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Ménage à "Drei"?

Tom Tykwers neuer Kinofilm thematisiert das Thema Bisexualität als Ausweg aus einer langweiligen Beziehung. Am Ende stellt sich heraus, dass sich immer alles verändern kann.

Von Josef Schnelle |
    "Hanna: "Ich begrüße Sie heute zu unserer Reihe Kultur, Ökologie und Alltag. Hinter mir ist der Aktionskünstler Ipe Rubin, seit einiger Zeit damit beschäftigt, nach Öl zu bohren und zwar im Mauerpark im Berliner Viertel Prenzlauer Berg. Wie er sagt, will er damit darauf hinweisen, dass die anderen fossilen Ressourcen ersetzt werden könnten durch das Öl, das unentdeckt unter unseren Heimatstädten liegt." - "Was ist das denn?" - "Kunst"."

    Hanna ist Fernsehmoderatorin in einer in dieser Szene nur leicht überhöhten gezeichneten Kultursendung des deutschen Fernsehens. Sie lebt in Berlin am Prenzlauer Berg und sie denkt so, wie man da denkt: Ökosozial und grünliberal. Ihr Mann ist das, was man einen angenehm angepassten Softie nennen könnte. Er ist liebevoll, offen für neue Erfahrungen und kreativ. Er hat allerdings ein Problem. Einer seiner Hoden ist krebszerfressen. Der muss weg, was Regisseur Tom Tykwer in einer an Lakonie kaum zu überbietenden Szene zeigt. Die beiden, gespielt von Sophie Rois und Sebastian Schipper, sind ein Musterpaar, dem eigentlich nur ein paar Zentimeter fehlen zur vollkommenen Bürgerlichkeit:

    "Simon: "Was ist denn eigentlich heut für´n Tag?" Hanna: "Samstag wieso? Simon: "Der 16.?" Hanna: "Mm, wieso?" Simon: "Dann haben wir heute 20Jähriges." - Hanna: "Was denn erster Kuss oder erster Sex?" - Simon: "Erster Kuss! Moskauerstr 16. Oktober 1990. Sollen wir nicht endlich mal heiraten." - Hanna: "Ok.""

    So kann das nicht bleiben. Das Pärchen um die Vierzig verliebt sich anderweitig - in einen Mann. Der heißt vielversprechend Adam Born und taucht eines Tages im schwimmenden Badeschiff an der Spree auf. Er dreht seine Bahnen und dann macht er Simon an. Der fühlt sich eigentlich gar nicht homosexuell, ist aber nach seiner langen Beziehung mit Hanna, die er zwar liebt, von der er sich aber nichts Neues mehr verspricht, irgendwie anfällig für den smarten Verführer mit dem Dackelblick. Was er lange nicht weiß und was Adam zur Kunstfigur macht ist: Der hat längst schon eine Beziehung zu Hanna. Die beiden lieben also denselben Mann. Man könnte auch sagen: Eine moderne Variante des Engels aus Pier Paolo Pasolinis "Teorema" schneit in ihr Leben und verändert sie nachhaltig. Unterdrückte Wünsche kommen an die Oberfläche. Und wie immer bei der Liebe werden neue Lebenswelten entdeckt. Simon, gespielt mit Käppi und Dreitagebart von Sebastian Schipper, der selbst Filmregisseur ist, ist zunächst vor allem eins: verunsichert.

    "Simon: "Ist nicht so einfach." - Adam: "Doch. Du musst nur Abschied nehmen." - Simon: "Wovon?" - Adam: "Von deinem deterministischen Biologieverständnis.""

    Damit ist der Ton gesetzt für diese leicht altmodisch wirkende Komödie des Hollywoodrückkehrers Tom Tykwer, der nach seiner experimentellen Action-Beziehungsdrama "Lola rennt" 1998 einer der wichtigsten Autoren des deutschen Kinos zu werden versprach. Mit Großprojekten wie "Das Parfum" und "The International" bewies er 2006 und 2009 zwar, dass er auch mit 100 Millionen Dollar umzugehen versteht. Doch er verschwand auch aus dem Blickfeld des hiesigen Kinos. Die Erfolge der Großprojekte waren nicht sensationell, aber sie ernährten millionenschwer den Mann und eröffneten ihm neue Horizonte. Von nun an würde er alles machen können. Alles? Auch die Rückkehr zur kleinen bescheidenen Form des vollsubventionierten deutschen Autorenkinos? Tom Tykwer beweist mit "Drei" sehr eindrücklich, dass das geht. Eine aller Ehren werte Rückkehr aus der Filmmetropole ins deutsche Mittelmaß? Mittelmaß - jedenfalls wenn man in Einspielergebnissen denkt.

    "Drei" ist ein Film geworden, der die Utopien der 70er-Jahre vom anderen Leben neu interpretiert. Auch im Formalen zum Beispiel bei der gespaltenen Leinwand, auf der man mehrere Szenen gleichzeitig sieht beim Split-Screen, der wirkt wie aus alten Musikfilmen der 70er-Jahre abgekupfert. Das Labor der Gefühle, das Tykwer so perfekt inszeniert mit seiner grandiosen Darstellerriege, aus der der Berliner Theaterstar Sophie Rois turmhoch herausragt, ist längst geschlossen. Wer lebt schon Drei, Fünf oder Sechs, ganz unversehrt und selbstbewusst. Kann man wirklich so leben, wie es der Film am Ende andeutet? Oder ist die Liebe im Prinzip doch kleinfamiliär? Irgendwann schaut Hanna ihr Schwangerschaftstestgerät an und weiß schon, dass sich alles immer wieder verändern kann. Vor allem die Utopie der Liebe.

    "Hanna: "Wenn sowohl in dem eckigen Kontrollfenster wie auch in dem runden Testfenster eine Linie sichtbar wird, sind Sie schwanger. - Stopp, Stopp Stooopp""