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Meister Wotan und sein Pumuckl

Vera Nemírova ist eine der gefragtesten Opernregisseurinnen im deutschsprachigen Raum, und das vor allem, weil sie mit praktisch jeder Inszenierung viele Leute auf die Palme bringt. Jetzt hat ihr der Frankfurter Opernintendant Bernd Loebe Wagners "Ring des Nibelungen" anvertraut.

Von Jörn Florian Fuchs |
    Im Mai ging es mit dem Rheingold los, da erlebte man erstaunlicherweise eine recht zaghafte Regiepranke. Das Geschehen spielt auf einer mehrdimensionalen Scheibe die an einen Baum mit Jahresringen erinnert, wobei die einzelnen ‚Ringe’ verschiebbar sind und sich dadurch einige interessante Raumwirkungen ergeben. Szenisch war das Ganze dennoch nur begrenzt überzeugend, auf der Habenseite stand die meist intensive Personenführung, ärgerlich waren diverse einfältige Einfälle wie gedoppelte Götter in Abendgarderobe oder sexuelle Anspielungen.

    Bei der Walküre wirkt die von Jens Kilian konstruierte Scheibenwelt kongruenter, aber zugleich auch etwas belangloser. Die Hütte des Bösewichts Hunding liegt irgendwo unten in den Eingeweiden dieser angedeuteten Weltesche. Ganz oben schneit es über dem sich wonnig liebenden Geschwisterpaar Siegmund und Sieglinde, am Ende ruht die vom Obergott verstoßene Walküre Brünnhilde in der Mitte, ebendort wo zuvor Wotan seinen Speer einstach, dieses Bild wirkte aus einiger Entfernung allerdings wie eine Dartscheibe mit Zahnstocher. Die ohnehin recht eindrücklichen Lichtstimmungen (Olaf Winter) münden schlussendlich in einen echten Feuerzauber mit echten Flammen, hinter denen die ungehorsame Maid nun auf den sie im nächsten Ringteil erlösenden Siegfried wartet. Solch ein ästhetisch schönes Bild sorgt natürlich für Jubel und das zu Recht.

    Auch manch andere Bilder sind stimmungsvoll-stimmig, dazu kommt sogar eine Prise Humor – das Pferd Grane ist ein keckes Karussell-Fohlen, das auf der obersten Scheibe seine Runden dreht. Wann immer Nemirova allerdings etwas interpretiert, die Dinge etwa verheutigen möchte, gerät sie auf die schiefe Bahn. Beim Walkürenritt gibt es (männliche) Sargträger, die vermutlich noch frische Kriegsopfer aus der Gegenwart ins Mausoleum bringen, Wotans weitschweifige Welt-Erklärungen geschehen mittels Tafelbildern, wobei später Brünnhilde aus dem von Wotan durchgestrichenen "Siegmund" immerhin die erste Silbe "Sieg" wieder nachzeichnet, danach erscheint der Name Alberich als Menetekel, und so weiter. Es grüßt nicht nur an dieser Stelle wieder einmal der gute alte Peter Konwitschny, Nemirovas wichtigster Lehrmeister.

    Wie schon beim Rheingold, so ist auch in der Walküre ein wallender Wintermantel zentraler Protagonist. Erst trägt ihn Siegmund, dann Wotan, dann Brünnhilde. Das wirkt ein bisschen naiv, macht aber immerhin Sinn. Sehr unsinnig, weil unfreiwillig komisch, geraten einige der Personenkonstellationen. Wenn Wotan als alter Mann vor der Tafel steht und neben ihm seine sehr kleine und sehr rothaarige Lieblingswalküre andächtig lauscht, denkt man unwillkürlich an Meister Eder und seinen Kobold Pumuckl.

    Vokal war Pumuckl respektive Brünnhilde eine arge Enttäuschung: Susan Bullock outrierte sich durch die Partie, auch Martina Dike (Fricka) enervierte mit Schärfen und Flackern. Terje Stensvold sang Wotan Rollen- und Raumfüllend, wenngleich manchmal recht nasal. Eva-Maria Westbroeck gelang ein berührendes Portrait der Sieglinde, Franz van Aken (Westbroecks Ehemann im ‚echten’ Leben) gab einen unangestrengt burschikosen Siegmund, Ain Anger (Hunding) lieferte prächtig sonore Drohungen. Sebastian Weigle am Pult des Frankfurter Museumsorchesters bevorzugte eine weiche, samtige Gangart, die erst im Schlussakt mit rasanteren Tempi und Aufrauungen aufwartete.