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Melodien für Millionen

Er brachte Nachkriegsdeutschland die Welt von Prärie, Freiheit, oder auch englischen Schlössern nahe: Martin Böttcher ist der große alte Herr der deutschen Filmmusik. Seine Melodien zu Karl-May- und Edgar-Wallace-Verfilmungen brannten sich ganzen Generationen ins Hirn. Zu Böttchers 85. Geburtstag erscheint nun eine CD-Box mit seinen größten Film- und Fernsehmelodien.

Von Dirk Schneider | 15.06.2012
    Wenn man das Foto von Martin Böttcher auf seiner sehr altmodisch gestalteten Webseite sieht, könnte man ihn fast für einen Playboy halten: Braungebrannt, die obersten drei Knöpfe seines himmelblauen Hemdes trägt er offen.

    "Also ein Lebemann war ich nicht, ich hatte gar keine Zeit, ich musste arbeiten wie ein Verrückter. Also 70, 80 Stunden in der Woche war völlig normal. Ich hatte mit 35 und 37 fast einen Herzinfarkt, und da hat mein Arzt gesagt: 'Mein Lieber, wenn du dein Leben nicht grundsätzlich änderst, dann übernehme ich keine Garantie mehr.'"

    Mit 35 kurz vor dem Herzinfarkt – auch in den 60erjahren gab es das also schon. Dennoch, Filmmusik zu komponieren, und mit Stars wie Romy Schneider und Francoise Hardy zusammenzuarbeiten, war schon äußerst glamourös für einen Bewohner der Nachkriegs-BRD.

    Dabei wollte Martin Böttcher eigentlich Fliegen. Im Krieg kam er nicht zum Einsatz, unter den Alliierten durfte er nicht mehr als Pilot arbeiten. In Kriegsgefangenschaft entdeckte der 18-Jährige aber seine Leidenschaft für die Gitarre.

    "Und ein Freund hatte eine Gitarre, und da sag ich, gib mir mal deine Gitarre! Ich hab früher mal ein bisschen gespielt, und da hab ich angefangen zu üben wie ein Verrückter. Und er hat mir auch gute Tipps gegeben, er war ein Profi."

    Böttchers große Liebe war der Jazz, Musiker wie Glenn Miller, Benny Goodman und Artie Shaw seine Vorbilder. Nach drei Monaten Gefangenschaft ging er nach Hamburg und wurde von Willi Steiner entdeckt, für dessen Bigband des Nordwestdeutschen Rundfunks. Der Produzent Artur Brauner holte ihn dann 1955 zum Film, für die Musik zu "Der Hauptmann und sein Held".

    "Das war ein Antikriegsfilm. Unter ganz primitiven Mitteln gemacht damals. Ich hatte vier Tage und vier Nächte Zeit, für die ganze Filmmusik. Die Komponisten haben ja meist sehr wenig Zeit, weil sie die Letzten sind."

    Es folgte die Musik für den Klassiker "Die Halbstarken" mit Horst Buchholz, für die eigens eine Band gegründet wurde. Mit dabei: der spätere "König der Blasmusik" Ernst Mosch und James Last, damals noch unter dem Namen Hans Last.

    Seinen großen Durchbruch aber hatte Böttcher 1962 mit der Musik zur Karl-May-Verfilmung "Der Schatz im Silbersee". Die "Old Shatterhand-Melodie" wurde ein Hit, zur Überraschung aller Beteiligten. Damals war es noch ungewöhnlich, dass eine Filmmusik auch außerhalb des Kinos Erfolg hat.

    "Und dann war die 17 Wochen Nummer eins in der Hitparade. Mit den Beatles zusammen und so weiter."

    Mit seiner Musik zu den Karl-May-Filmen hat Böttcher deutsche Musikgeschichte geschrieben. Ein Buch von Karl May hat er übrigens nie gelesen. Aber auch mit der Musik zu den Edgar-Wallace- und "Pater Brown"-Filmen, zu Fernsehserien wie Sonderdezernat K1 oder Forsthaus Falkenau hat sich Böttchers Musik in das Gedächtnis von Millionen Deutschen eingebrannt.

    Böttchers Bandbreite, von coolem Jazz bis zu schwelgerischen Streicherteppichen, ist bemerkenswert, und oft sind es nur wenige Töne, mit denen Böttcher eine ganze Geschichte erzählen kann.

    "Bei der Old-Shatterhand-Melodie war es eben so, dass der Wendland, der Produzent, mir Muster schickte, und ich habe mich dann hingesetzt, habe was komponiert, und habe ihm was vorgespielt am Klavier übers Telefon. Und das hat er gehört, acht Takte, und hat gesagt: Das ist es! Das war die Old-Shatterhand-Melodie."

    Manches ist ihm leicht gefallen, anderes war schwieriger, und nicht mit allem hat Martin Böttcher Geld verdient. Arbeit steckt aber in allen seinen Melodien, weshalb er sich auch nach einem langen, erfolgreichen Berufsleben noch über die Urheberrechtsdebatte aufregen kann.

    "Aber es ist nicht so, wie die Piraten sagen: Der Liebe Gott gibt einem das, und man braucht dafür kein Geld zu bekommen."

    Und fügt sarkastisch hinzu:

    "Ich muss Ihnen sagen, was denen einfällt, ist wirklich toll. Wirklich toll. Genial geradezu."