Sie verdienen ihr Geld als Werbetexter, Professoren, Tanzlehrer, Journalisten, Modeberater, Regieassistenten, Drehbuchautoren, Rechtswissenschaftler oder bekommen ein Stipendium am Literaturinstitut Leipzig. Sie sind zwanzig, zweiundzwanzig und nur in einem Fall über vierzig Jahre alt. Sie veröffentlichen in Anthologien, Zeitschriften, mehr als zwei eigene Bücher haben nur wenige geschrieben, einige warten noch auf ihr erstes.
Als Autoren in Klagenfurt sind sie kleine Holzpüppchen und hüpfen, nach der Sechs darf man noch mal, von Kreis zu Kreis. "Mensch ärgere nicht" heißt das Spiel. Die kameragünstig an der Rückwand im schweißtreibend heißen ORF-Theater in überdimensionaler Größe angebrachten Fragmente von jenen Spielbrettern, deren Bespielung schon Generationen von Tischnachbarn in den Zustand äußerster psychischer Krisen geworfen haben, diese Spielbretter mit den vielen weißen und ein paar bunten Kreisen drauf sowie diesen dünnen Verbindungslinien sagen deutlich worum es geht.
"Rausschmeißen!" - Nie war die Kulisse beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Kärnten so ehrlich wie heuer. Ins Philosophische gewendet: "Alles ist ein Glücksspiel". Das ganze Leben. Das bekamen auch die Zuschauer an den drei Spieltagen zu spüren. Glücklich, wer einen der Klappstühle mit Lehne in den ersten drei Reihen ergattert hatte. Wer in den Reihen dahinter saß, musste mit Bierbänken der schmalsten Art Vorlieb nehmen.
"Alles ein Glücksspiel" - Man denke nur an das vergangene Jahr, als ein Autor das "Mensch-Ärgere-Dich-Nicht" gewann und von den Würfelspielern, den Jurorinnen und Juroren also, als der Gewinner zu den Kameras hin getrieben und ganz knapp heran an den Olymp deutscher Dichtkunst vorgeschoben wurde - ein Weltwunder geradezu dieser Uwe Tellkamp. Als dann vergangenes Frühjahr ein Buch von ihm erschien, wurde er gnadenlos rausgeschmissen von just jenen Handlangern des Würfelspiels, die im vorigen Jahr nicht mitspielen durften in Klagenfurt.
Erst das Spiel, dann die Kritik, und die hat immer das letzte Wort. Oder das erste. Iso Camartin, der Gelehrte aus der Schweiz, hielt außer Konkurrenz die Eröffnungsrede vor der Verlosung der Reihenfolge der zu erwartenden Lesungen und ermahnte darin alle, die schwer beeindruckten Autoren und auch die sonst von Natur aus schwer zu beeindruckenden Juroren. Iso Camartin dozierte flehentlich von der Kategorie "Stil" und nicht "Life-Style" bei der Bewertung von Literatur. Kein Design, kein "Anything goes", er erwartet die "Omnipräsenz des Kunstwillens".
Siebzehn Autorinnen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz rückten in diesem Jahr an und erfüllten den Raum mit Omnipräsenz. Sie erzählten in noch unveröffentlichten Texten, jeder ein halbe Stunde lang, von den gar nicht komischen Wirkungen eines Wasserschadens in der Wohnung oben drüber, von der trostlosen globalisierten Kulturverschickung einer jungen Frau aus Buckow bei Berlin zum Amazonas, von der kniffligen Frage, wer anfängt beim Miteinander im Bett, von der schwerelosen Rückkehr in ein heimatliches Island zur Weihnachtszeit, von einer sehr zarten Liebesgeschichte einer jungen Frau zum neuen Nachbarn nebenan, womit ein erster Trend jungen deutschen Kunstwillens in diesem Sommer festgehalten ist: die erotische Nachbarschaftsgeschichte.
