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Meister des Chorgesangs

Im Alter von 94 Jahren ist der schwedische Dirigent Eric Ericson am vergangenen Samstag gestorben. Sein Metier war die Chorleitung. Hier konnte er eine besondere Qualität der Zusammenarbeit herstellen, erinnert sich sein Schüler Simon Halsey, heute Chefdirigent des Berliner Rundfunkchores.

Doris Schäfer-Noske im Gespräch mit Simon Halsey | 19.02.2013
    Doris Schäfer-Noske: Er wurde als Chorwunder aus dem Norden gefeiert. Schon mit 13 Jahren gründete der Schwede Eric Ericson seinen ersten Chor und beteiligte sich mit ihm an der Gottesdienstgestaltung. Sein Vater war nämlich Pfarrer auf der Insel Gotland und so kam Ericson natürlich schon früh mit Orgel- und Chormusik in Berührung. 1945 gründete er den schwedischen Kammerchor, der sich ihm zu Ehren seit 1988 Eric Ericson Kammerchor nannte. Bis 1991 war Ericson auch als Professor für Chorleitung in Stockholm tätig. International bekannt wurde er, als er 1974 von Ingmar Bergman für die Verfilmung der "Zauberflöte" engagiert wurde. Nach seiner Pensionierung war Ericson viel als Gastdirigent zu erleben, unter anderem leitete er auch den RIAS Kammerchor. Nun ist Eric Ericson im Alter von 94 Jahren gestorben. Frage an Simon Halsey, den Chefdirigenten des Berliner Rundfunkchores: Was machte denn das Chorwunder Eric Ericson aus?

    Simon Halsey: Ich habe relativ oft mit Ericson gearbeitet seit 30 Jahren. Er war wirklich ein Wunder, und die Frage ist, warum. Er hatte '46 nach dem Krieg begonnen. Seine Idee war, eine Schule für Chordirigenten in Schweden zu gründen, weil in dieser Zeit in Schweden haben alle Volkslieder gesungen, aber nicht so sehr viel Kunstmusik. Und sein Wunsch war, englische Chöre und deutsche Chöre zu hören, und er hat eine Liste gemacht in '46: Was macht King's College Choir in Cambridge besonders gut, was haben die Chöre in München, Berlin und so weiter besonders gut gemacht, was für eine Mischung von englischer Tradition und deutscher Tradition kann man bauen und etwas Neues gründen. Ericsons Chorklang war rein, homogen, Intonation immer perfekt, und ganz ehrlich: Er hat nicht so sehr viel in einer Probe getan. Er hat dirigiert und er hat mit dem Chor ein kleines bisschen gearbeitet, aber das Ziel war, dass alle gut zuhören, dass alle Sänger und Sängerinnen guten Kontakt miteinander haben. Alle in dem Chor waren verantwortlich für den Klang des Chores. Viele haben deshalb später, in den 50er-, 60er-, 70er-Jahren, in seinem Chor gesungen und haben auch dirigiert. Deshalb gibt es diese Tradition in Schweden und heute auch in Norwegen und Dänemark: Fast alle, die singen, sind auch Dirigenten, sind auch Komponisten. Die Mischung der Ausbildung, die sie haben in Skandinavien, ist unglaublich und ganz ehrlich viel besser als die Ausbildung, die wir in Deutschland und wir in Großbritannien und Amerika haben. Ich war sein Schüler, sein Pupil auf Englisch. Er war ein toller Mann und ich bin ganz traurig, dass er gestorben ist.

    Schäfer-Noske: Er hat Sie also auch entscheidend geprägt. - Sie haben schon gesagt, dass die einzelnen Sänger aufeinander hören. War das so das Wichtige?

    Halsey: Ich glaube, das war sehr wichtig. Es klingt so einfach. 1980 ist Ericson nach Birmingham in England gekommen, und Simon Rattle und ich haben zusammen mit ihm gearbeitet. Er hat den Chor, City of Birmingham Symphony Choir, dirigiert in Verdis "Requiem". Simon Rattle und ich, wir waren da mit Bleistift und Notebook, und das Ziel war zu schreiben, was sagt er, und wir haben gar nichts geschrieben, weil er hat nur sehr angenehm mit den Leuten gearbeitet, und die singen besser einfach für ihn als für uns. Es war nur diese Qualität, die Zusammenarbeit. Das ist auch mein Ziel heute mit Profichören, dass alle zuhören, denken, machen Kontakt miteinander, sind verantwortlich für die Musik, und dann, ganz ehrlich, ist fast alles gut. Es klingt so komisch, so einfach, aber so war es.

    Schäfer-Noske: Welche Werke waren es denn, die ihm besonders am Herzen lagen?

    Halsey: Ericson und die A-cappella-Arbeit. Es gibt Aufnahmen von den 60er-, 70er-Jahren des EMI-Labels, A-cappella-Werke von Palestrina bis heute. Er war besonders wunderbar mit Frank Martins "Mass", mit Pizzetti, aber er hat so sehr viel neue Musik in Schweden getan und Komponisten weltweit haben neue Musik für ihn geschrieben. Neue Musik, das war vielleicht nicht die Darmstädter Schule, relativ einfache Musik vielleicht, aber die Idee, dass Chormusik lebt, wirklich lebt, war so interessant und so wichtig.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.