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Melancholische Freundlichkeit

Philippe Noiret, über Jahrzehnte einer der beliebtesten und profiliertesten französischen Schauspieler, ist tot. Er starb im Alter von 76 Jahren nach einem Krebsleiden. Noiret verkörperte in seinen mehr als 125 Filmen sehr verschiedenen Rollen - von "Alexander, der Lebenskünstler" über liebenswert-korrupte Bullen ("Die Bestechlichen") bis zum Polizisten, der Selbstjustiz übt ("Der Saustall"). Bis zuletzt blieb er auch dem Theater treu.

Von Josef Schnelle |
    Niemand verkörperte den Musterfranzosen so perfekt wie er. Schon die Art wie er ehrfürchtig genießend am Champagner nippen konnte und sich dazu noch eine Zigarre anzündete, kann als unnachahmlich bezeichnet werden. Mit seiner ersten wichtigen Rolle 1960 in Louis Malles "Zazie in der Metro" schien er sich auf das Rollenfach gemütlicher, leicht chaotischer Onkel zu spezialisieren.

    Wie auch in "Alexander der Lebenskünstler" von Yves Robert, der ihn 1967 auch über die Grenzen Frankreichs hinaus populär machte. Der Onkel konnte aber durchaus korrupt werden, wie der gestandene Kommissar in dem Erfolgsfilm "Die Bestechlichen" von Claude Zidi. In seinem wohl bekanntesten Film, in "Cinema Paradiso" des italienischen Regisseurs Guiseppe Tornatore verkörperte er 1988 mit nostalgischem Schmelz als guter alter Filmvorführer - all diese Rollen zusammenfassend - quasi das Kino selbst.

    Dass man diesem netten Herren aus der Cognacwerbung auch andere, dunkle Schattenseiten abgewinnen konnte, entdeckte zuerst Alfred Hitchcock. In seinem Thriller "Topaz" lässt er ihn in einem Epilog, der in Paris spielt, im letzten Moment als hinkenden französischen Doppelagenten und Oberbösewicht, der hinter allem steckt, enttarnen. Noiret hat nur einige kurze Auftritte, lieferte aber schon damals eines seiner sehenswertesten Kabinettstückchen ab. Den Schritt nach Hollywood tat er jedoch nie.

    Von nun an war er aber viel Häufiger der Biedermann mit den verborgenen Geheimnissen. Auch Mörder, Verführer, schillernder Dunkelmann. Solche Rollen führten ihn immer wieder mit dem französischen Regisseur Bertrand Tavernier zusammen. Bei dem er mit "Der Uhrmacher von St. Paul" 1974 und "Der Saustall" 1981 die besten seiner zwielichtige Charakterportraits ablieferte. Da bekam er es natürlich mit Partnerinnen vom Schlage Catherine Deneuve, Romy Schneider und Simone Signoret zu tun, an deren Seite nur einer wie er bestehen konnte.

    Noiret drehte 150 Filme, in manchen Jahren fünf auf einmal. So was nennt man rast- und ruhelos. Ein anstrengendes Schauspielerleben, zu dem auch immer wieder Theaterrollen gehörten. Der am 1. Oktober 1930 geborene Noiret kam aus dem nordfranzösischen Lille und lernte die Schauspielerei auf den Theaterbrettern der französischen Hauptstadt. Er landete schließlich 1953 im Ensemble des "Théâtre populaire national". Dort traf er auch seine spätere Frau, die bekannte Schauspielerin Monique Chaumette.

    Im Kino versuchte es zuerst Agnès Varda mit ihm, mit "La Pointe Courte" 1956. Doch dieser Auftritt hatte noch keinen durchschlagenden Erfolg. Enttäuscht machte Noiret zunächst wieder nur Theater, baute sich dann aber in zahlreichen eher unscheinbaren Nebenrollen, auch in Filmen sehr kommerziellen Zuschnitts seine Filmschauspielerkarriere auf. Er arbeitete schließlich mit den meisten bekannten Regisseuren in der Hochzeit des französischen Kinos der 70er und 80er Jahre zusammen.

    Neben Tavernier häufig mit Philippe de Broca und Yves Boisset. Auch italienische Regisseure wurden auf ihn aufmerksam. 1973 machte er Filmgeschichte mit dem italienischen Regisseur Marco Ferreri und dessen erotischem Skandalfilm abseits der Grenzen des guten Geschmacks "Das große Fressen". Eines der Meisterwerke des radikalen Autorenkinos jener Zeit. Endgültig war Phillip Noiret damit die Rolle des gutmütigen Onkels los. Von nun an traute man ihm alles zu.

    Er pendelte zwischen den Französischen und dem Italienischen Kino, dreht mehrfach mit Mario Monicelli, dann wieder mit Robert Enrico. Für seine Rolle in dessen Film "Das alte Gewehr" bekam er dann 1976 seinen ersten "Cesar", den Französischen Filmpreis vergleichbar dem Oskar, den er erst 1990 noch einmal entgegennehmen durfte - für "Das Leben und nichts anderes".

    Vor zwei Jahren wurde es still um den neben den neben Michel Piccoli prominentesten Schauspieler seiner Generation. Ein langer Kampf gegen den Krebs begann. Er hat ihn nicht gewonnen und starb viel zu früh mit nur 76 Jahren. Wir werden ihn aber noch einmal zu sehen bekommen - auf der Leinwand, denn sein letzter Film wird gerade geschnitten.