Die Bewerber um den Ingeborg-Bachmann-Preis erzählten von den fatalen Zeugen einer Zangengeburt, von der jeder Familie bekannten sorgenvollen Suche nach dem geeigneten Haustier, von den psychischen Problemen eines ungewollten Kindes, von der Ungenießbarkeit eines Karpfens bei einem selbstmörderischen Abendessen, vom Jahrhundertschicksal einer Bremer Bürgerfamilie, von einem ausweglosen Vater-Sohn-Verhältnis und einmal mehr – das hatten wir in letzter Zeit schon öfter – von einer Zugreise, die zugleich eine Zeitreise in die eigene Kindheit ist.
Womit ein zweiter Trend ausgemacht ist: Familiengeschichten sind immer noch sehr beliebt, sei es in Form "Neuer deutscher Sachlichkeit", "Neuer deutscher Schelmenliteratur", eines "Neuen meditativen Realismus" oder einer "Neuen deutschen Biedermeierei" – Klagenfurt ist dafür berüchtigt, wenn es um die Schaffung griffiger "Ismen" geht. Man merkte, die neun Jurorinnen und Juroren hatten ihre Hausaufgaben, das Lesen aller Texte vor der Austragung des Wettbewerbs vor laufender Kamera, erledigt und sich Gedanken über textübergreifende Zusammenhänge gemacht.
Von literarischen Experimenten, einer Literatur des Sprachspiels – eigentlich eine österreichische Domäne und früher immer gern in Klagenfurt gelesen – gab es in diesem Jahr übrigens überhaupt nichts zu hören. Die experimentelle, auf die akustische Wirkung von Sprache setzende Literatur scheint nicht mehr konkurrenzfähig.
Dafür Impressionen vom katholischen Alltag in Passau, von den immergleichen Ritualen in einem Großraumbüro, vom Fernsehgucken, das angeblich realistischer sei als das Hinausgehen in die wirkliche Welt. Als heute Vormittag die Würfel fielen, war gottlob reichlich Realismus der weltlichen Art mit im Spiel. Und Realismus beim Mensch-Ärgere-Dich-Nicht tritt bekanntlich immer dann ein, wenn die Spieler mogeln.
Das heißt: in einem Anfall von Zufall ausschaltendem Rationalismus das Püppchen in die Hand nehmen und klaren Verstands schnurstracks in die Zielreihe stellen. Somit war der Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in seiner endgültigen Bestimmung dann doch kein Glücksspiel, sondern eher ein "Glücksfall" für die deutsche Literatur, wie Jurysprecherin Iris Radisch am Ende aufgekratzt resümierte. Ein Glücksfall zumindest für die Gewinner.
Der Bachmann-Preis an den 38jährigen Thomas Lang, der die Erzählung einer ausweglosen Vater-Sohn-Beziehung mit dem anspielungsreichen Titel "Am Seil" in einem dramatischen Showdown auf einem Heuboden enden lässt, ist auch vom Berichterstatter nachzuvollziehen. Der Ingeborg-Bachmann-Preis für Thomas Lang, er veröffentlicht im Wagenbach-Verlag, beruht nicht auf einem Zufall, sondern auf handwerklich genauer, stilbewusster literarischer Technik.
Ein Ausschnitt aus dem Siegertext des Ingeborg-Bachmann-Preisträgers Thomas Lang. Der Rest ging an die Frauen. Die 31jährige Julia Schoch erhielt für ihren auf mehreren Zeitebenen spielenden Text "Der Ritt durch den Feind" den "Preis der Jury". Darin geht es um eine Vortragreisende, die am fernen Amazonas immerzu an die Nachwehen preußischer Geschichte in der DDR denken muss.
Anne Weber, Suhrkamp-Autorin, Jahrgang 1964, bekam den 3-Sat-Preis für ihren metaphorisch nicht aufgeladenen Bericht über eine Großraumbüroangestellten-Existenz. Und Nathalie Balkow, Jahrgang 1968, bislang noch ohne Buch, erzählt von einer ganz alltäglichen Liebe zwischen Zweien, die zufällig Nachbarn wurden. Alle preisgekrönten Autorinnen wie auch der Bachmann-Preisträger Thomas Lang sind deutsche Autoren. Die Schweiz und Österreich gingen leer aus. Mensch ärgere Dich nicht!
