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Schnelligkeit rettet Gehirn

Plötzliche Sehstörungen, Schwindelgefühle, Lähmungserscheinungen, eventuell Verwirrtheit – hier spricht alles für einen Schlaganfall. Viele können so behandelt werden, dass nichts oder kaum etwas zurückbleibt. Das ist vor allem der Thrombolyse zu verdanken, der Auflösung des Blutgerinnsels.

Von Justin Westhoff | 14.06.2011
    "Deshalb gilt: Sofort Feuerwehr oder Notarztwagen rufen! Sie bringt den Patienten möglichst in eine spezialisierte Klinik. Dort muss vor der Behandlung geklärt werden, um welche Art von Hirnschlag es sich handelt."

    "Man muss wissen, wenn der Patient mit einem Schlafanfall kommt, ist das eine Minderdurchblutung, ein verstopftes Gefäß eben, oder ist es eine Blutung ins Gehirn, und dann muss man wissen, weil ja diese Thrombolyse in die Gerinnung eingreift, ob die Gerinnung des Patienten in Ordnung ist. Es gibt Untersuchungen, die man braucht, die Computertomografie, die Blutgerinnung, und das muss alles sehr schnell gehen, damit man keine Minute verschenkt, um das Gehirn zu retten und möglichst viele Nervenzellen zu retten durch diese Thrombolyse."

    Die Thrombolyse, oft kurz Lyse genannt, erfolgt mit Substanzen, die eine Verstopfung in einer Hirnarterie abbauen oder körpereigene Abbauenzyme aktivieren. Heute werden die Medikamente, zum Beispiel mit dem Kürzel rt-PA, gentechnisch hergestellt. Dr. Bruno-Marcel Mackert, Neurologe am Klinikum Auguste Viktoria in Berlin, findet einen treffenden Vergleich für die Wirkweise des Lyse-Mittels:

    "Es ist in dem Sinn kein Blutverdünner, aber es greift an den Blutgerinnseln, die die Arterien verstopfen, an, und löst – wie Domestos die Verstopfung im Abfluss – dieses Blutgerinnsel im Blutgefäß auf."

    Die Lyse-Therapie ist aber nur dann sinnvoll, wenn tatsächlich ein Gerinnsel Ursache des Schlaganfalls ist. In rund einem Fünftel der Fälle verursacht jedoch eine Hirnblutung das Ereignis. Dabei platzt eine Arterie aufgrund einer Vorerkrankung – wie einem unbehandelten Bluthochdruck – oder auch einer angeborene Ausstülpungen der Hirngefäße. Hier darf die Thrombolyse auf keinen Fall angewendet werden, weil die Hirnblutung dadurch noch verstärkt würde. Schon die notwendige Lyse ist nicht ganz ohne Risiko.

    "Die Thrombolyse sorgt also dafür, dass diese Gerinnung zurückgefahren wird, und deswegen haben Patienten, die so eine Lysetherapie bekommen, in dieser Situation, wo dieses Medikament im Körper ist, eine erhöhte Blutungsgefahr. Das ist das Hautproblem bei der Lysetherapie und die Hauptgefahr."

    Wenn aber die akute Behandlungsphase erst einmal ausgestanden ist, gibt es keine langfristigen Nebenwirkungen der Lysemedikamente mehr. Das heißt allerdings leider nicht, dass die Therapie in jedem Fall hilft. Die Chancen steigen jedoch, wenn zwischen Schlaganfall und Therapie wenig Zeit vergeht.

    "Die Thrombolyse kann nur von einem bestimmten Zeitfenster angewandt werden, sie ist zugelassen nur innerhalb der ersten drei Stunden nach Beginn der Symptome, neuere Studien haben jetzt gezeigt, dass sie auch noch eine Sicherheit und Wirksamkeit hat für viereinhalb Stunden, so dass man das Patienten auch noch in den ersten viereinhalb Stunden anbieten kann, man muss es aber mit ihnen besprechen, weil offiziell dafür ist es nicht zugelassen."

    Nun könnte man denken, die Auflösung des Pfropfes sei doch in jedem Fall eine gute Sache, egal zu welchem Zeitpunkt. Warum das nicht stimmt, erklärt Privatdozent Mackert:

    "Das Problem dabei ist, dass das Gehirn ein sehr empfindliches Organ ist. Und es kommt dann in diesem Gebiet, was nicht mehr gut mit Blut versorgt ist, zum Absterben von Zellen und zu einer Aufweichung des Gewebes. Und die Gefahr ist, je länger dieser verschlossene Zustand anhält, dann blutet es in dieses Areal ein, und das ist eben dieser Bereich, wo Nutzen dem Risiko überlegen ist, bei viereinhalb Stunden. Und danach ist einfach die Gefahr einer Blutung so hoch, dass der Nutzen nicht mehr nachweisbar ist."

