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Mekka der Eintagstouristen

Die Insel Capri ist bekannt für ihre Mondänität. Jet-Set, teure Jachten und Boutiquen prägen das Bild des italienischen Eilands. Dabei hat Capri mehr zu bieten als Pomp und Schickimicki - zum Beispiel viele lange Wanderwege.

Von Thomas Migge |
    Ja, so kennt man es. Das Capri der Caprifischer und die Stimme von Rudi Schuricke.

    Das Capri der 50er-Jahre und des deutschen Films, der ersten Bundesbürger, die als Eintagestouristen der Jet-Set-Insel einen Besuch abstatteten. Capri war und ist "in". Immer wieder und immer noch. Während das touristische Fußvolk an den wenigen Stränden der Insel im Wasser planscht, kurven die Reichen mit ihren Jachten um die Felsen des Eilandes, auf dem schon Roms Kaiser urlaubten und Lana Turner barfuß shoppen ging. Auf den Piazzen und vor den Luxushotels trifft man sich, sieht und will gesehen werden.

    Doch es gibt noch ein ganz anderes Capri. Ein so gut wie unbekanntes Capri, über das Reiseführer nur selten berichten - weiß der neapolitanische Schriftsteller Raffaele La Capria, der eine der schönsten Villen der Insel bewohnt:

    "Wir alle haben doch ein Vorurteil über diese Insel: nur Jet-Set, Glanz und Glitter, aber Capri bietet wunderschöne Wanderwege, wo es Ihnen passieren kann, dass sie eine ganz Zeit lang niemanden treffen, nur mit der Natur allein sind. Um sich von den Vorurteilen gegenüber dieser Insel zu befreien, muss man sie einfach besser kennenlernen."

    Also erwandern, so der Tipp La Caprias.

    Der wohl schönste Ausgangspunkt für Wanderungen auf Capri ist die berühmte Piazzetta, der Hauptplatz der Ortschaft Capri, vielleicht nach einem Frühstück mit Cappuccino und Cornetti-Hörnchen. Gutes Schuhwerk ist angesagt, denn nicht alle Wanderwege auf der Insel sind stöckelschuhgeeignet.

    Schon wenige Hundert Meter von den Hotels und Geschäften entfernt taucht der Capri-Wanderer in tiefe Stille ein. Nur Naturgeräusche, Wellenrauschen und Vögel. Wanderkarten zeigen, dass man rund eine Woche lang auf der Insel wandern kann. Die verschiedenen Wege sind gut ausgeschildert – für Italien eine Seltenheit.

    Einer der landschaftlich schönsten Wanderwege auf Capri führt von der Piazzetta aus vorbei an üppigen Gärten, die immer wieder atemberaubend schöne Blicke auf das Meer und die Inselküste freigeben, mitten in die Natur hinein.

    Man nehme den ausgeschilderten kleinen Weg zum "Arco Naturale", einen malerisch hoch über dem Meer gelegenen Natursteinbogen. Der Capri-Wanderer gelangt über diesen Weg zu dem Ausflugslokal "Le Grottelle": klein und einfach aber mit täglich frischem Fisch und einem tollen Blick auf das Meer und die gegenüberliegende Küste von Positano. Durch den Garten des Lokals erreicht der Wanderer den Natursteinbogen, wo man immer wieder Hobbymaler antrifft. Ganz in der Nähe lockt die düster-geheimnisvolle Grotta Matermania. Wahrscheinlich ein altrömisches Heiligtum, das einer Göttin geweiht war. Von hier aus führen schmale Pfade zum Meer hinunter. Der Abstieg lohnt, denn die kleinen wilden Badebuchten liegen einsam und eignen sich perfekt zum Nacktbaden.

    Wieder zurück auf dem Wanderweg erreicht man die auf einer Felsspitze hoch über dem Meer gelegene Villa des italienischen Schriftstellers Curzio Malaparte, ein moderner Bau aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts, berühmt für seinen an das Bauhaus erinnernden modernen Stil. Der Gegensatz zwischen der gradlinigen und minimalistischen Architektur und der wilden Natur kann größer nicht sein. Von der Villa aus wird der Wanderweg zu einem geraden Spazierweg, immer oberhalb der Küste entlang, bis hin zum Hotel Punta Tragara, das von dem französischen Stararchitekten Le Corbusier entworfen wurde. Zur Piazzetta ist es nicht mehr weit. Rund zwei Stunden dauert dieser Wanderweg, für den sich ältere Menschen einen Stock mitnehmen sollten. Auch Raffaele La Capria geht nie ohne Stock aus dem Haus:

    "Über Capri wird soviel Dummes gesagt. Vergessen Sie das alles und gehen Sie spazieren oder wandern. Zum Beispiel auch zur Villa Iovis. Das ist eine von sieben Villen, die sich der römische Kaiser Tiberius auf Capri errichten ließ. Noch die Ruinen beeindrucken und dann erst der Blick von der auf einem Hügel gelegenen Villa auf die Insel, das Meer und die Küste. Dort herrscht eine göttliche Stille"

    Capri bietet rund 15 Wanderwege, einer schöner und abwechslungsreicher als der andere. Wanderwege, die zeigen, dass die wahre Schönheit dieser Insel nichts, gar nichts mit den Schickimicki-Szenografien zu tun hat, die dem schnellen Besucher in Capri und Anacapri präsentiert werden. Capri ist ganz anders.