kritischen Anmerkungen derzeit nicht weit kommt, dass man da stark kritisiert wird. Und insofern macht sich dann bei Umfragen, bei einem vermeintlichen Wahlverhalten, dann sozusagen ein Protestverhalten wieder stärker bemerkbar, als das noch vor Monaten der Fall gewesen ist.
    Zagatta: Nun soll die AfD neben Sachsen auch in Bayern besonders stark zugelegt haben, nach Umfragen jedenfalls. Hat das etwas, wie die Kritiker jetzt sagen, mit den markigen Worten von Ministerpräsident Seehofer zu tun, oder kann man das nicht sagen?
    CSU wäre bundesweit bei 21 Prozent
    Schöppner: Es gibt immer natürlich einen Rand. Sie müssen bloß auf der anderen Seite feststellen, dass Seehofer mit seinen markigen Worten etwa die Hälfte der Bundesbürger hinter sich hat. Also, wenn man die Bürger fragt, wo steht Ihr näher, am Seehofer-Kurs oder am Merkel-Kurs, dann gibt es nur noch eine ganz leichte Mehrheit, die den Merkel-Kurs präferieren, und Horst Seehofer wird, der ja nicht gerade als ganz großer Sympathieträger bundesweit gesehen wird, doch von seiner Politik her bei mittlerweile 50 Prozent der Bürger gelobt und er findet Zustimmung. Das ist ein Wert, den er nicht hätte. Und noch etwas ist vielleicht interessant. Man diskutiert ja immer mal wieder über eine bundesweite Ausdehnung der CSU. Und wenn man jetzt aktuell mal dieser Frage nachgehen würde, sind das immerhin 21 Prozent bundesweit, die darüber nachdenken, für die eine bundesweite CSU als Wahl in Frage kommen würde. Und wenn man natürlich dieses Wort oder diese Quote ein bisschen relativieren muss, kann man schon sagen, wenn das jetzt so weit kommen würde, dass die CSU mit den beiden anderen drittstärksten Kräften, also den Grünen und die Linken, wohl gleich stark werden würde bundesweit.
    Zagatta: Klingt das nicht aber auch ein bisschen taktisch? Also, Frau Merkel empfängt die Flüchtlinge mit offenen Armen, Seehofer will die Zuwanderung beschränken. Ist das wahltaktisch nicht auch ein geschicktes Vorgehen, dass die Union da beide Seiten bedient?
    Schöppner: Das ist ein ausgesprochen geschicktes Vorgehen, weil die Union ja ein Problem hat. Durch die Sozialdemokratisierung hat sie ja in den letzten Jahren das Problem der Nichtwähler, was ja bislang eher bei den eher linksorientierten Parteien der Fall gewesen ist, auf die Agenda bekommen. Und insofern macht sie natürlich den rechten Flügel ganz weit offen. Ich rede jetzt von der CDU. Und wenn man die beiden Parteien nun sozusagen als Gemeinschaftspartei sieht, dann ist es natürlich ein gutes Spiel, den einen mehr den sozialen Part und den anderen mehr den etwas strengeren, härteren Part spielen zu lassen. Das glaube ich auch, dass das dahintersteckt. Ändert aber nichts an der Tatsache, dass, auf Ihre Eingangsfrage bezogen, die Stimmung schon insgesamt kippt, dass also eine Reihe, 60 Prozent, die Mehrheit mittlerweile eine Obergrenze fordert, dass die Leute mittlerweile durch die Flüchtlinge mehr Nachteile als Vorteile sehen. Und so macht sich dies zu einem Mosaik oder dieses Mosaik zu einer zentralen Aussage fest, und die zentrale Aussage ist, wo ist die klare Linie bei dieser Menge an Asylbewerbern, die hier jetzt nach Deutschland kommen. Und die zweite Frage ist, kann uns mal einer sagen, wie wird das weitergehen, denn auch da bleibt ja die Politik die Antwort schuldig. Und das sind die beiden großen Probleme, die die Deutschen derzeit haben.
    Die Union hat derzeit keine Konkurrenz zu fürchten
    Zagatta: Und trotz all dieser offenen Fragen, wie Sie sagen, bleiben ja CDU und CSU immerhin mit 41 Prozent die stärkste Partei laut den Zahlen von gestern Abend vom "Politbarometer". Wie ernst muss denn da Angela Merkel überhaupt nehmen, dass sie selbst an Zustimmung verliert?
    Schöppner: Unsere Zahlen mit 38 Prozent gehen etwas stärker in die negative Richtung. Das Ganze lebt natürlich davon, dass die Union derzeit keine richtige Konkurrenz zu fürchten hat. Sie hat beim Koalitionspartner keine Konkurrenz zu fürchten, sie hat am rechten Flügel nicht wirklich eine Konkurrenz zu fürchten, höchstens diejenigen, die als Protestwähler ins rechte Lager übergehen. Die Linken oder die Grünen haben in der Beziehung auch keine allzu große Kompetenz. Also, im Prinzip ist das Wahlverhalten ja immer oder häufig die Wahl des kleineren Übels, und da ist diese Kombination, die Sie gerade ansprachen, zwischen Seehofer und Merkel, für immer noch eine qualifizierte Mehrheit, also zwischen 38 und 40 Prozent, das derzeit am besten wählbare kleinere Übel.
    Zagatta: Also Frau Merkel muss sich keine großen Sorgen machen.
    Schöppner: Man weiß nicht, was passiert. Das Ganze ist durchaus – so sehen es auch die Bundesbürger – wirklich in einem Entscheidungsprozess. Wenn man fragt, wie das weitergehen soll, dann gibt es eine Drittelmehrheit, die sagt, wir müssen die Bürger oder die Asylbewerber mehr unterstützen, eine Drittelmehrheit sagt, wir müssen weniger unterstützen, ein Drittel sagt, es soll so bleiben, wie es ist. Also, es ist derzeit eine ausgesprochen volatile Situation, und die Bilder, die uns in den nächsten Monaten vermittelt werden, die Mengen, die auf uns zukommen, und vor allen Dingen dann, wenn die Bürger direkt vor Ort mit den Problemen konfrontiert werden, wie sich dann die Integration denn wirklich macht, das sind die Dollpunkte, aber das Thema wird uns die nächsten Jahre massiv tangieren und sicherlich das wahlentscheidende Thema 2017 werden.
    Zagatta: Der Meinungsforscher Klaus-Peter Schöppner heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Schöppner, ganz herzlichen Dank für das Gespräch!
    Schöppner: Ich bedanke mich bei Ihnen. Alles Gute!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.