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Meister der Mikroskope

Im Jahr 1932 bereiste ein amerikanischer Journalist das krisengeschüttelte Deutschland, um den Lesern der New York Evening Post einen Eindruck von der Situation im Land zu geben. Dabei kam er auch nach Jena, und was er dort fand, unterschied sich sehr von seinen sonstigen Beobachtungen.

Von Kay Müllges | 14.01.2005
    Die Carl-Zeiss-Werke in Jena heben sich von dem düsteren Hintergrund der allgemeinen Depression im Reich in ebenso scharfem Kontrast ab, wie ihre hellen, strahlenden Fenster vom Nachthimmel. Dürfte man Deutschlands Wirtschaftslage nach der der Zeiss-Werke beurteilen, so würde man zu dem Schluss kommen, das Land sei gesund, es habe eine gesicherte Zukunft und seiner Bevölkerung gehe es gut.

    Den Grundstein für diese Erfolgsstory legte neben dem Namensgeber und Firmengründer selbst vor allem auch sein Teilhaber und Nachfolger Ernst Abbe. Kennen lernten sich die beiden Männer an der Universität Jena. Der junge Professor Abbe ersuchte den Universitätsmechaniker Zeiss ihm beim Bau einiger Geräte für ein physikalisches Praktikum zu helfen und Carl Zeiss, offensichtlich beeindruckt von den Fähigkeiten des jungen Wissenschaftlers, bat ihn im Gegenzug, ihm doch eine Theorie des Mikroskopbaus zu liefern. Dazu muss man wissen, dass der Bau von Mikroskopen damals im Wesentlichen eine Sache von Versuch und Irrtum war. Der Mechaniker, der ein Mikroskop konstruieren wollte, probierte so lange mit so vielen verschiedenen Linsen herum, bis er die bestmögliche Vergrößerung und Auflösung erreicht hatte. Dieses so genannte Pröbeln war aber äußerst langwierig und daher unbefriedigend. Vier Jahre plagte sich Abbe mit den Berechnungen bis er Mitte 1870 so weit war:

    Die betreffenden Constructionen sind dabei, auf Grund genauer Untersuchung der zu verwendenden Materialien, bis in die letzten Einzelheiten - jede Krümmung, jede Dicke, jede Linsenöffnung - durch Rechnung festgelegt, so daß alles Tatonnement ...

    ... was so viel heißt wie im Dunkeln tappen ...

    ... so daß alles Tatonnement ausgeschlossen bleibt.

    Dank Abbes Formeln für die wissenschaftliche Mikroskopentwicklung konnte die Zeiss-Werkstatt Mikroskope in bislang ungekannter Präzision und ohne Pröbeln fertigen und so natürlich einen Wettbewerbsvorteil erringen. 1875 zeigte sich Zeiss erkenntlich und bot Abbe die stille Teilhaberschaft an. Der schrieb darüber später:

    Ich habe damals geglaubt, es hätte ein Affe mich geleckt - so verwundert war ich über den unerwarteten Erfolg meiner langen, mühsamen Tätigkeit, von der ich mir niemals einen hohen wirtschaftlichen Gewinn versprochen hatte.

    Doch der stellte sich rasch ein. 1862 waren bei Carl Zeiss 25 Mitarbeiter beschäftigt, die einen Umsatz von 12.618 Mark erwirtschafteten. Im Todesjahr Ernst Abbes war das Unternehmen auf knapp 1400 Mitarbeiter und einen Umsatz von fünf Millionen Mark angewachsen. Nach Carl Zeiss’ Tod im Jahr 1888 leitete Abbe das Unternehmen alleine. Als Arbeiterkind selbst in einfachsten Verhältnissen aufgewachsen, war er sich sehr wohl bewusst, worauf sein Reichtum beruhte, nämlich darauf ...

    … dass es mir und meinen Genossen möglich war, die Tätigkeit vieler anderer Personen dauernd in unseren Dienst zu stellen und den Ertrag ihrer Arbeit uneingeschränkt uns zu Nutze zu machen.

    Daher entschloss Abbe sich zu einem damals ungewöhnlichen Schritt: Er brachte sein gesamtes Kapital in eine neu gegründete Carl-Zeiss-Stiftung ein, deren Geschäftsführer er wurde. Das änderte zwar nichts am kapitalistischen Charakter des Betriebes, an die Stelle des Unternehmers trat eben das entpersonifizierte Stiftungskapital. Aber diese ungewöhnliche Konstruktion ermöglichte es, eine ganze Reihe sozialer Reformen anzugehen. 1896 wurden diese in einem umfassenden Stiftungsstatut mit 122 Paragraphen festgelegt. So galt beispielsweise ein Neutralitätsprinzip bei der Einstellung und Beförderung von Arbeitern und Angestellten, ohne Ansehen der Herkunft, und der Glaubens- oder Parteizugehörigkeit. Die Beschäftigten erhielten das Recht auf zwölf Tage Jahresurlaub, von denen sie immerhin sechs bezahlt bekamen. Und es wurde eine betriebliche Kranken- und Rentenversicherung eingeführt. Aus heutiger Sicht ist eine weitere Bestimmung des Statuts interessant.

    Die Direktoren und Geschäftsführer der Zeiss-Werke dürfen nicht mehr verdienen, als das Zehnfache vom Durchschnittsjahreslohn eines 24-jährigen gelernten Arbeiters, der eine mindestens dreijährige Dienstzeit in den Zeiss-Betrieben hinter sich hat.

    Darüber hinaus wurde die Universität Jena aus Mitteln der Stiftung großzügig gefördert. Ernst Abbe, der nach den Worten eines Freundes in seinen letzten Monaten nur noch von Opiaten und Zigaretten lebte, starb, kurz vor seinem 65. Geburtstag am 14. Januar 1905.