Als Autoren in Klagenfurt sind sie kleine Holzpüppchen und hüpfen, nach der Sechs darf man noch mal, von Kreis zu Kreis. "Mensch ärgere nicht" heißt das Spiel. Die kameragünstig an der Rückwand im schweißtreibend heißen ORF-Theater in überdimensionaler Größe angebrachten Fragmente von jenen Spielbrettern, deren Bespielung schon Generationen von Tischnachbarn in den Zustand äußerster psychischer Krisen geworfen haben, diese Spielbretter mit den vielen weißen und ein paar bunten Kreisen drauf sowie diesen dünnen Verbindungslinien sagen deutlich worum es geht.
"Rausschmeißen!" - Nie war die Kulisse beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Kärnten so ehrlich wie heuer. Ins Philosophische gewendet: "Alles ist ein Glücksspiel". Das ganze Leben. Das bekamen auch die Zuschauer an den drei Spieltagen zu spüren. Glücklich, wer einen der Klappstühle mit Lehne in den ersten drei Reihen ergattert hatte. Wer in den Reihen dahinter saß, musste mit Bierbänken der schmalsten Art Vorlieb nehmen.
"Alles ein Glücksspiel" - Man denke nur an das vergangene Jahr, als ein Autor das "Mensch-Ärgere-Dich-Nicht" gewann und von den Würfelspielern, den Jurorinnen und Juroren also, als der Gewinner zu den Kameras hin getrieben und ganz knapp heran an den Olymp deutscher Dichtkunst vorgeschoben wurde - ein Weltwunder geradezu dieser Uwe Tellkamp. Als dann vergangenes Frühjahr ein Buch von ihm erschien, wurde er gnadenlos rausgeschmissen von just jenen Handlangern des Würfelspiels, die im vorigen Jahr nicht mitspielen durften in Klagenfurt.
Erst das Spiel, dann die Kritik, und die hat immer das letzte Wort. Oder das erste. Iso Camartin, der Gelehrte aus der Schweiz, hielt außer Konkurrenz die Eröffnungsrede vor der Verlosung der Reihenfolge der zu erwartenden Lesungen und ermahnte darin alle, die schwer beeindruckten Autoren und auch die sonst von Natur aus schwer zu beeindruckenden Juroren. Iso Camartin dozierte flehentlich von der Kategorie "Stil" und nicht "Life-Style" bei der Bewertung von Literatur. Kein Design, kein "Anything goes", er erwartet die "Omnipräsenz des Kunstwillens".
Siebzehn Autorinnen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz rückten in diesem Jahr an und erfüllten den Raum mit Omnipräsenz. Sie erzählten in noch unveröffentlichten Texten, jeder ein halbe Stunde lang, von den gar nicht komischen Wirkungen eines Wasserschadens in der Wohnung oben drüber, von der trostlosen globalisierten Kulturverschickung einer jungen Frau aus Buckow bei Berlin zum Amazonas, von der kniffligen Frage, wer anfängt beim Miteinander im Bett, von der schwerelosen Rückkehr in ein heimatliches Island zur Weihnachtszeit, von einer sehr zarten Liebesgeschichte einer jungen Frau zum neuen Nachbarn nebenan, womit ein erster Trend jungen deutschen Kunstwillens in diesem Sommer festgehalten ist: die erotische Nachbarschaftsgeschichte.
Die Bewerber um den Ingeborg-Bachmann-Preis erzählten von den fatalen Zeugen einer Zangengeburt, von der jeder Familie bekannten sorgenvollen Suche nach dem geeigneten Haustier, von den psychischen Problemen eines ungewollten Kindes, von der Ungenießbarkeit eines Karpfens bei einem selbstmörderischen Abendessen, vom Jahrhundertschicksal einer Bremer Bürgerfamilie, von einem ausweglosen Vater-Sohn-Verhältnis und einmal mehr – das hatten wir in letzter Zeit schon öfter – von einer Zugreise, die zugleich eine Zeitreise in die eigene Kindheit ist.
