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Atomkraft - ja, bitte

Auf Gas als Energiequelle können sich die Niederlande nicht mehr lange verlassen. Deshalb soll Atomstrom künftig eine größere Rolle spielen. Die Regierung plant ein zweites Atomkraftwerk zu bauen und will die Förderung erneuerbarer Energien verringern.

Von Karin Schweighöfer | 10.02.2011
    "Wir Rechtsliberalen in den Niederlanden plädieren schon seit Jahren für Kernenergie, vor allem deshalb, weil wir nicht abhängig bleiben dürfen von Öl und Gas. Und jetzt wissen wir auch endlich eine Mehrheit hinter uns, um ein zweites Atomkraftwerk zu bauen."

    René Leegte von der rechtsliberalen VVD-Partei über den radikalen Kurswechsel der Niederländer in Sachen Kernenergie. Bis vor kurzem noch war sie tabu – und die Erinnerungen an die heftigen Proteste von Bürgern und Umweltschützern Ende der 80er-Jahre noch frisch im kollektiven Gedächtnis:

    Doch die Zeiten haben sich geändert: Seit Ende Oktober regiert in Den Haag eine Minderheitskoalition aus Rechtsliberalen und Christdemokraten, geduldet von der islamfeindlichen Partei der Freiheit des Rechtspopulisten Geert Wilders. Und der frischgebackene junge Premierminister Mark Rutte kann mit seinen Bauplänen für ein zweites Atomkraftwerk nicht nur auf seinen christdemokratischen Koalitionspartner bauen, sondern auch auf Geert Wilders.

    Hauptargument der Befürworter ist die Unabhängigkeit von fossilen Energiequellen. Zwar besitzen die Niederländer selbst eines der größten Gasfelder der Welt, das vor gut 50 Jahren im Nordosten des Landes entdeckt wurde. Das machte sie zum größten Erdgasproduzenten der EU. Aber damit ist es schon in fünf Jahren vorbei, dann sind auch die Niederlande ein Gas-Importland.

    Hinzu kommt der Klimawandel: "Wir müssen uns entscheiden, was wir schlimmer finden", betont VVD-Sprecher Leegte: "Atommüll oder CO2-Ausstoss":

    "Für uns Rechtsliberale war Atommüll nie ein so großes Problem. Erstens geht es um geringe Mengen, zweites kann man sie sorgfältig lagern und Risiken ausschließen. Alles in allem ist es also nur vernünftig, die Kernenergie wieder einzubeziehen."

    Schon 2018 soll ein zweites niederländisches Kernkraftwerk seinen Betrieb aufnehmen, in der Provinz Zeeland, ganz in der Nähe des ersten niederländischen Reaktors, Borssele in der Scheldemündung. Das Wirtschaftsministerium geht davon aus, dass ein niederländischer und ein französischer Konzern die Antragsteller sein werden.

    Subventionen für Sonnen- und Windenergie will das neue Minderheitskabinett senken oder sogar ganz streichen. Und bereits beschlossene Projekte wie das Anlegen von Windparks auf See werden nicht durchgeführt:

    "Natürlich werden wir weiterhin in Sonnen- und Windenergie investieren, aber das deutsche System mit seinen hohen Subventionen halten wir für einen Albtraum. Wir werden die Subventionen deutlich herunterschrauben und die Weiterentwicklung dieser grünen Energiequellen auf Sparflamme halten."

    Im Lager der Atomkraftgegner ist es bislang auffallend still geblieben, selbst von den niederländischen Grünen war nicht viel zu hören. Die Sozialdemokraten sind sogar bereits dabei, sich ebenfalls vorsichtig zu einem Kurswechsel zu bekennen: "Kernenergie ist nicht länger ein Unwort", muss auch Diederik Samson zugeben, ehemaliger Greenpeace-Aktivist und heute sozialdemokratischer Abgeordneter:

    "Es ist eine unbeholfene Art der Energiegewinnung – unbeholfen deshalb, weil wir auf dem Abfall sitzen bleiben und dieses Problem immer noch nicht gelöst ist, aber tabu ist Kernenergie nicht mehr."

    Auch unter den niederländischen Bürgern zeichnet sich erstmals eine leichte Mehrheit für Kernenergie ab: 54 Prozent stehen hinter den Kabinettsplänen. Auffallend allerdings ist die relativ hohe Zahl der Zweifler, nämlich 13 Prozent. Die Zahl der überzeugten Kernkraftgegner hingegen liegt nur noch bei 33 Prozent.

    "Ich tue mich nach wie vor schwer mit Kernenergie, wegen des Abfallproblems, das wir kommenden Generationen hinterlassen. Wir können besser in Wind und Sonne investieren."

    "Ich für Kernenergie! Wir müssen den Atommüll natürlich sorgfältig im Auge behalten, aber ich finde, dass Kernenergie in den letzten Jahren zu stark dämonisiert wurde. Wir sollten zumindest vorsichtig damit zu experimentieren beginnen."