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Pizzeria Kamikaze

Gibt es ein Leben nach dem Frei-Tod? In Etgar Kerets "Pizzeria Kamikaze", dem Kurzroman als Gedankenspiel, geht es für Selbstmörder jedenfalls gnadenlos weiter.Wem das Leben nichts mehr wert war, der muß sich jetzt ohne Ausnahme schließlich doch damit beschäftigen: Wie geht es weiter? Denn dass es weiter geht, ist endgültig - und das ist das Schlimme am nihilistischen Nullpunkt in diesem Jenseits der Selbstmörder, denen ihre Todesarten anzusehen sind: Versehrte Zombies unter sich in einem Schattenreich, das zwar kein Inferno ist, aber dafür eine trostlose Welt, die man aushalten muß. So ist das. Kerets Romanheld Chaim trägt dazu einen sprechenden Namen:

Michael Langer | 26.06.2000
    Chaim bedeute Leben, sagt Etgar Keret, aber in Israel sei das ein Allerweltsname, über dessen Bedeutung im Alltag nicht weiter nachgedacht werde. Grotesk werde und wirke es dann, wenn ein Selbstmörder so heißt.

    Für Chaim, einen Helden von der traurigen Gestalt unter lauter traurigen Gestatten, sieht es im Reich dieser Todsünder aus wie in Tel Aviv. Für einen seiner neuen Mitbewohner, einen deutschen Zauberberg-Leser, ist die Örtlichkeit ein "Volltreffer" wie Frankfurt. "Also muß Frankfurt auch ein ziemliches Loch sein", folgert Chaim messerscharf und gelangweilt angesichts einer deprimierenden kosmopolitischen Lage: im Jenseits ist es wie überall. Abends trifft man sich in Kneipen wie dem "Kadaver", wo es nur noch schlimmer wird, wenn ein gewisser Kurt, der mal Sänger bei Nirvana war, andauernd jammert, weit ihn altes an seine alten Songs erinnert.

    Die Meinung aber, dass es schon zu Lebzeiten furchtbar armselig gewesen wäre, kommt selbst unter Freitoten gar nicht gut an.Denn man sucht durchaus nach Alternativen zu einer blutleeren und leidenschaftstosen Existenz, der scheinbar auf ewig der Sinn mit dem Selbstmord stiften ging.

    Sein bester Freund habe sich umgebracht, als sie beim Militär waren. Damit konfrontiert, musste er sich fragen, warum er aber am Leben hänge. Diese Auseinandersetzung mit dem Freund und dessen Tat wollte er auch literarisch bewältigen, was ihm erst nach Jahren mit diesem Buch gelungen sei:

    Etgar Keret, der auch Comics schreibt, Kurzfilme gedreht hat und an der Filmakademie in Tet Aviv Drehbuchschreiben unterrichtet, legt seine tragikomische Geschichte als Roadmovie an: In 26 Episoden schickt er seinen Helden auf eine Reise, bei der Weg das Ziel ist: On the Road im Heiligen Land kreuzt er mit seinen Freunden die Spur eines falschen Propheten, der Anhänger um sich schaart, die nicht wahrhaben wollen, dass es in dieser Wett keinen Ausgang gibt. Sie treffen auf einen arabischen Selbstmordattentäter, der überhaupt nicht mehr verstehen kann, warum er je an einen Märtyrerhimmel glaubte. Und das Mädchen, mit dem Chaim sich in rabenschwarzer Romantik verstrickt, ist davon überzeugt, bloß irrtümlich in diesem Reservat gelandet zu sein.(In Sartes existentiatistischem Stück Das Spiel ist aus" kehrten zwei Liebende noch einmal einen Tag lang vom Tod ins Leben zurück, um dann doch an ihren Klassengegensätzen zu scheitern. Bei Keret ist das Spiel sowieso verloren und geht im Jenseits auch ohne Klassenkampf immer weiter, wobei die Frage bleibt: wieviel die Liebe nicht nur im Leben zählt, sondern ob sie auch den Tod aushätt?)

    Den Tod, wie er bei ihm im Buche steht, sieht Etgar Keret eigentlich als Metahper: für die Lage vieler junger Leute, denen ihr Dasein altes andere als lebendig vorkommt. Es sind dies für Keret, der 1967 geboren wurde, die Vertreter einer, wie er sagt, postideotogischen Generation, Leute seines Alters, für die Ideologien längst nicht mehr die Rotte spielen und Kräfte freisetzen, wie das noch vor 40 Jahren bei ihren Eltern der Fall war. In Israel habe die Idee des Zionismus ihre einheitsstiftende Bedeutung weitgehend verloren. Juden kamen und kommen aus alter Wett, aus Asien, Afrika, Europa - aber was hält diese Gesellschaft zusammen? Wo der Zionismus einst im Zentrum stand, gähnt heute für die junge Generation ein schwarzes Loch, sagt Keret: man sei vereinzelt, auf sich zurückgeworrfen in einer fragmentarisierten Gesellschaft. Was verbinde einen da mit seinem Nächsten, mit der Wett um einen herum?

    In seinem Buch sei jeder auf der Suche, so Keret: dem Helden Chaim gehe es um die Liebe, seinem besten Freund sei die Familie das Höchste, und die junge Tramperin finde die Lebenslust in ihrer Naturverbundenheit. Und alte drei hatten sie die Freundschaft hoch. Er wisse schon, dass das im 21. Jahrhunderts für viele nach abgestandenen Hippieparolen klinge: aber für ihn, sagt Etgar Keret, kommen solche Werte eben nie aus der Mode.