Womit ein zweiter Trend ausgemacht ist: Familiengeschichten sind immer noch sehr beliebt, sei es in Form "Neuer deutscher Sachlichkeit", "Neuer deutscher Schelmenliteratur", eines "Neuen meditativen Realismus" oder einer "Neuen deutschen Biedermeierei" – Klagenfurt ist dafür berüchtigt, wenn es um die Schaffung griffiger "Ismen" geht. Man merkte, die neun Jurorinnen und Juroren hatten ihre Hausaufgaben, das Lesen aller Texte vor der Austragung des Wettbewerbs vor laufender Kamera, erledigt und sich Gedanken über textübergreifende Zusammenhänge gemacht.
Von literarischen Experimenten, einer Literatur des Sprachspiels – eigentlich eine österreichische Domäne und früher immer gern in Klagenfurt gelesen – gab es in diesem Jahr übrigens überhaupt nichts zu hören. Die experimentelle, auf die akustische Wirkung von Sprache setzende Literatur scheint nicht mehr konkurrenzfähig.
Dafür Impressionen vom katholischen Alltag in Passau, von den immergleichen Ritualen in einem Großraumbüro, vom Fernsehgucken, das angeblich realistischer sei als das Hinausgehen in die wirkliche Welt. Als heute Vormittag die Würfel fielen, war gottlob reichlich Realismus der weltlichen Art mit im Spiel. Und Realismus beim Mensch-Ärgere-Dich-Nicht tritt bekanntlich immer dann ein, wenn die Spieler mogeln.
Das heißt: in einem Anfall von Zufall ausschaltendem Rationalismus das Püppchen in die Hand nehmen und klaren Verstands schnurstracks in die Zielreihe stellen. Somit war der Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in seiner endgültigen Bestimmung dann doch kein Glücksspiel, sondern eher ein "Glücksfall" für die deutsche Literatur, wie Jurysprecherin Iris Radisch am Ende aufgekratzt resümierte. Ein Glücksfall zumindest für die Gewinner.
Der Bachmann-Preis an den 38jährigen Thomas Lang, der die Erzählung einer ausweglosen Vater-Sohn-Beziehung mit dem anspielungsreichen Titel "Am Seil" in einem dramatischen Showdown auf einem Heuboden enden lässt, ist auch vom Berichterstatter nachzuvollziehen. Der Ingeborg-Bachmann-Preis für Thomas Lang, er veröffentlicht im Wagenbach-Verlag, beruht nicht auf einem Zufall, sondern auf handwerklich genauer, stilbewusster literarischer Technik.
Ein Ausschnitt aus dem Siegertext des Ingeborg-Bachmann-Preisträgers Thomas Lang. Der Rest ging an die Frauen. Die 31jährige Julia Schoch erhielt für ihren auf mehreren Zeitebenen spielenden Text "Der Ritt durch den Feind" den "Preis der Jury". Darin geht es um eine Vortragreisende, die am fernen Amazonas immerzu an die Nachwehen preußischer Geschichte in der DDR denken muss.
Anne Weber, Suhrkamp-Autorin, Jahrgang 1964, bekam den 3-Sat-Preis für ihren metaphorisch nicht aufgeladenen Bericht über eine Großraumbüroangestellten-Existenz. Und Nathalie Balkow, Jahrgang 1968, bislang noch ohne Buch, erzählt von einer ganz alltäglichen Liebe zwischen Zweien, die zufällig Nachbarn wurden. Alle preisgekrönten Autorinnen wie auch der Bachmann-Preisträger Thomas Lang sind deutsche Autoren. Die Schweiz und Österreich gingen leer aus. Mensch ärgere Dich nicht!