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Meisen als Mobbing-Meister

Biologie. - Biologen der Universität von Washington in Seattle erarbeiteten einen ausgefeilten Versuchsparcours für Meisen, um deren ausgefeiltes Warnsystem vor Räubern zu erforschen.

Von Dagmar Röhrlich | 29.06.2005
    Aufgeregt lärmt eine Gruppe amerikanischer Schwarzkopfmeisen im Gebüsch. Sie suchen dort ihren größten Feind - ein Käuzchen -, das einer ihrer Schwarmgenossen entdeckt und den anderen mit lautem Mobbing-Ruf kundgetan hat.

    " Der klingt wie "Chickadee dee". Damit fordern die Meisen einander auf, einen Feind zu vertreiben. Wir haben festgestellt, dass dieser Ruf stark variiert, weil sie den anderen erklären, wie gefährlich der Räuber ist. Frequenzuntersuchungen von mehr als 5000 Alarmrufen ergaben vor allem Änderungen bei den Obertönen und beim Abstand zwischen den Tönen. Wir Menschen nehmen nur die Anzahl der dee-Noten am Ende des Rufs wahr. Je mehr "dees" der Ruf hat, desto gefährlicher ist der Feind. Ein wirklich gefährlicher Gegner wie ein Käuzchen wird mit mehr als zehn dees bedacht."

    Bis zu 23 "dees" hat Chris Templeton von der University of Washington in Seattle bei einer solchen Gelegenheit gezählt. Kaum hat der Meisenschwarm das Käuzchen ausgemacht, wird es nicht nur lautstark beschimpft:

    " Sie greifen es im Sturzflug an, und drangsalieren es mit ihren Mobbing-Rufen so lange, bis es schließlich entnervt wegfliegt. Die Meisen sind dabei sehr ausdauernd. Ein Käuzchen hat erst nach einer halben Stunde aufgegeben."

    Die Ausdauer lohnt sich, weil dieser Feind aus dem Hinterhalt jagt: Man möchte nicht am Nest überrascht werden. Die Biologen konfrontierten ihre Schwarzkopfmeisen mit 13 verschiedenen Raubvogelarten, mit Hauskatzen und Wieseln. Das Ergebnis:

    " Sie scheinen ihre Feinde anhand der Körpergröße zu unterscheiden. Die Größe ist wichtig, weil für diese winzigen Vögel kleine Räuber viel gefährlicher sind als große, die sie mit ihren riesigen Schnäbeln und Krallen kaum richtig packen können. Außerdem sind Meisen Flugkünstler. Ein Amerikanischer Uhu, der eine Meise jagt, das ist, als ob man mit einem schweren Geländewagen versucht, einen Porsche auszumanövrieren. Für Meisen sind kleine, wendige Flieger wie Käuzchen oder Buntfalken am gefährlichsten."

    Weshalb die federleichten Kleinräuber die Meisen sehr viel mehr aufregen als ein schwergewichtiger Bartkauz: Der entlockt ihnen nur zwei, drei "dees". Auch Katzen werden von den Meisen als gefährlich eingestuft und mit vielen "dees" bedacht. Beim Anblick einer harmlosen Wachtel hingegen schweigen sie. Das heißt: Die Schwarzkopfmeisen reagieren nicht nur auf die Größe - sonst müssten sie auch die Wachtel vertreiben. Vielmehr erkennen sie die individuelle Art und unterscheiden zwischen gefährlich und ungefährlich.

    " Die Meisen haben sicherlich eines der ausgefeiltesten Alarmsysteme, die je entdeckt worden sind. Ihre Alarmrufe sind weitaus subtiler, als wir es uns vorgestellt haben. Sie unterscheiden nicht nur zwischen verschiedenen, im Aussehen sehr ähnlichen Räubern, sondern geben diese Information auch an die anderen weiter."

    Als den Meisen ihre eigenen Warnrufe zugespielt wurden, reagierten sie passend zur Bedrohung, die ihnen der versteckte Lautsprecher vorgaukelte: Je größer die Gefahr schien, desto lautstärker und aufgeregter war das Mobbing.

    Wie ihre europäischen Verwandten - die Tannen-, Kohl- und Blaumeisen - haben auch die Schwarzkopfmeisen einen zweiten Warnruf:

    " Mit dem ist es vollkommen anderes. Es ist ein hohes, leises "Siit", das sie einsetzen, wenn der Raubvogel über ihnen fliegt. Das ist viel gefährlicher, denn dieser Feind kann jeden Moment angreifen. Wenn Meisen dieses "Siit" hören, setzen sie sich hin, beobachten den Himmel, machen sich so klein wie möglich und frieren regelrecht ein. Bei einem wirklich gefährlichen Räuber bewegen sie sich für eine halbe Stunde nicht mehr."

    Genau wie die europäischen Meisen. Diesen zweiten Warnruf möchte Chris Templeton als nächstes untersuchen - vielleicht steckt auch darin viel mehr, als wir Menschen hören.