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Meisterhafte Konstrukteurin magischer Soundgebilde

Juana Molina schmiss Mitte der Neunziger Jahre alles hin, um sich nun ganz auf die Musik zu konzentrieren. Fünf Alben sind seitdem entstanden. Ihr neues "Wed 21" erscheint diese Woche - und ist anders als die Vorgänger.

Von Dennis Kastrup |
    "Vergangenes Jahr habe ich tatsächlich damit angefangen, die Songs nur mit der Gitarre zu schreiben. Ich hatte sogar die Idee, ein Album nur mit Gesang und Gitarre herauszubringen. Beim Aufnehmen merkte ich aber, dass ich das eigentlich überhaupt nicht mehr wollte."

    Es war immer dieselbe Herangehensweise, die Juana Molina in der Vergangenheit völlig eigenständig musizieren ließ: Gitarre und Gesang werden eingespielt, mithilfe eines Samplers geloopt, also in eine sich wiederholende Schleife gelegt, und dann aufeinandergeschichtet. Molina spricht in diesem Zusammenhang oft von ihrer Formel, die sie mit der Zeit entwickelt hat. Das klingt erst einmal nicht unbedingt spektakulär. Molina verlieh den Stücken aber Glanz, weil sie nicht nur eine faszinierende Sängerin ist, sondern auch eine meisterhafte Konstrukteurin magischer Soundgebilde. Dieses Mal war das Fundament anders.

    "Ich habe alleine angefangen, meine neuen Ideen aufzunehmen. Das geschah alles zu Hause. Dann habe ich den Computer entdeckt und herausgefunden, wie man damit Songs schreibt. Das schien sehr einfach zu sein, weil man mehrere Spuren aufnehmen kann. Ich war es bisher gewohnt, mit einem Vier-Spur-Gerät zu arbeiten. Für mich war der Sprung also riesengroß."

    Nach einem Lernprozess klingen die Stücke aber nicht. Mit Leichtigkeit scheint Molina die Stücke von "Wed 21" in ihrem Heimstudio eingespielt zu haben. Dabei hat sie ihre Formel um neue, komplexere Variablen ergänzt. Die 51-Jährige hat sich an elektronische Instrumente herangewagt. Zum ersten Mal benutzt sie auch den Equalizer-Effekt. Die Songs klingen also nicht mehr so rau, sondern viel wärmer. Außerdem sind es weniger Wiederholungen geworden. Das erfordert auf der Bühne eine Umstellung.

    "So, wie damals ein Song aufgebaut war, konnte das mit dem Drücken auf die Pedale locker gespielt werden. Jetzt wiederhole ich zwar bestimmte Sachen, muss dann aber Klänge beenden, um einen neuen Teil zu loopen, der nichts mit dem davor zu tun hat. Wir haben uns also viele Gedanken darüber gemacht, wie wir dieses Album live spielen können."

    Auf Tour ist Molina deshalb ausschließlich als Trio mit Schlagzeug und Bassist zu sehen. Alleine, so wie früher, sind die komplexeren Stücke nicht zu bewältigen. Im Vordergrund wird aber weiterhin der in sich versunkene Gesang stehen. Dabei ist es auch nicht wichtig, ob die spanischen Texte verstanden werden. Ihr Charisma und musikalisches Talent erzählen eine eigene Geschichte.

    "Die Leute glauben, dass meine Texte ganz natürlich entstehen. Es ist ja auch eine gute Sache, dass die Leute das glauben. Es ist ja auch meine Absicht. Ich will wie jemand klingen, der redet, also sehr umgangssprachlich und natürlich. Um das aber zu erreichen, arbeite ich viel an den Texten. Sie sollen aber nicht den ursprünglichen Klang der Melodie überdecken."

    Auf den Alben davor war die Sprache sehr abstrakt. Jetzt sind die Songs bildlicher und direkt von ihrer Umgebung inspiriert worden. In ihrem Haus in Buenos Aires lebt sie von Natur umgeben. Sie besingt unter anderem Insekten, Bären und ein Nagetier.

    "Der Text ist wie eine Metapher. Die Ratte ist eine Person, die alles bunkert und nichts wegschmeißen kann. Die Sachen verrotten und werden zerstört, bevor sie überhaupt benutzt wurden. Eines Tages beschließt die Ratte dann, alles wegzuschmeißen, weil ihr das jemand gesagt hat. Ich bin mir aber nicht sicher, ob ich wirklich eine tiefe, wichtige Botschaft dabei habe. Es sind einfach kleine Geschichten."

    "Wed 21" ist ein Schritt hinaus aus der Komfortzone von Juana Molina. Das gelingt ihr sehr unaufgeregt und dadurch auch sehr elegant. Ihr mehrschichtiger Gesang ist dabei immer noch ein prägendes Stilelement. Er verschmilzt aber deutlicher mit der Musik. Das Album versteht sich als Einheit und dürfte auch Ohren ansprechen, die vorher von Molinas Exaltiertheit abgeschreckt wurden.

    "Es ist eine gute Sache, dass ich irgendwo in die Nähe von Pop gekommen bin, weil ich immer zu weit weg davon war. Pop auszuprobieren ist wohl etwas Neues für mich."