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Meisterwerke aus krummen Spiegeln

Physik. - Vor rund fünf Jahren sorgten der Maler David Hockney und Charles Falco, Physiker und Experte für optische Systeme, mit einer steilen kunsthistorischen These für Aufsehen: Sie behaupten, dass die großen Künstler der Renaissance optische Hilfsmittel nutzten, um ihre Meisterwerke zu malen. Die Debatte ist jetzt wieder neu entflammt, unlängst ist im Fachblatt Nature ein weiterer Artikel dazu erschienen - und die Kontroverse war auch ein Thema auf der Jahrestagung der Amerikanischen Physikalischen Gesellschaft in Baltimore, die heute zu Ende geht.

Von Jan Lublinski |
    Mit Beginn der Renaissance tat sich Gewaltiges in der Malerei: Mit einem Mal wurden die Bilder sehr wirklichkeitsnah. Während die Werke des Mittelalters noch platt und zweidimensional waren, traten die Gesichter und Gegenstände nun plastisch hervor: Lichteinfall, Schattenwurf, Perspektive - mit einem Mal stimmte alles. Die Künstler beherrschten eine naturalistische Malweise, die den Abbildungen sehr nahe kommt, die wir heute von Fotos her kennen. Und in der Tat: Die Renaissance-Künstler nutzten optische Hilfsmittel - behauptet der Physikprofessor Charles M. Falco von der Universität von Arizona in Tucson.

    " Es war ein gekrümmter Spiegel, der den Künstlern half, die dreidimensionale Welt, die sie ständig sahen, in zwei Dimensionen umzusetzen - und zwar so, dass man auch die dritte Dimension wahrnimmt. Die technischen Voraussetzungen dafür waren vorhanden: Die Wissenschaft von der Optik war verstanden, und es gab gute Spiegel und Linsen. Bereits 75 Jahre vor van Eyck sind Werke entstanden, auf denen Brillen und Vergrößerungsgläser zu sehen sind. Aber es brauchte einen van Eyck, um herauszufinden, dass man diese Werkzeuge dazu nutzen kann, ein Bild zu projizieren."

    Van Eyck, Holbein, Caravaggio und viele andere Künstler haben zunächst gekrümmte Spiegel, später dann Linsen benutzt, um einzelne Objekte auf ihre Leinwand zu projizieren und abzupausen. Diese revolutionäre These stammt ursprünglich von David Hockney, dem großen Pop-Art-Künstler und Fotografen. Er hat sich sein Leben lang mit Fragen von Abbild und Wirklichkeit befasst und ist lange Zeit der Frage nachgegangen, wie die Alten Meister den gewaltigen Sprung hin zu der realistischen Malweise machen konnten.

    David Hockney erhielt Unterstützung durch den Physiker Charles Falco, der inzwischen eine große Zahl von alten Meisterwerken untersucht hat. Die Bilder enthalten oft mehrere leicht von einander abweichende Fluchtpunkte - ein Hinweis darauf, dass die Meister ihre optischen Hilfsmittel für jedes Objekt neu justieren mussten. Darüber hinaus hat Falco in vielen Bildern geringfügige Verzerrungen von Gegenständen nachweisen können, die nur durch die Projektion mit einem gekrümmten Spiegel oder mit einer Linse entstanden sein können.

    " Das Bild, bei dem wir die meisten optischen Beweise haben, ist das Werk "Ehemann und Frau" von Lorenzo Lotto. Ich kann hier zeigen, dass etwa fünf Prozent des Bildes mit Hilfe von Projektion gemalt wurde. Die Künstler haben also keineswegs das gesamte Bild abgepaust, sie haben nur einzelne Details eingefangen, wie etwa die Augen oder die Mundwinkel. Und dann haben sie frei weitergemalt, so wie man das von Künstlern üblicherweise erwartet."

    Falcos und Hockneys Entdeckungen waren und sind ein Schock für viele Kunsthistoriker, die fest davon überzeugt sind, dass die großen Renaissance-Künstler Genies waren, begnadet mit einem für uns unvorstellbaren Können. Undenkbar für sie, dass ein van Eyck mit krummen Taschenspiegel-Tricks geschummelt haben könnte.

    Auf der Jahrestagung der Amerikanischen Physikalischen Gesellschaft in Baltimore hat Falco nun eine Reihe neuer Beweise vorgelegt: Werke von Renaissance-Künstlern in denen sich kleine Verzerrungen finden. Zumindest seine Physiker-Kollegen hat Falco mit seinen mathematischen Rechnungen überzeugen können.

    " Die Leidenschaft, mit der die Menschen auf unsere Entdeckung reagiert haben - positiv wie negativ - war gewaltig. Wir haben etwas getan, was die Leute sehr berührt: Wir haben die einzigartigen Werke eines van Eyck hergenommen und wir haben erklären können, wie der Meister gearbeitet hat, wie die Leute in seinen Ateliers saßen. Wenn man van Eyck sehr bewundert, dann will man das alles entweder ganz genau wissen - oder aber man will davon überhaupt nichts davon hören."

    Charles Falco und David Hockney betonen, dass der Einsatz von optischen Instrumenten keineswegs die Leistung der alten Meister schmälert. Vielmehr sei es ihnen mit krummen Spiegeln und Linsen gelungen, die Welt neu zu sehen und in eindrucksvollen, naturalistischen Bildern darzustellen.