Mittwoch, 24. April 2024

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Afrika - Kulte. Feste. Rituale

Der riesige Kopfputz der südafrikanischen Zulu, der die Form eines flammend roten Kegels hat, erinnert ein wenig an italienische Renaissance-Gewänder, bei denen die Trägerin sich ebenso vergrößerte, während die Lippenscheiben, mit denen die bis auf ein Punkt-Ornament kahlgeschorenen Surma-Bräute aus Äthiopien ihren Preis signalisieren, ebenso fremdartig anmuten wie die antennenartigen Perlenaufbauten am Kopfschmuck einer Massai-Braut. Auch die berühmten Sirige-Masken der Dogon, die den Kopf des Trägers um vier Meter verlängern, signalisieren ebenso Frentffieit wie die Stelzengänger vom selben Stamm, deren Gesicht in drei Metern Höhe hinter eine Fratze aus Kauri-Muscheln verschwindet. Die bunten Holzmasken der Yoruba aus Nigeria dagegen, die in allen erdenklichen Farben ganze Dorf-Szenen nachstellen, gemahnen deutlich an die Weise, mit denen die Karnevalswagen der Rosenmontagszüge unsere mediale Gegenwart zu bannen versuchen.

Thomas Hettche | 19.07.2001
    Was nicht verwundert: Schließlich handelt es sich bei dem Photoband Afrika -Kulte. Feste. Rituale um eine großformatige Bestandsaufnahme des höchst flüchtigen Phänomens gesellschaftlicher Zeremonien. Die zwei, jeweils fast vierhundertseitigen Bände dokumentieren und beschreiben dreiundvierzig Rituale, wie sie in sechsundzwanzig Ländern Afrikas praktiziert werden. Noch. Denn natürlich ist der Ansatz der beiden Photographinnen ein konservatorischer. Seit sich die US-Amerikanerin Carol Beckwith und die Australierin Angela Fisher 1978 bei einer Massai-Kriegerzeremonie in Ostafrika kennen lernten, photographieren sie eine Kultur, die längst bedroht und teilweise schon vergangen ist. Und schnell begreift man beim Blättern die Vielfalt als den eigentlichen Schatz dieser Kultur. Hätte man vermuten können, dass die verschiedenen argrarischen Gemeinschaften des Kontinents ähnliche Phantasien entwickelten, so wird man überrascht von der Vielgestaltigkeit einer Formensprache, die sich nicht wie die unsrige aus wenigen längst global gehandelten Pattern speist, die wie bestimmte Muschelsorten am Kiel der Schiffe um die Welt kommen und überall angestammte Arten verdrängen. Man ist verwirrt von Formen und Farben, die sich dem Betrachter nicht schon mit einem halben Blick dekodieren und in Bedeutung übersetzen lassen. Und dieser Erfindungsreichtum macht um so mehr staunen, als das Thema fast aller Rituale ein vertrautes ist. All diesen Verkleidungen und Maskierungen, allen Bemalungen und allen Piercings und all den schmerzhaften Dehnungen der Haut geht es stets um die Erfindung desjenigen, der man sein wird, indem man sich erfindet.

    Was diese Bilder der Fremdheit dabei ermöglichen, ist eine Ahnung davon, wie sehr unsere eigenen Begriffe von "Ideal" und "Schönheit", sich einer Kultur verdanken, die sich ebenfalls aus der Bemalung mit Farben aus geriebenen Steinen und Tierblut bildete, mit der Schnürung durch Ketten und Halsreifen aus Silber, im Tätowieren und Einritzen von Schmucknarben. Betrachtet man nur lange genug die Gelassenheit im Blick des Wodaabe-Kriegers, das Gesicht gelb geschminkt, Augen und Mund schwarz mit Antimon gerahmt, so kann man darin mit einem Mal jene anderen, marmorweißen Krieger erkennen, die unsere Vorstellungen von Körpern prägten. Und tatsächlich zeigen aktuelle Rekonstruktion antiker griechischer Tempel- Friese in ihrer originalen Farbigkeit wie bei dem Wodaabe auch bei den Kriegern aus Hellas schwarz umrandete Augen und Helme mit bunten Wabenmuster. Bunte Götter nennt denn auch die Münchener Glypothek eine Ausstellung im nächsten Jahr, doch steht zu vermuten, dass sich längst das, was uns Schönheit ist, von der konkreten Vorstellung jenes weißen Steins gelöst hat und fest an das Phantasma einer marmornen Perfektion gebunden bleibt.

    Die Photos von Beckwith und Fisher bestechen dagegen gerade durch den Zauber von Zeremonien, bei denen für uns keine Perfektion entsteht. Schönheit als kristalliner Moment inmitten einer völlig kontingenten Realität, die sich keinen Traum von der Ewigkeit zu leisten in der Lage ist. Es gelingt den Photographinnen, dies einzufangen, indem sie sich weder auf den Gestus der Dokumentation zurückziehen, noch vorschnell in eine unverbindliche Ästhetik retten, die doch nur unseren Blick bestätigte. Und damit entsprechen die Bilder aufs beste ihrem Gegenstand, denn es macht ja das paradoxe Ereignis des Ritus aus, dass er sich möglicherweise seit Jahrhunderten unverändert zuträgt, und dabei doch jeweils zu einen ganz individuellen Schauspiel werden kann. Den besten Bildern des Buches gelingt es, jene Momente festzuhalten, in denen unter der Bemalung und der Maske der Mensch in einem Augenblick der Stille oder der Verzweiflung sichtbar wird. Man sieht Angst, Müdigkeit, Schmerz, aber auch den Stolz auf die Maske und die Lust an der eigenen rituellen Handlung. Denn keine stillgestellten Momente des Göttlichen dokumentieren die Bilder, sondern vor allem Spielarten einer Erfahrung, die uns wohl gänzlich fremd geworden ist, und von der nurmehr das Wort PERSON die Erinnerung daran bewahrt, dass ein "Ich,, sich bildet, indem man durch eine Maske spricht: Die Erfahrung von Verkörperung.

    Wenn Bewußtsein und Geschichte ohne Schrift auskommen muss, ist alles, was jemals war, lebendig nur im Nachvollzug und in der Verkörperung, im wiederholten Erleiden also ebenso wie in der Lust der Verwandlung. In den Kulturen, die diese beiden Bände dokumentieren, gibt es keinen Speicher der Erinnerungen als die immer wiederholte Aufführung. In all den Traum- und Albtraumformen von stierköpfigen Helden und gesichtslosen Waldgeistern, die Beckwiths und Fichers Afrika - Kulte. Feste. Rituale , versammeln, aber auch in der furchtbringenden Gesichtslosigkeit etwa der Geistermasken der Fön aus Benin, Bastungetümen ohne Gliedmaßen oder Gesicht, reine Bewegung und Tanz, oder auch in all den Tiermasken - Antilopen, Eulen, Schlangen -, die den ganzen Körper verschwinden lassen unter einem Pelz aus Gras oder farbigen Schnüren, erkennt man deutlich die heikle, immer wieder lustvoll-schaudernd umspielte Grenze zwischen dem ICH und der WELT. Nicht weit ist es vom eigenen Körper zu demjenigen des Tiers. Und all das, was Ich ist und Gesellschaft, existiert nur, wenn man es selbst immer wieder zwar in Ritualen und Zeremonien, doch dabei unter realem, blutigem, schmerzhaft-beglaubigendem Einsatz des eigenen Körpers re-animiert. Eine Vorstellung, in unserer Medienfixierung absurder noch als die Idee, selbst ein Feuer zu entzünden, um nicht zu frieren.