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Meinungsfreiheit in der Kunst
Demokratie sichtbarer machen

Wie frei sind die Künste noch? Lassen sich Kunst und Künstler, Werk und Person voneinander trennen? Der Kunstverein Bielefeld zeigt in der neuen Ausstellung "Die Freiheit, die wir meinen“, wie Künstler sich mit dem Begriff und dem Verständnis von Freiheit in der Gegenwart auseinandersetzen.

Von Anja Reinhardt | 26.11.2019
Eine gläserne Leitung, die an eine Rohrpost erinnert, läuft durch nahezu alle Räume der Ausstellung. Dafür wurden Wände und Decken durchbrochen. Zu sehen sind darin Haare, Staub und weißes Granulat, spärlich verteilt.
Vermeintliche Transparenz - die Arbeit "Remedies for Vertigo" von Inga Danysz im Kunstverein Bielefeld (Fred Dott)
"Freiheit, die ich meine" - dieser Satz geht auf ein Gedicht von Max von Schenkendorf zurück, geschrieben nach dem Sieg der europäischen Großmächte über Napoleon und getragen von einem neuen Freiheitsgedanken. Die Idee der Liberté hatte sich mit der Revolution weit über die Grenzen Frankreichs hinaus festgesetzt. "Freiheit, die wir meinen" heißt nun die Ausstellung im Bielefelder Kunstverein. Von einer Freiheit des Individuums zu einer Freiheit, die ein Kollektiv ausruft: Aber wer ist dieses "Wir", das so oft auch in politischen Debatten beschworen wird? Nadine Droste, Direktorin des Bielefelder Kunstvereins:
"Der Titel `Die Freiheit, die wir meinen´ resultiert aus der Auseinandersetzung: Kann Kunst heute noch so einen Gegenpol aufmachen? Sind Kunstvereine so ein Ort der Reflexion, wo wir gesellschaftliche Veränderungsprozesse reflektieren können? Ich würde sagen: Ja, das glaube ich ganz fest."
Kunstvereine als Orte der Aufklärung
Die Ausstellung will auch die aktuelle Lage der Institution untersuchen. Gegründet wurden Kunstvereine vor etwas mehr als 200 Jahren, um auch ein nicht adeliges Publikum an bildende Kunst heranzuführen. Sie tragen den Gedanken der Aufklärung also schon in sich. Heute gehören für viele Whistleblower zu den neuen Aufklärern, die, wie im Fall Edward Snowden, geradezu ikonisch verehrt werden.
Gleich zu Beginn der Ausstellung hängt kaum wahrnehmbar ein kleiner weißer Holzkasten neben einem Fenster, eine Funkbake, ein Sender, den die französische Künstlerin Eva Barto hier positioniert hat. "Whistleblowers" heißt die Arbeit, die zuvor in Paris gezeigt wurde. Dort musste sie außerhalb des Museums hängen, weil die Gesetze in Frankreich anders als in Deutschland sind, wie Direktorin Nadine Droste erklärt:
"Wenn jetzt hier das Gesetz verändert worden ist im Frühjahr 2019, wenn das Gesetz in Bezug auf Geschäftsgeheimnisse die Klausel impliziert, dass Geschäftsgeheimnisse in die Öffentlichkeit getragen werden können, dann nimmt Eva Barto jetzt dieses veränderte Gesetz zur Grundlage, dass diese Arbeit im Innenraum hängen kann, indem es einen gewissen Schutz gibt. In Frankreich, in der Fondation Ricard, hing es bis vor kurzem außen."
Telekommunikative Gleichzeitigkeit
Sechs Künstlerinnen und Künstler sind in der Gruppenausstellung mit maximal zwei Arbeiten zu sehen. Sie thematisieren sehr unterschiedliche Aspekte von Freiheit. Inga Danysz lässt eine gläserne Leitung, die an eine Rohrpost erinnert, durch nahezu alle Räume laufen. Dafür wurden Wände und Decken durchbrochen. Zu sehen sind darin Haare, Staub und weißes Granulat, spärlich verteilt. Die absolute Transparenz ist hier bloßes Phantasma. Direktorin Nadine Droste:
"Die Dinge sollen immer sichtbarer werden. Das ist natürlich eine Forderung, die meint: Wir wollen unsere Demokratie auch sichtbarer machen. In dem Maße, in dem man die Häuserfronten mit Glas versehen hat, sind die Machtstrukturen immer unsichtbarer geworden."
Die mexikanische Künstlerin Adriana Lara hat Fotos auf einer mexikanischen Kirmes aufgenommen, auf denen Menschen halsbrecherisch weit oben in der Luft an Bungee-Seilen hängen. Die Rahmen der Bilder sind so konstruiert, dass einzelne Streben rot hervorgehoben sind und teilweise ins Bild hineinragend eine digitale Uhrzeit anzeigen: 16:47 Uhr.
"Wenn wir versuchen, hier manuell Echtzeit zu hängen, ist das ja im Grunde ein Paradoxon. Das wird sich ja nicht einlösen, weil in dem Moment, in dem wir es gehängt haben, die Echtzeit im Grunde schon wieder vorbei ist."
Überforderung erwünscht
Die künstlerische Produktion kritisch auf Freiheit zu hinterfragen, ist ebenfalls Teil der Ausstellung. Wieder ist es Eva Barto, die Preis und Markt in der Kunst hinterfragt - mit einem zirkulierenden Zertifikat, das wie ein vergessenes Schriftstück auf einer Fensterbank liegt. Jeder Empfänger dieses Papiers bestätigt, 250 Euro erhalten zu haben. Wertsteigerung gibt es nicht, das Zertifikat kann jederzeit wieder an die Künstlerin zurückgegeben werden, womit der Kreislauf ohne Kapitalerhöhung beendet wäre.
"Es ist die Intention dieser Ausstellung, dass man Bilder schafft, um die vorherrschenden Strukturen anders reflektieren zu können. Diese Differenz zu ziehen zwischen realen gesellschaftlichen Bedingungen und den Bedingungen, die im Kunstfeld vorherrschen, das ist wichtig."
"Die Freiheit, die wir meinen" ist eine Ausstellung, durch die man vermeintlich schnell hindurchlaufen kann. Die aber mit ihrem intellektuellen Anspruch so viele Fragen nach dem politischen und gesellschaftlichen Zustand der Freiheit aufwirft, dass die gezeigten Arbeiten noch lange nachwirken. Und die zeigt, dass Überforderung manchmal dringend nötig ist.