    Diskutiert wird auch immer wieder, ob die Lyse bei älteren und sehr alten Schlaganfallpatienten sinnvoll ist.

    "Es gibt eine Zulassungsbeschränkung bis 80 Jahre, man weiß aber jetzt von vielen Untersuchungen, dass die Thrombolysebehandlung auch bei älteren Menschen wirksam und sicher ist, so dass wir uns nicht am wahren Alter des Patienten orientieren, sondern am biologischen Alter, also es gibt Menschen, die sind 90, 95, sind rüstig, sind biologisch gesünder als mancher 70-Jährige, und diesem würde wir eine Thrombolysebehandlung dann auch nicht vorenthalten, weil es eben so eine wirksame Therapie ist."

    Im Übrigen wird die Lyse-Therapie nicht nur beim Hirnschlag, sondern auch nach wie vor zur Behandlung eines Infarkts aufgrund einer Verstopfung in den Herzgefäßen eingesetzt, hier allerdings als eine Maßnahme unter anderen. Der Gerinnungsfachmann Dr. Jürgen Koscielny von der Charité Berlin:

    "Eine Thrombose, definitionsgemäß, ist ja ein Verschluss von Gefäßen, das heißt, ein Gefäßinhalt aktiviert sich, führt zu einem Gerinnsel, die Symptomatik ist sehr unterschiedlich, zum Beispiel ein Herzinfarkt kann ja auch eine Thrombose sein, dafür haben wir eigentlich auch gute Versorgungseinheiten, die Kardiologen sind hier sehr federführend, um hier diese Patienten entsprechend zu versorgen."

    Deshalb ist es ganz wichtig, dass Patienten sehr schnell in die Erste Hilfe kommen, und auch da kommt eine Thrombolyse zum Einsatz, heutzutage wird diese aber in der Regel kombiniert mit einem mechanischen Verfahren, wo man dort die Engstelle entweder aufdehnt am Herzen mit speziellen Kathetertechniken oder den Thrombus, das Blutgerinnsel absaugt in diesem Gebiet. Aber die Thrombolyse ist begleitend und auch beginnend auch dort sehr wichtig.

    Zurück zum Schlaganfall. Patienten sollten möglichst auf einer besonders ausgestatteten Einheit – einer Unit – für Schlaganfall, auf englisch "Stroke", behandelt werden.

    "Die Stroke Units haben ja Gott sei Dank in Europa und auch weltweit eine große Erfolgsgeschichte hinter sich, weil man dort mit Expertise schnell diese Thrombolyse durchführen kann; und Patienten, die auf einer Stroke Unit behandelt werden, haben eine zweieinhalbfach höhere Wahrscheinlichkeit eines guten Ergebnisses, also ohne Behinderung mit dem Schlaganfall herauszugehen."

    Die Stroke Unit am Vivantes Klinikum Berlin leitet Dr. Bruno-Marcel Mackert. Er führt uns noch einmal herum.

    "So, also Sie sehen, Patienten haben dann hier so einen Monitor, hier sind die EKG-Elektroden, hier sind die Blutdruckmanschetten, hier ist so ein Sensor für die Sauerstoffsättigungund. Es werden von den Pflegekräften eben regelmäßig dann auch Blutzuckertestungen durchgeführt, all diese Monitordaten von den acht Betten werden dann zusammengeführt hier in dieser Zentrale, so dass sie von hier aus alle Patienten stets im Blick haben, sehen, wenn da plötzlich irgendeine Komplikation auftritt, und können dann eben eingreifen, wenn es Herz-Rhythmus-Störungen gibt, wenn der Blutdruck entgleist, wenn man merkt, plötzlich ist die Sauerstoffsättigung abgefallen oder sie sehen hier auf dem Video, dass plötzlich ein Patient eine schwere Lähmung bekommt, dann muss man sehr schnell handeln und sehen, ob er vielleicht in so einer Lysesituation eine Blutung entwickelt hat, damit man dann schnell Gegenmaßnahmen ergreift."

    Radiolexikon Gesundheit