Jon Fosse hat ein Faible für Extremisten, für Sektierer und Gottsucher, und Lars Hertervig, der geniale Quäkersohn aus bescheidensten, aber sittenstrengsten Verhältnissen, ist eine Figur nach seinem Geschmack. Fosse hat wenig Scheu, dort, wo sie ihm geboten scheinen, auch mit Versatzstücken zu arbeiten. Entspricht das doppelte Scheitern des Lars Hertervig in der Kunst und in der Liebe nicht voll und ganz dem Klischee des romantischen Künstlerromans? Hat nicht Fosse die Biographie des schwermütigen Malers geradezu zum Schauermärchen entstellt? Soviel ist richtig: Fosse will seinen Helden und seinen Wahn gewiß nicht entmystifizieren. Im Gegenteil, alles drängt bei ihm zur Zuspitzung, zur Erschütterung. Zu Hertervigs Schwermut liefert uns Fosse nicht die Psychoanalyse und nicht die Sozialgeschichte, sondern, so könnte man sagen, die Passionsmusik.
In seinen Sprechgesang hat Fosse eine aufschlußreiche Episode eingebaut. Es spielt an einem Abend im Spätherbst 1991 und führt in einem Vorort von Bergen einen Schriftsteller namens Vidme und eine junge und offenbar attraktive Pfarrerin zusammen. An jenem Tag, so wird uns mitgeteilt, "wollte Vidme einen neuen Roman anfangen, der mit den Bildern des Malers Lars Hertervig zu tun haben soll, und das (...) hat er einmal beschlossen, als er eher zufällig wegen heftigen Regens von einer Straße in Oslo weg in die Nationalgalerie hineinging (...) und dann fiel sein Blick auf ein Bild, das ihn anzog (...) und da und dort hatte Vidme eines verregneten Vormittags in Oslo das größte Erlebnis seines Lebens. Ja, das dachte er. Das größte Erlebnis seines Lebens." Der Maler Hertervig ist ein entfernter Verwandter des Schriftstellers, erfahren wir beiläufig, und weiter nur, daß es den Schriftsteller drängt, nach langer Distanz wieder der Kirche beizutreten, weshalb er das Gespräch mit der Pfarrerin gesucht hat. Aber die Pfarrerin läßt ihn freundlich wissen, er werde in der Kirche wohl nicht heimisch werden, denn er sei wohl eher ein religiöser Mystiker, und nach denen habe die norwegische Kirche keinen Bedarf. So wiederholt sich im Leben des Schriftstellers Vidme die Abweisung, die seinem entfernten Verwandten Hertervig an der Düsseldorfer Akademie zuteil wurde. Es geht in Hertervigs Malerei und Fosses Buch um die Radikalität einer religiösen Erfahrung, die manche in den Wahnsinn treibt und andere an den Schreibtisch kettet: "Da sitzt der Schriftsteller Vidme", heißt es bei Fosse, "und denkt. Jetzt sei Gott ihm gnädig, damit er schreiben kann."